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Personal > ZF Friedrichshafen verlagert Produktion in die Türkei – Grund: Die Bürokratie in der EU

ZF Friedrichshafen: Warum es Deutschlands Top-Auto-Zulieferer in die Türkei zieht

ZF Friedrichshafen zieht es in die Türkei. Der traditionsreiche Getriebehersteller passt sich dem Wandel der Automobilindustrie an und verlagert Teile der Produktion. Die Gründe: bessere politische und wirtschaftliche Bedingungen.

Der Vorstandsvorsitzende des ZF-Konzerns (ZF Friedrichshafen AG) Holger Klein steigt während des Hon Hai Tech Day aus dem Elektroauto Foxtron Model C aus. Bild: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Chiang Ying-ying

Die einst unter dem Namen “Zahnradfabrik Friedrichshafen” firmierende ZF, längst ein Technologiekonzern mit internationaler Präsenz, sieht sich in der Heimat einer Fülle von Herausforderungen gegenüber, denen man nun mit teils radikalen Vorhaben begegnet. Viele Investitionen stehen an unter anderem, weil Zahnräder in elektrogetriebenen Autos seltener zum Einsatz kommen. Schwerpunkte beim Geldausgeben Geldausgeben sind allerdings weder Deutschland noch die Europäische Union, sondern Länder weiter außerhalb. Und dafür haben die Friedrichshafener gute Gründe.

Bisher arbeitet das Unternehmen, nächstes Jahr wird es 110 Jahre alt, mit seinen zahlreichen Standorten in 31 Ländern noch mit einem wesentlichen Standbein in der Heimat: 54.000 Leute sind hierzulande bei ZF beschäftigt, und während man weiter Fachleute sucht, stehen die Zeichen in der Stoßdämpferproduktion zum Beispiel am Standort Eitorf (NRW) unverändert auf Schließung 2027. Schon im März sagte Vorstandschef Holger Klein, er glaube nicht, dass man 2030 noch so viele Beschäftigte (in Deutschland) haben werde wie heute. Es sei denn, es ließen sich drastische Kosteneinsparungen umsetzen. Ansonsten – 12.000 der genannten Arbeitsplätze stehen auf der Kippe. Damit ergibt sich auch bei ZF, wie etwa bei Bosch, Miele oder auch Continental eine auf den ersten Blick paradoxe Situation: Während jedes dieser Urgesteine der deutschen Industrie und deren sprichwörtlicher Tüftlerqualitäten innovative Produkte und Verfahren entwickelt, ist am Standort Deutschland damit kein auskömmliches Wirtschaften mehr möglich. Die „Wirtschaftswoche” titelte schon Anfang des Jahres über die Zulieferbranche: „Die Delivery Heroes der Autobranche wandern ab” und führte über 70 Standorte auf, die von Schließung oder Schrumpfung betroffen sein dürften.

Beispiel ZF: Gerade heimst das Unternehmen, überwiegend im Besitz der Stadt Friedrichshafen und einer Stiftung, zahlreiche Anerkennungen und gar Lobeshymnen ein für sein neues Antriebssystem für E-Bikes, ZF Bike Eco System genannt, das erstmals alle Komponenten in einer Einheit vereint, inklusive Batterie, und online upzudaten ist. Auf der Messe „Eurobike” zeigten sich die Fahrradhersteller angetan. Nachdem die Kompetenz des ehemaligen reinen Autozulieferers keine Frage mehr zu sein scheint, stellt sich hingegen die nach den Produktionsstandorten, sei es für Stoßdämpfer, Fahwerksteuerung oder eben Elektromotoren. Oder Komponenten für Windkraftwerke.

CEO Klein bezifferte im Frühjahr die bis Ende 2026 geplanten, weltweiten Investitionen auf fast 18 Milliarden Euro. Davon gingen zum Beispiel rund 10,6 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung. Sollte die Wettbewerbsfähigkeit des Autozulieferers gesteigert werden, könnten 30 Prozent dieser Investitionen nach Deutschland fließen: Es gebe viele Vorteile des Heimatstandorts, aber auch Nachteile im internationalen Wettbewerb, so Holger Kleins eher nüchterne Bestandsaufnahme.

Bei vielen künftigen Aufgaben haben jedoch die drei bereits vorhandenen Niederlassungen in der Türkei die Nase vorn. Sie sind günstiger, und nicht sehr weit entfernt und: Sie unterliegen nicht der Regulierung, wie sie die EU verbreitet. Wie ein ZF-Unternehmenssprecher bestätigt, sind generell viele unterschiedliche Prduktionsbedingungen zu betrachten: „Für Standortentscheidungen sowie die Frage, welche Produkte an welchen Standorten produziert werden, spielen zahlreiche Faktoren eine Rolle. Maßgeblich sind in erster Linie die Wettbewerbsfähigkeit und die Nähe zum Kunden, um stabile Lieferketten zu gewährleisten, doch auch politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen fließen in diese Entscheidungen mit ein.”

Die Problemfelder:  

Damit liegt der Ball im Feld der Politik und der Verwaltung mit ihrer zunehmenden Regulierung. Denn, so sehen es vor allem auch Gewerkschafter, an der Kompromissfähigkeit der deutschen Arbeitnehmer dürfe man nicht zweifeln, wenn es um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze geht. So sei das Enddatum von 2027 (statt deutlich früher) für die Eitorf-Produktion vor allem auf Initiativen und Druck der Mitarbeiter zurückzuführen. An den politischen Rahmenbedingungen aber, die ein gewichtiges Standortargument sind, könnten die Betroffenen nichts ändern. Der ZF-Sprecher kleidet es in optimistische Worte: „Was den Industriestandort Europa angeht, so hoffen wir auf dessen Stärkung. Themen wie Ausbildung und Infrastruktur, Energiekosten und Versorgungssicherheit, Steuerlast und Sozialabgaben wie auch ein unterstützender Regulierungsrahmen sind wichtige Elemente. Zu letzterem gehören auch schnellere Genehmigungsverfahren, eine Minderung der Berichtspflichten und ein technologieoffener Rahmen, in dem Unternehmen wirtschaften.”

 

Damit sind aber auch die Problemfelder deutlich benannt. Wie die Chancen stehen, dass sowohl Brüssel als auch Berlin eine glatte Kehrtwende hinlegen, will man nicht einordnen. Die aber wäre es wohl, wollte man die Wünsche des Unternehmens erfüllen. Gerade erst sind jedoch im Gegenteil neue Belastungen für die Wirtschaft hinzugekommen, das berüchtigte Lieferkettensorgfaltsgesetz ist da nur ein besonders hervorstechendes Beispiel, das nun zunehmend auch Mittelständler beschäftigt (für die es gar nicht gedacht war). Gemäß dem Gesetz der unbeabsichtigten Folgen laden die Großkonzerne gern Dokumentations- und Berichtspflichten bei ihren Zulieferern ab. Für die größeren Mittelständler lediglich teuer, für die kleineren geradezu existenzgefährdend.

Denn: Schon Anfang Juni konstatierte der Verband der Deutschen Automobilindustrie (VDA), dass wohl jedes zweite Unternehmen der Branche Arbeitsplätze abbauen werde. VDA-Präsidentin Hildegard Müller zitierte aus der neuesten Umfrage des VDA unter Autozulieferern und Fahrzeugherstellern im Mittelstand: Da gaben gut acht von zehn (82 Prozent) Unternehmen an, eigentlich geplante Investitionen in Deutschland zu verschieben, zu verlagern oder ganz zu streichen. So plant mehr als jedes dritte Unternehmen (37 Prozent) eine Investitionsverlagerung ins Ausland. Und: „83,3 Prozent der befragten Unternehmen geben an, durch Bürokratie stark oder sehr stark belastet zu sein. Damit ist sie Herausforderung Nr. 1 für den automobilen Mittelstand”, so der VDA.

Dicht am Geschehen ist Jens Katzek, Geschäftsführer des Automotive Cluster Ostdeutschland (ACOD). In den ostdeutschen Ländern bedeutet die Schließung eines Standortes oft gleichzeitig, dass eine Region schwer getroffen wird, denn die Strukturen sind nicht üppig ausgebaut, Unternehmensstandorte eher rar. Dies gilt zum Beispiel für den Autozulieferer Marelli, Thüringen: „Die jüngsten Entwicklungen in der Automobilindustrie zeigen, dass immer mehr mittelständische Unternehmen ihre Investitionen ins Ausland verlagern. Dies hat erhebliche Konsequenzen für den Wirtschaftsstandort Deutschland und unsere Gesellschaft”, so Katzek. Und: „Die Verlagerung der Produktionen der Zulieferer ist im vollen Gange, und Zulieferer, die jetzt im Ausland investiert haben, kommen nicht mehr zurück.“

Derweil sehen Betriebsräte und Gewerkschaften wie auch Personaldienstleister bereits eine weitere Verschärfung kommen. Denn nach der Produktion stehen die Zeichen auch für bisher kaum betroffene Unternehmensbereiche auf Abwanderung. Das kann von der Buchhaltung und Verwaltung über die Softwareprogrammierung bis hin zu Forschung und Entwicklung zahlreiche Sparten eines Herstellers treffen. Headhunter, mit dem Ohr am Puls der Zeit, sehen bereit den nächsten Trend: Hochqualifizierte Führungskräfte streben gar nicht mehr nach dem Job in Deutschland, wo sie sich ihren Arbeitgeber fast schon frei aussuchen könnten. Es zieht auch sie zunehmend ins Ausland – am liebsten bei einer Niederlassung eines deutschen Mittelständlers.
 

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