Beitrag teilen

Link in die Zwischenablage kopieren

Link kopieren
Suchfunktion schließen
Management >

Welcher Weg bei Projektverzögerungen der richtige ist

Stuttgart 21, Elbphilharmonie, Frankfurter Flughafen: Bei Bauprojekten kommt es immer häufiger zu Protesten und damit zu Baubehinderungen. Rechtlich sind Unternehmer für einen solchen Fall abgesichert. Doch die Praxis sieht oft anders aus.

Wie verhalten sich Unternehmer in einem Fall wie Stuttgart 21 richtig, wenn es zu Bauverzögerungen durch die Proteste kommt? Recht haben und Recht bekommen liegen in solch einem Fall meist weit auseinander. „Rechtlich ist der Auftragnehmer komplett abgesichert, so dass kein finanzieller Schaden entsteht“, sagt Berthold Mitrenga, Leiter der Praxisgruppe Vergaberecht bei Beiten Burkhardt (siehe Rechtliche Lage). Bei einer Baubehinderung kommt es zu einer Neuberechnung der Lieferfristen sowie der Preise durch entstehende Kosten für den Bauunternehmer. Wird der Vertrag vom Auftraggeber allein wegen der Baubehinderung gekündigt, hat der Unternehmer Anspruch auf Schaden- und regelmäßig auf Gewinnersatz. Soweit die Theorie.

Dass das in der Praxis anders aussieht, weiß Klaus Lother, Geschäftsführer der Firma Josef Gartner. Sein Unternehmen produziert die Fassadenteile für die Elbphilharmonie in Hamburg. Die Eröffnung des Konzerthauses wurde erst von 2010 auf 2012 verschoben. Jetzt könnte es sogar noch ein weiteres Jahr länger dauern. Viele der riesigen, spiegelbedruckten Isoliergläser hatte Gartner schon in Elemente eingebaut, aber der Rohbau war noch nicht zur Montage bereit. Das Unternehmen musste zusätzliche Lagergestelle bauen.

Penibel dokumentieren

„Vertragsgemäß bekommen wir die nicht von uns verursachten Zusatzkosten etwa für die Lagergestelle erstattet, aber derzeit sind wir noch in Diskussion mit dem Auftraggeber“, sagt der Gartner-Chef. Irgendwann hatte der Fassadenbauer keinen Stellraum mehr, musste aufhören zu produzieren. Es kam zu Auslastungsschwankungen. Andere Aufträge mussten vorgezogen werden. Mehrkosten und zusätzlicher Aufwand waren die Folge. „Der Nachweis der Aufwendungen ist langwierig und kann in Extremfällen zu jahrelangen juristischen Auseinandersetzungen führen”, sagt Lother. Die Belastung für Mittelständler ist groß. „In so einer Situation ist es das Wichtigste, alles exakt zu dokumentieren: jede Verzögerung, jegliche Zusatzkosten.“ Nur wer den Schaden plausibel nachweisen kann und schriftlich auflistet, hat Chancen, diesen vor Gericht ersetzt zu bekommen.

Die Firma Rennert Bauunternehmung fährt eine defensivere Taktik. Wenn es zu Verzögerungen kommt und das Unternehmen die Vertragsleistungen nicht einhalten kann, schickt es eine Behinderungsanzeige an den Auftraggeber. „Aber wir listen ungern darin schon entstehende Zusatzkosten auf“, sagt Thilko Gerke, Geschäftsführer von Rennert. Er will mit der Anzeige Druck aufbauen, weil die Behinderung größeren Aufwand bedeutet. „Darunter soll aber nicht unser gutes Verhältnis zum Auftraggeber leiden“, sagt der Firmenchef. Kundenverhältnis gegenüber Mehrkosten – ein Dilemma, in dem Mittelständler stecken.

Konfrontation oder Kuschelkurs?

Gerke konzentriert sich am liebsten auf mittelgroße Projekte. Denn dann kann er mehrere gleichzeitig planen und, wenn eines wegfällt, die Lücke schneller schließen. So ein Projekt hatte der Firmenchef an Land gezogen, den Vertrag schon unterschrieben. Da ließ der Auftraggeber den Deal mit den Worten platzen: „Sie können uns jetzt auf den entgangenen Gewinn verklagen, aber wir müssen dagegenhalten.“ Und wieder folgte die Taktik: Recht haben, heißt nicht automatisch Recht einfordern wollen. Rennert hat nicht geklagt. Aus Angst, dass er dadurch das gute Verhältnis zu dem öffentlichen Auftraggeber riskiert – vor allem, weil er von den Aufträgen aus der Region abhängig ist. „Große Projekte müssen öffentlich ausgeschrieben werden, aber bei kleineren sieht das anders aus“, sagt Gerke. Da stehen Unternehmen in der Gunst, die die Auftraggeber in guter Erinnerung haben. Großen Unternehmen ist das egal, sie klagen ihr Recht ein und sind bei der nächsten großen Ausschreibung wieder mit von der Partie.

Das Abwägen hat sich für Gerke gelohnt: Er hat sich zwar gegen die 10.000 Euro entschieden, die ihm zugestanden hätten, aber auch gegen die Anwaltskosten. Das gute Verhältnis zum Auftraggeber in der Region ist geblieben. «

Rechtliche Lage nach Vergabe- und Vertragsordnung

  • Behinderung:
    Wie reagieren? Behinderungsanzeige sofort schriftlich stellen zur Neuberechnung von Preisen und Ausführungsfristen. Darin muss explizit stehen, dass es zur Behinderung kommt, und alle Tatsachen, die dazu beitragen, müssen genannt werden. Achtung: Der Auftragnehmer muss die Anzeige dem Auftraggeber persönlich zukommen lassen – sonst ist eine Vollmacht notwendig.
    Erfolgschancen? Gut. Alles muss aber genau dokumentiert sein, und der Auftragnehmer muss entstehende Zusatzkosten gering halten. Anspruch auf Berücksichtigung besteht auch ohne Anzeige, wenn dem Auftraggeber die Behinderung – wie bei Stuttgart 21 – offensichtlich bekannt ist 
  • Unterbrechung:
    Wie reagieren? Bei Unterbrechungen von mehr als drei Monaten können Auftragnehmer und Auftraggeber den Vertrag schriftlich kündigen. Hat der Auftragnehmer die Unterbrechung nicht zu verantworten, hat er Anspruch auf Schadensersatz, meist auch Gewinnersatz und eventuell sogar auf Erstattung der Kosten für die Baustellenräumung.
    Erfolgschancen? Geht so. Diskussionen mit dem Auftraggeber über die Erstattung der Kosten sind an der Tagesordnung. Oft lässt es der Auftraggeber zur Klage kommen, die sich über Jahre hinziehen kann. Mittelständlern kann da die Puste ausgehen. 
  • Kündigung
    Wie reagieren? Kündigen kann der Auftraggeber bis zur Vollendung der Leistung jederzeit schriftlich. Dem Auftragnehmer steht die im Vertrag vereinbarte Vergütung zu plus meist noch Schadenersatz wegen Ausfalls. Abgezogen wird aber, was er spart, weil er Personal und Material an anderer Stelle einsetzen kann.
    Erfolgschancen? Geht so. Auch hier kommt es oft zu zähen Gerichtsverhandlungen. Ist dem Gericht aber aus der Öffentlichkeit bekannt, dass der Auftragnehmer nichts für die Kündigung kann, hat dieser schon bessere Karten.


Bildquelle: wikicommons

 

Mehr zu Stuttgart 21:
Stuttgart 21: die wichtigsten Baumaßnahmen