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Zehn Gründe, an denen Innovationen scheitern

Gerade in Corona Zeiten wird der Ruf nach neuem Denken und Innovationsgeist lauter. Doch Deutschlands Mittelstand tut sich schwer mit kreativen Ideen. Was die Innovationsbremsen sind und wie man ihnen begegnen kann, erklärt Unternehmensberater Albrecht von Bonin.

Markt und Mittelstand: Sie sagen, neue Produkte, Dienstleistungen, Digitalisierung, innovative Arbeits- und Kommunikationsprozesse, aber auch neue Wege der Mitarbeiterrekrutierung bilden letztlich die Voraussetzung für den Erfolg nach der Corona bedingten "Schockstarre". Wie kann es gelingen, mit Innovationen gestärkt aus der Krise hervorzugehen?

Albrecht von Bonin: Wer sich kontinuierlich mit Innovationsmanagement beschäftigt, hat bereits vor der Pandemie feststellen müssen: nicht selten erreichte die überwältigende Mehrheit innovativer Lösungen nie die Marktreife – geschweige denn die Umsetzung in die Praxis.

Was ist der Grund dafür?

Unternehmen unterschiedlichster Branchen sind beim Thema Innovationsmanagement häufig mit angezogener Handbremse unterwegs. Untersuchungen zeigen zum Beispiel bei Investitionsgütern wie Maschinenbau, Elektrotechnik oder Anlagenbau, selbst in der Bauindustrie, Flop-Raten bis 75 Prozent, bei Konsumgütern sind gar bis 90 Prozent an der Tagesordnung. Selbst in der Hospitality Industry sind nachhaltige Innovationen rar. Im War for Talents haben Personalentscheider schon verzweifelt aufgegeben, die Misserfolge zu zählen, wenn sie neue Wege im Werben um Spitzenkräfte ausprobiert haben.

Was ist Ihr Fazit für erfolgreiches Innovationsmanagement?

Um wirklich innovativ sein zu können, müssen wir die Handbremsen in unseren Köpfen endlich lösen. Innovation ist anstrengend. Es braucht mehr als "Try and error". 90 Prozent aller Innovationen, die auf den Markt kommen oder in den Unternehmen umgesetzt werden, sind Verbesserungen bestehender Produkte, Verfahren oder Dienstleistungen. Nur gerade 10 Prozent sind so genannte radikale Innovationen. Das ist eindeutig zu wenig für das "Land der Dichter und Denker", wenn wir als Nation Innovationstreiber sein wollen. Ich frage Sie: können wir uns am Standort Deutschland angesichts der globalen Herausforderungen für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft einen Mangel an Innovation überhaupt noch leisten?

Zehn Gründe, an denen Innovationen scheitern

  1. Wir leisten uns keine Helikopter-Perspektive: Stattdessen lassen wir uns im Tagesgeschäfts (Hamsterrad!) davon ablenken, unsere Prozesse, Produkte, Dienstleistungen regelmäßig aus kritischer Distanz zu betrachten. Läuft wirklich alles optimal, sind wir tatsächlich die Besten? Nicht umsonst heißt es "Operative Hektik ersetzt geistige Windstille". So blockieren wir unsere Kreativität. Ruhe, Abstand und Out-of-the-Box-Denken führen da schon eher zu außergewöhnlichen Ideen.

  2. Unsere Ideen sind zwar genial, aber sie berücksichtigen nicht die Anforderungen der Zielgruppe: Innovationen sind umso erfolgreicher, je besser sie die Erwartungen und Wünsche der Betroffenen erfüllen. Doch warum gelingt uns das nicht? Die Antwort: Wir entwickeln die Idee, ohne die Zielgruppe vorher zu befragen. Wir glauben aus der Verliebtheit in die eigene Idee zu wissen, was Betroffene wollen. Weil wir es verlernt haben, neugierig zu sein. Wir sollten uns an Kindern orientieren. Was tun die, wenn sie etwas unbedingt haben wollen? Sie nerven. Sie stellen tausend Fragen. Sie können Erwachsene an den Rand der Verzweiflung bringen. Kinder nutzen ihre Neugier, um etwas zu bekommen, zu lernen und zu wachsen. Warum fragen wir nicht auch ständig! Kunden. Lieferanten. Wettbewerber. Mitarbeiter. Freunde. Kinder. Kollegen – warum nicht auch Bewerber (Stichwort Employer Branding)? Externe Blickwinkel bieten oft schon die Lösung eines Problems. Fragen wir sie alle nach ihren Sorgen und Wünschen. Augen und Ohren auf und den Spürsinn auf Empfang stellen: Wer gut zuhört und beobachtet, ist schon nahe dran an einer Innovation.

  3. Wir stecken uns zu selten ehrgeizige Ziele:Der Leitspruch der NASA lautet: "Nur wenn man das Unerreichbare anstrebt, gelingt das Erreichbare". Nur wenn wir uns hohe Ziele stecken, wird die innovative Idee ein Erfolg. Wenn wir uns selbst stark fordern, schöpfen wir unser ganzes kreatives Potenzial aus. Unternehmen müssen sich und ihre Mitarbeiter mehr fordern, damit sie – bildlich gesprochen – auf den Zehenspitzen stehen, um Neues zu entwickeln.

  4. Wir besinnen uns nicht auf unsere Stärken: Es ist wesentlich vorteilhafter, wenn Innovation nicht gleich Diversifikation bedeutet. Das Neue gestaltet sich ohnehin schwierig genug. Statt anderen mit ihren Innovationstrends hinterher zu rennen, sollten wir uns auf unsere eigenen Stärken konzentrieren. Man muss sich nicht noch in einem Bereich ausprobieren, von dem man wenig oder gar nichts versteht. Ein Beispiel: Ein mittelständischer Maschinenbauer gründete eine Führungskräfte-Akademie, um damit dem Markt seine Innovationskraft zu demonstrieren, den Nachwuchs aufzubauen und im Employer Branding gegenüber dem Wettbewerb zu trumpfen. Schnell musste man feststellen, dass man über seriöse Expertise in der Führung dieser Bildungsstätte nicht verfügte. Daraus wurde ein blamabler Flop. Erfolgreiche Unternehmen innovieren bevorzugt in Bereichen, in denen sie sich auskennen. Die Erfolgswahrscheinlichkeit bei der Diversifikation ist rund fünf Mal geringer als in bekannten Märkten und/oder Technologien.

  5. Es fehlt an Systematik und Kontinuität im Innovationsprozess: Wir gestalten den Innovationsprozess nicht systematisch genug und verankern ihn nicht konsequent in der Unternehmenskultur. Alles soll schnell gehen. Ergebnisse am besten gestern! Von Geduld keine Spur. Nein, wir müssen dafür sorgen, den Strom an neuen Ideen langfristig aufrecht zu erhalten. Innovationen im Vorbeigehen führen nicht zum Erfolg. Ein richtig konzipierter Innovationsprozess verhindert, dass Ideen mit viel Aufwand entwickelt werden, sich später als Fehlschlag entpuppen. Nicht Aktionismus ist gefragt, sondern systematische Planung, Durchführung, Ergebnisanalyse. Schauen Sie sich an, wie häufig angeblich geniale Erfindungen auftauchen, aber nach dem ersten Versuch scheitern und wieder in der Versenkung verschwinden, weil sich niemand an die nachhaltige Verwirklichung der Idee und ihre Skalierbarkeit gemacht hat. Mein Tipp: Vielleicht nicht gleich das große Roll Out, sondern erst mal ein Test im Kleinformat. Was haben wir uns vorgenommen, was wollen wir erreichen, mit welchem Ziel, mit welchen Maßnahmen? Wie steht’s mit dem Kosten-Nutzen-Vergleich? Und hinterher: Was hat’s gebracht? Wo sind Kurskorrekturen erforderlich?

  6. Wir sind nicht bereit, in Innovation zu investieren: Viele Unternehmen trauen sich nicht, in eine gute Idee zu investieren, weil sie befürchten zu scheitern. Das ist oft ein Zeichen dafür, dass noch nicht alle Hausaufgaben gemacht sind und die Unsicherheit über das Risiko zu groß ist. Wer eine außergewöhnliche Innovation vorantreiben will, sollte vorher die Rechnung aufmachen "Was kostet das und was bringt das". Wenn dabei der Nutzen überwiegt, ist ein realistisches Innovationsbudget erforderlich – und der Mut, es auch auszugeben.

  7. Uns fehlt das Feuer der Begeisterung:Spielerisch Ideen zu generieren, macht Spaß. Man müsste, man sollte, man könnte vielleicht…. Doch aus den Ideen echte Innovationen zu entwickeln, sie zur Marktreife zu führen, ist in erster Linie eines: harte Arbeit. Es gibt dabei eine wichtige Charaktereigenschaft, die enorm hilfreich ist: Disziplin! Sie bildet die Brücke zwischen Gedanken und Vollendung, zwischen Notwendigkeit und Produktivität. Alle Erfolge liegen, bildlich gesprochen, stromaufwärts. Sie zu erreichen, bedeutet reißende Strömungen und Hindernisse mit Energie und der Macht der Begeisterung zu überwinden. Das gelingt selten allein im stillen Kämmerlein. Es muss daher gelingen, Mitstreiter (Pioniere) zu gewinnen, sie für die Innovation zu begeistern und mitzunehmen auf dem Weg zum Ziel. Es braucht das Feuer der Begeisterung. Es gibt wohl kaum etwas auf dieser Welt, das einen größeren Zauber entfaltet als die Begeisterung. Wie kann man dieser ungeheuren Macht widerstehen? Manchmal begegne ich Menschen, die sagen: "Schön und gut, ich bin doch wohl schon etwas zu alt für solche Spleens." Ich bedauere diese Menschen zutiefst. Und ich weiß als Consultant und Unternehmer, wovon ich spreche. Wenn ein Mensch sich zu alt fühlt, um für eine tolle Idee zu "brennen", erst dann ist er wirklich alt! Und dann wird er zur Bremse für Innovation.

  8. Das Top Management steht nicht wirklich hinter der Idee: Wenn die Innovationstreiber im Unternehmen spüren, dass die Geschäftsleitung nur halbherzig bei der Sache ist, sind Demotivation und Scheitern vorprogrammiert. Nein, Innovation ist Chefsache. Innovationsleistungen ohne klare Unterstützung durch das Top Management führen selten zum Erfolg. Sie fühlen sich eher an wie "ein bisschen schwanger". Die Chefetage muss die Standards setzen und sicherstellen, dass die gesamte Organisation für die Innovation "brennt" und die Begeisterung nachhaltig bleibt. Nicht das krampfhafte Festhalten an Bestehendem, am Verwalten der Komfortzone, sondern das Neue muss für die Mitarbeiter "sexy", attraktiv und lohnend sein. Und am Ende sollten die Initiatoren und Ideenmacher auch öffentliche Anerkennung genießen dürfen.

  9. Wir sind ängstlich und hassen Risiken: Innovationen sind von Natur aus riskant. Die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns ist groß. Riskante Vorhaben erfordern nicht nur Risikobereitschaft und Mut, sondern vor allem exzellente und sorgfältige Vorbereitung. Wenn wir Innovationskraft im Unternehmen wirklich wollen, dann bedarf es als erstes einer Kultur, die Fehler zulässt. Sonst bleiben die noch so innovativen Ideen und Strategien in den aus Angst etablierten Kontrollmechanismen hängen. Dabei bedeutet doch gerade innovativ zu sein, zu experimentieren. Wer es nicht schon getan hat, sollte sich von der Vorstellung verabschieden, dass Fehler per se schlecht sind und sanktioniert werden müssen. Warum belohnen wir stattdessen nicht den Mut zum Risiko, statt Fehlversuche zu bestrafen? Ein bekannter Fußballtrainer wusste: "Nur wer es wagt, auf das Tor zu schießen, hat die Chance zu gewinnen".

  10. Die Suche nach stromlinig angepassten Managern ist weiterverbreitet als Placements mit quergestreiften Zebras: Immer noch häufig anzutreffen sind bei der Suche nach Führungskräften konventionelle Auswahlverfahren. Ausbildungszeugnisse, Diplome, Promotionen und lückenlose Lebensläufe stehen höher im Kurs als der Blick auf Soft Skills wie Kreativität, Innovationsgeist, Mut, Tatkraft, Gestaltungswillen, Experimentierfreude, Empathie, Verantwortungsbewusstsein einer Führungskraft. Dafür gibt es spezielle Auswahlverfahren. Wie können wir von unseren Managern erwarten, dass sie Begeisterung für Innovation und Mut zur Veränderung bei ihren Leuten entfachen, Menschen inspirieren, über sich hinauszuwachsen, wenn sie selbst nur zaghaft auf "Nummer sicher" und aus Angst vor Fehlern in ihrer Komfortzone agieren?

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