Wirtschaft sollte jetzt LKW-Fahrer ausbilden – Bundeswehr warnt vor großem Konflikt
Die Bundeswehr geht aktiv auf die Wirtschaft zu und mahnt Unternehmen, sich mehr auf einen möglichen Konflikt vorzubereiten. Im Ernstfall könnte der Staat das Kommando im Betrieb übernehmen.
von Andreas Kempf
„Deutschland befindet sich nicht mehr im Frieden. Wir werden bereits angegriffen.“ Die Töne, die Oberstleutnant Jörn Plischke vor Mitgliedern der IHK Hamburg anschlägt, sind so ungewohnt wie deutlich.
Die Zeitenwende – so die Botschaft – ist nicht nur ein Thema für die Bundeswehr. Die stellt sich bereits seit dem Angriff Russlands gegen die Ukraine mit einer umfassenden Aufrüstung auf die neuen geopolitischen Bedingungen ein.
Bundeswehr sucht Dialog mit Wirtschaft: Sensibilisierung für die neuen Herausforderungen in Europa
Doch die Wirtschaft hat der Konflikt im Osten Europas augenscheinlich bisher lediglich durch höhere Energiekosten und Exportbeschränkungen erreicht. Für die meisten Unternehmen ist der Krieg weit weg vom eigenen Alltag.
Diesem Eindruck wollen die Militärs offenbar entgegentreten und versuchen die Wirtschaft für die neuen Zeiten zu sensibilisieren. Die Experten in Uniform wie Fallschirmjäger Plischke warnen: „Die historische Ausnahmesituation eines friedlichen Europas neigt sich mit brutaler Geschwindigkeit dem Ende zu.“
Entsprechend sucht die Bundeswehr das Gespräch mit der Wirtschaft. Konkret treten Vertreter der Landeskommandos bei Veranstaltungen von Kammern und Verbänden auf.
Operationsplan Deutschland (OPLAN)
„Operationsplan Deutschland“ (OPLAN) heißt eine gut 1000 Seiten umfassende Unterlage des Verteidigungsministeriums, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist. Ein Sprecher des Landeskommandos Bayern lässt durchblicken, dass es um Maßnahmen geht, wie im Krisenfall eine große Zahl von Menschen und Material quer durch die Republik bewegt werden kann.
Zudem listet die Unterlage beispielsweise alle Bauwerke und Infrastruktureinrichtungen auf, die aus militärischen Gründen besonders schützenswert sind.
OPLAN umfasst aber auch detaillierte Planungen bereits für den Spannungsfall. Das könnte ein russisches „Manöver“ an der Ostflanke der NATO sein. Aus so einer Konstellation ist im Februar 2022 ein Angriff auf die Ukraine entstanden. Deutschland würde dann zur Drehscheibe für Zehntausende, womöglich Hunderttausende Soldaten, die nach Osten transportiert werden müssten, dazu Kriegsmaterial, Lebensmittel, Medikamente.
Dienststellen der Bundeswehr prüfen demnach auch, welche Vorhalteverträge mit Unternehmen geschlossen werden müssen, um die Versorgung mit Lebensmittel und Treibstoff auf dem Weg zum Einsatzort sicherzustellen.
Bilden Sie Fahrer für den Krisenfall aus!
Tatsächlich ist die Logistik schon heute eine Achillesferse der deutschen Wirtschaft. Der Fachverband der Transporteure (BGL) beklagt schon seit Jahren, dass 100.000 Fahrer fehlen.
Aus Sicht der Bundeswehr ist nicht nur diese Lücke kritisch. Die Militärs raten den Unternehmen: „Bilden Sie mindestens auf hundert Mitarbeiter fünf zusätzliche LKW-Fahrer aus, die Sie nicht benötigen.“ Gut 70 Prozent aller Brummis deutschen Straßen würden von Osteuropäern bewegt. „Wenn dort Krieg ist, wo werden dann diese Leute sein?“
Der BGL bestätigt zwar auf Anfrage, stets im Austausch mit der Bundeswehr zu sein. An speziellen Vorbereitungen sei man aber nicht beteiligt. Das bedeutet: Im Notfall kann nur noch der Güter transportieren, der auch Fahrer in der Hinterhand hat. Zudem, so der Hinweis der Bundeswehrsprechers, müsse damit gerechnet werden, dass bei Krisen die Straßen von vielen Militärfahrzeugen belegt werden: „Just in Time“ wird dann schwierig.
Eindringliche Warnung: Die Zuspitzung nicht unterschätzen
Experten wie Plischke warnen eindringlich, die Zuspitzung im Osten Europas nicht zu unterschätzen. Die friedlichen Zeiten seien schon längst vorbei. Nach Informationen der deutschen Nachrichtendienste sei Russland in vier bis fünf Jahren Willens und in der Lage, weiter nach Westen anzugreifen.
Das Land habe längst auf Kriegswirtschaft umgestellt und investiere derzeit 75 Prozent des Bruttosozialproduktes in Rüstungsgüter.
So würden derzeit monatlich 25 neue Kampfpanzer gefertigt. In Deutschland seien es nur drei. Aus Sicht der Militärs werden
- Propaganda
- Drohnenüberflüge
- Waffenlagerfunde
- Attentatsplanungen auf CEOs
- Ausspähversuche
- Sabotage
- Cyberangriffe
- gekappte Seekabel
als Zeichen gewertet, dass die Gegenseite längst zur Strategie „Shaping the Battlefield“ übergegangen ist.
Für die Bundeswehr steht also fest: Russland bereitet sich bereits aktiv auf einen Krieg vor.
Was Unternehmen tun können
Der regelmäßig aktualisierte OPLAN umfasst zwar auch den zivilen Unterstützungsbedarf der Streitkräfte durch Unternehmen der Privatwirtschaft. Doch dafür müssten die Betriebe auch wissen, was auf die zukommt und welche Vorkehrungen sie treffen müssen. Allerdings gibt es bis heute dazu keine konkrete Anlaufstelle.
„Wir wollen bei der inneren Sicherheit nicht die Führungsrolle übernehmen“, betont der Sprecher in München. Dies sei Aufgabe der Innenministerien und deren nachgeordneten Behörden. Dazu zählt aus Sicht der Bundeswehr eine Verstärkung des Zivilschutzes.
Der Rat an die Betriebe:
- Einen Mitarbeiter in den Heimatschutz entsenden. Das koste im Jahr wenige Tage, in der Krise bestehe so aber ein direkter Draht zu den Leuten, die das Umfeld schützen werden. Zudem solle man einen weiteren Beschäftigten bei zu THW und Feuerwehr unterbringen.
- Mitarbeiter, die sich in diesen Bereichen engagieren, werden zunehmend in Großübungen eingebunden, bei denen das Zusammenspiel verschiedener Hilfskräfte auch grenzüberschreitend getestet wird.
So waren Ende Oktober zwischen Karlsruhe und Mannheim Einheiten aus Deutschland, Frankreich Belgien, Österreich und Griechenland unter den Titel „Magnitude“ an einem fiktiven Erdbebeneinsatz beteiligt. Geübt wurde unter anderem der koordinierte Einsatz in einem Trümmerfeld mit verschütteten Bussen und Straßenbahnen.
Die transnationale Kommunikation – beispielsweise mit dem militärisch aufgebauten Katastrophenschutz aus Frankreich - hat in diesem Fall die Bergwacht aus Freiburg koordiniert. In Hamburg gab es kürzlich eine erste gemeinsame Übung von zivilen Kräften und der Bundeswehr. Unter dem Titel „Red Storm Alpha“ stand der Schutz von Kaianlagen im Hafen vor Ausspähversuchen und Sabotageakten im Mittelpunkt.
Aus Sicht der Bundeswehr sind solche Übungen wichtig. Wer sich kennt und vertraut, werde schneller und besser reagieren, als jene, die erst Telefonnummer und Dienstweg finden müssen.
- Grundsätzlich sollten die Unternehmen ehrenamtliches Engagement in der Blaulichtfamilie und der Bundeswehr unterstützen, so Oberstleutnant Plischke, der selbst an mehreren Auslandseinsätzen beteiligt war.
- Die Experten der Bundeswehr raten zudem den Betrieben, den Eigenschutz zu verstärken. Das verbessere das Sicherheitsgefühl unter den Beschäftigten, sollte es doch zum Krisenfall kommen. Hier können viele Unternehmen auf die Notfallpläne aufbauen, die während der Pandemie und bei Überschwemmungen entstanden sind.
- Zu klären sei ferner, wer welche Aufgabe hat und wie die Versorgung von Strom, Wärme und Wasser möglichst gesichert werden kann.
Der Verband der Bayrischen Wirtschaft (vbw) hat alle gesetzlichen Regelungen in der Broschüre „Die Rolle der Wirtschaft im Verteidigungsfall“ zusammengefasst.
Staat hat umfassende Befugnisse
Die Unternehmen sollten allerdings auch wissen, dass sie im Krisenfall mehr in die Gefahrenabwehr eingebunden werden, als sie möglicherweise wissen.
Eine Andeutung konnten die Betriebe während der Gasversorgungskrise erleben, als die Bundesregierung kurz davor war, ihre Zuteilungspläne aus den Schubladen zu holen. Der OPLAN baut auf einem bestehenden Rechtsrahmen auf, der bereits aus den Zeiten des Kalten Krieges stammt. Dabei sieht der Gesetzgeber keine konkreten Einzelmaßnahmen vor.
Er eröffnet aber öffentlichen Stellen rechtlich die Tür zu allen möglichen Eingriffen. Begrenzt werden diese Befugnisse im Wesentlichen nur durch die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Notwendigkeit.
Ein weiters Feld. „Das läuft dann jeweils auf lageabhängige Entscheidungen hinaus und macht konkrete Prognosen schwierig“, warnt der Chef des Verbandes der Bayrischen Wirtschaft (vbw), Bertram Brossardt.
Seine Organisation hat vor wenigen Wochen alle gesetzlichen Regelungen in der Broschüre „Die Rolle der Wirtschaft im Verteidigungsfall“ zusammengefasst und auf der eigenen Webseite veröffentlicht. „Wenn es zur Abwendung schwerwiegender Gefahren unerlässlich sein sollte, würden die Regelungen sogar eine Umstellung der gesamten Wirtschaft auf Planwirtschaft durch den Staat ermöglichen“, stellt Brossardt in seinem Vorwort fest.
Links:
- Zur Broschüre "Die Rolle der Wirtschaft im Verteidigungsfall"
- Zum "Industriedialog" (Bundesministerium der Verteiligung)
- Zum Konzept des Bundesministeriums der Verteidigung zur Stärkung des wehrtechnischen Mittelstands
- Zur Zeitenwende in Politik, Gesellschaft und Truppe; Stichwort: Kriegstüchtigkeit