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Management > Zukunftsduett

Wenn die Alten mit den Jungen: Wie der Mittelstand wirklich innovativ wird

Start-ups und der etablierte Mittelstand arbeiten vermehrt zusammen, aber noch zu selten. Denn häufig kracht es. Worauf es ankommt, damit es für beide funktioniert.

(Foto: KI-generiert/Adobe Firefly)

Von Thorsten Giersch

Böllhoff hält die Welt zusammen, wie sie in Ostwestfalen gern sagen. Auf den ersten Blick stellt das Familienunternehmen aus Bielefeld Einfaches her: Schrauben, genauer: Verbindungselemente. Wenn es aber so einfach wäre, müsste Böllhoff nicht seit 150 Jahren permanent neue Ideen entwickeln. Es gibt eben auch Verbindungselemente, etwa in einer Waschmaschine, wo eine Trommel festgehalten werden muss. Dort schwingt viel und es wird komplex. Deshalb gibt es diesen zweiten Satz, den man bei Böllhoff gern sagt: „Jeden Tag muss irgendwas Neues verbunden werden.“

Und das nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Jede Landesabteilung im Unternehmen hat ihre eigenen Bedürfnisse. Es gibt unterschiedliche Kundensegmente. Digitalisieren will die Gruppe aber gemeinsam. „Wir wollen ja nicht an allen Standorten das nächste ChatGPT erfinden und an allen Standorten das das nächste Lager-Logistikcenter“, sagt Kevin Jostmeyer-Zelles, Head of Digital Transformation and Innovation bei Böllhoff, „sondern wir wollen unsere Synergien heben.“ Zu diesem Innovationsprozess gehört auch Zusammenarbeit mit jungen Firmen. „In meinem Team habe ich Leute, die totale Befürworter sind. Sozusagen der Außendienst der Start-ups“, sagt Jostmeyer-Zelles. „Wir suchen dann die richtigen Stellen bei uns im Unternehmen, wo wir eine Lösung einsetzen können.“ Das bedeutet aber auch, den Bedarf in den Abteilungen gut zu kennen.
 

Möglich ist vieles: von klassischen Kunde-Lieferant-Geschäftsbeziehungen über eine Co-Creation bis hin zur Beteiligung mit der hauseigenen Risikokapital-Firma. Im besten Fall könne Böllhoff die Lösung selbst nutzen, gleichzeitig suche das betreffende Start-up Risikokapital, „und wir können mit investieren“, sagt Jostmeyer-Zelles. Böllhoff arbeite aber auch nur mit einem Start-up zusammen oder investiere ohne eine Geschäftsbeziehung. Bei der Finanzierung gibt es Ausnahmen. Seien die Start-ups schon zu reif und zu teuer, „machen wir da nicht mehr mit.“

Um geeignete Start-ups zu finden, gehen Jostmeyer-Zelles und sein Team auf Veranstaltungen wie die Hinterland of Things und engagieren sich bei der Founders Foundation. „Wenn etwas passen könnte, vernetzen wir und treiben das Ganze dann wieder mit dem Mindset ,schnell mal ausprobieren‘“, sagt er und betont, die Leistungen des Start-ups nicht gleich auf die gesamte Böllhoff-Gruppe anwenden zu müssen. Lieber schnell in einem konkreten Bereich testen.
 

Die Founders Foundation ist eine Art Ausbildungsstätte für Unternehmer. Sie unterstützt Start-ups vom ersten Gedanken über die gesamte Gründung hinweg bis zum Bezug der eigenen Büroräume. Dazu vernetzt die Organisation die Talente untereinander mit passenden Co-Gründern und eben mit etablierten mittelständischen Unternehmen. Denn genau hier steckt echtes Potenzial. Was mit einem Pilotprojekt startet, mündet oft in eine langfristige Partnerschaft. Vor allem geht es aber auch um „gegenseitige unternehmerische Inspiration“, sagt Dominik Gross, CEO der Founders Foundation. Es müsse nicht immer die rein faktische Geschäftsbeziehung sein. Er nennt einen lockeren Austausch, weil es einfach so viele gemeinsame Technologie- und Trendthemen gebe.

Der Mittelstand bringt in die Geschäftsbeziehungen mit Start-ups Kapital ein. Er ist möglicherweise bald Kunde. Und etablierte Unternehmen haben Kontakte und Strukturen sowie Vertrauen im Markt aufgebaut. Die Start-ups wiederum liefern neue Technologien, Ansätze und Ideen für die Lösung von Problemen. „Deshalb können sich Start-ups und Mittelstand gegenseitig gut unterstützen, selbst wenn sie in einem Wettbewerbsumfeld unterwegs sind, weil sie Dinge in eine Beziehung mit einbringen, die der andere nicht hat“, sagt Gross.

Gemeinsam entwickeln

Doch beide Seiten kommen nicht erst zusammen, wenn die Idee bereits zum Geschäftsmodell ausgereift ist. „Wir achten darauf, dass Start-Ups ihre Lösung direkt mit den potenziellen Kunden entwickeln. Das heißt, an realen Problemen, damit gar nicht erst irgendwas Theoretisches entwickelt wird.“ Dafür führen die Gründerinnen und Gründer frühzeitig zahlreiche sogenannte Validierungsinterviews mit Mittelständlern, um die technologische Lösung für das vorab identifizierte Problem zu optimieren. Wichtig sei auch der Austausch mit den wahren Entscheidern im Unternehmen, sagt Gross. „Start-ups kommen nicht in die Lehmschicht des mittleren Managements hinein, wenn dort argumentiert wird ,Das haben wir schon immer so gemacht‘. Wichtig ist, dort anzusetzen, wo Lust auf echte Veränderung besteht. Das ist oft bei Eigentümern und Geschäftsführern der Fall“, sagt der Founders-Foundation-Chef. 

Gegründet wurde die Foundation 2016 auf Initiative der Bertelsmann Stiftung und aus der Überzeugung heraus, dass in Deutschland mehr unternehmerische Fähigkeiten nötig sind. Als gemeinnützige Organisation beteiligt sie sich nicht an den Start-ups, die sie betreut. Die jährliche Großveranstaltung Hinterland of Things bringt Einnahmen aus Kartenverkäufen, Partnerschaften und Miete für Ausstellungsflächen. Mehr als 2500 Teilnehmer kommen, Markt und Mittelstand ist im Juni 2025 wieder Medienpartner. Förderprojekte mit dem Land Nordrhein-Westfalen sind bei der Founders Foundation ebenfalls im Programm. 

Ein Selbstläufer ist die Kooperation von Start-ups und Mittelständlern bei weitem nicht. So manchem Betrieb mangelt es Gross zufolge am Willen, etwas zu verändern und zusammenzuarbeiten, denn Transformation ist nicht einfach. „Ich höre sehr häufig: Ich habe so viele Herausforderungen und Mitarbeitende – für beides muss ich meine komplette Zeit aufwenden“, sagt der Founders-Foundation-Chef. Gleichzeitig stiegen Kosten, aktuellen komme noch die Zollproblematik hinzu. „Und dann kommen Mittelständler häufig zu dem Entschluss, dass man sich nicht auch noch um Kooperationen mit Start-ups kümmern kann.“

Ähnlich sieht es Rainer Seßner, Chef von Bayern Innovativ: „Eine der großen Herausforderungen des klassischen Mittelstands ist, dass er eine große Reife hat und dass er teils gesättigt ist.“ Und dann ist da noch ein anderer wichtiger Grund: „Die Mittelständler werden mit Start-ups konfrontiert, die in den Wettbewerb treten wollen, mit ihren Technologien, mit ihren Produkten“, sagt Seßner. Und allein das könne schon mal für eine enorme Abwehrhaltung bei etablierten Firmen sorgen. Wie die Founders Foundation in Ostwestfalen bringt Bayern Innovativ im Freistaat etablierte Firmen und Start-ups zusammen. „Wir schlagen einem Mittelständler solche Start-ups vor, die etwas lösen könnten, mit dem er Schwierigkeiten hat“, sagt Seßner. „Das läuft besser, als eine Branchenkonkurrenz aufzubauen.“ Er akzeptiert, dass Start-ups und Mittelständler „komplett unterschiedliche Sprachen sprechen“ und oft unterschiedliche Interessen haben. Beiden Seiten müsse klar werden, warum die andere Seite so handele und reagiere, wie sie es tue. „Dann zeigen wir auf, welche Chancen diese Kooperationen bieten – und zwar aus unseren Erhebungen.“

Oft treffen Leute aufeinander, die vielleicht gar nicht wussten, dass sie ein Problem haben, für das es eine Lösung draußen im Markt gibt. „Da gilt es auch immer mal wieder zu provozieren“, sagt der Bayern-Innovativ-Chef. „Wir arbeiten auf den Veranstaltungen viel mit Breakout-Sessions. Eine Erfahrung, die wir über die vergangenen 30 Jahre gemacht haben, ist, dass immer wieder herausragende Dinge entstehen. „Manchmal erfahren wir das erst viel später, wenn wir fragen: Was ist denn daraus geworden? Und dann kommt oft: Ach, stimmt ja, da haben wir den und den kennengelernt und mit dem zusammen eine neue Firma gegründet.“

Auch Hendrik Brandis, Co-Gründer und Partner bei Earlybird Venture Capital in München, glaubt fest daran, dass mit Mittelständlern und Start-ups „zwei synergetische Partner aufeinandertreffen, die, wenn es denn beide Seiten richtig machen, sehr voneinander profitieren können.“ Da sind die Hidden Champions aus dem Mittelstand, die seit häufig vielen Jahren kleinere oder mittelgroße Sektoren erfolgreich bearbeiten. Die etabliert sind, einen Markennamen haben, Distribution, Kunden, Cashflow kennen. Und auf der anderen Seite stehen disruptiv denkende Start-ups, die Dinge nicht evolutionär, sondern tatsächlich revolutionär angehen und damit Anstöße geben können zur Selbsterneuerung. „Start-ups können sehr von Mittelständlern profitieren“, sagt Brandis. „Und umgekehrt können Mittelständler sehr von Start-ups profitieren, weil sie häufig noch beweglicher und damit oftmals auch innovativer sind.“
 

Hervorragender Weg

Earlybird ist einer der größten Geldgeber für junge Firmen und hat deshalb ein Interesse daran, dass sie sich positiv entwickeln. „Dafür sind synergetische Kooperationen mit etablierten Unternehmen, und gerade auch mit innovativen Mittelständlern, ein ganz hervorragender Weg“, sagt Brandis. „Und je mehr Mittelständler bereit sind, einem Start-up erste Aufträge zu geben, desto besser.“ Für ihn lohnt sich die Zusammenarbeit von Mittelstand und Start-ups besonders in den Bereichen, wo für das Wachstum erhebliche Infrastrukturinvestitionen nötig sind.  Start-ups tun sich da schwer. Das gilt auch für öffentliche Ausschreibungen, gerade in sensiblen Bereichen wie Rüstung.

Bei aller Euphorie sieht aber auch Brandis das „Haben-Wir-Schon-Immer-So-Gemacht-Problem“ im Mittelstand als sehr groß an. „Sich für wirklich komplett quer gedachte Ansätze zu öffnen, ist eine Herausforderung.“ Das sei aber auch verständlich, wenn man über Jahrzehnte Erfolg habe und dann eine Truppe junger Start-up-Ingenieure mit einem völlig anderen Konzept komme. Es sei natürlich, zunächst auf Rechtfertigung und Verteidigung zu schalten. „Die Versuchung für Mittelständler, dann zu sagen, ,haben wir alles schon probiert‘, ist groß.“ Für Brandis liegt genau in solchen Momenten – wenn etablierte Unternehmen auf disruptive Ideen stoßen – die Chance, neue Generationen im Unternehmen zu fördern und Innovation voranzutreiben.

Eine weitere Gefahr ist, die Kooperation mit dem Start-up zu bürokratisieren. Wenn der große Mittelständler die Abteilung xy hat, die sich mit Start-ups beschäftigt und die Neulinge mit der mal reden sollten. „Dann weißt Du schon: Das könnte schwierig werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass das funktioniert, ist extrem gering“, meint Brandis. „Es geht nur, wenn tatsächlich irgendjemand in der Geschäftsleitung sagt: Wir sind offen, wir wollen Dinge grundsätzlich infrage stellen und sich dann tatsächlich hin und wieder in den Austausch einbindet.“
Er kennt aber auch auf Seite der Start-ups eine „konstruktive und eine weniger konstruktive Art“, mit etablierten Unternehmen umzugehen. Dazu gehöre zunächst der tiefe Respekt vor dem, was dort geschaffen wurde, was dort vorhanden ist und was nachweislich funktioniert hat. „Nur wenn beide Partner mit einem konstruktiven – dem aus meiner Sicht richtigen – Mindset an die Sache gehen, dann funktioniert es“, sagt Brandis.

Wie tief die Zusammenarbeit zwischen Mittelstand und Start-ups geht, hängt davon ab, was die Partner wollen. Eine klassische Kooperation mit hoher Unabhängigkeit und wenig Risiko auf beiden Seiten ist einfach. Schwierig wird es, wenn zum Beispiel der Mittelständler die Leistungen der jungen Firma exklusiv haben möchte – bis hin zum Kauf. „In dem Fall ist es eminent wichtig, den jungen Unternehmern, die beim Start-up die treibenden Kräfte sind, ein gehöriges Maß an Unabhängigkeit zu gewähren und sie auch unternehmerisch zu incentivieren“, sagt Brandis. „Solche Leute sind selten mit einer Festanstellung plus zwanzigprozentigem Bonus zufrieden.“ Es ist der Wunsch nach Planungssicherheit, der etablierte Unternehmen in diesem Fall umtreibt. Brandis kennt das Dilemma gut: „Was für Mittelständler manchmal auch schwer zu verdauen ist, ist die Tatsache, dass Start-ups natürlich immer in irgendeiner Art und Weise in ihrem Geschäft, ihrem Produkt risikobehaftet sind.“
Trotz all der Unterschiede sieht auch Romy Schnelle, Geschäftsführerin des High-Tech-Gründerfonds, eine große Innovationskraft, wenn Mittelstand und Start-ups ihre Stärken verbinden. „Erfolgreiche Kooperationen entstehen, wenn beide Seiten offen und partnerschaftlich zusammenarbeiten.“ Ihre Empfehlung an Mittelständler lautet: „Es reicht nicht, nur den technologischen Wandel zu beobachten. Entscheidend ist, früh die richtigen Netzwerke zu knüpfen, Zugang zu innovativen Köpfen zu schaffen und die eigene Innovationsstrategie konsequent weiterzuentwickeln.“ So wie bei Böllhoff, wo sie seit 150 Jahren wissen: Es braucht viel, damit zwei Dinge zusammenhalten.
 
 

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