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Politik > Macrons "Choose France"-Gipfel

Investoren lieben Versailles: Was Deutschland von Frankreichs Wirtschaftsshow lernen muss

Frankreich feiert Milliarden-Deals in Versailles – und Deutschland plant für 2026. Warum Macron Wirtschaft kann und Berlin Nachhilfe braucht.

Macron empfängt Investoren im Schloss am 19. Mai 2025 – beim „Choose France“-Gipfel zeigt er, wie Standortpolitik geht. Und Deutschland? Wartet auf 2026.(Foto: picture alliance)

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Während Deutschland 2024 mit nur 608 ausländischen Investitionsprojekten den niedrigsten Wert seit 2011 verzeichnet – ein Rückgang um 17 Prozent – zieht Frankreich das sechste Jahr in Folge mehr ausländische Direktinvestitionen an als jedes andere europäische Land. Allein beim diesjährigen "Choose France"-Gipfel sammelte Präsident Emmanuel Macron Zusagen in Höhe von über 20 Milliarden Euro ein – ein neuer Rekord nach 15 Milliarden im Vorjahr.

Der Kontrast könnte kaum größer sein. Während Deutschland mit hohen Energiepreisen, Bürokratie und Fachkräftemangel kämpft, empfängt Macron zum achten Mal internationale Konzernchefs im prunkvollen Schloss Versailles. Microsoft, Amazon, Pfizer und zahlreiche andere Unternehmen sagen Milliarden-Investitionen zu. Die Botschaft ist klar: In Frankreich ist Wirtschaftsförderung Chefsache.

Versailles statt Videocall: Macrons persönlicher Ansatz

Was Frankreichs Standortpolitik auszeichnet, ist der persönliche Einsatz des Staatspräsidenten. "Bei den Investitionen, die wir anziehen wollen, hat der persönliche Kontakt einen großen Stellenwert für die Chefs", erklärte Macron selbst. Die Topmanager schätzten es, "Qualitätszeit mit anderen Entscheidern an einem wunderschönen Ort verbringen zu können."

Diese Strategie zahlt sich aus. Mehr als 40 Geschäftsführer aus aller Welt werden beim diesjährigen "Choose France"-Gipfel erwartet – von Goldman Sachs und Netflix über die Staatsfonds aus Katar und Singapur bis zu den Vorstandsvorsitzenden von Siemens, BASF und EnBW. Vor dem Abendessen in Versailles sind Hunderte bilaterale Gespräche mit dem Präsidenten, Ministern und Führungskräften französischer Unternehmen geplant.

"Wir müssen täglich neue Anmeldungen ablehnen", heißt es aus dem Élysée-Palast. Man lade gezielt Unternehmenschefs ein, "von denen wir wissen, dass sie Investitionsprojekte in der Pipeline haben, und die wir mit dieser besonderen Einladung dazu bewegen und davon überzeugen möchten, ihre Investitionen in Frankreich zu tätigen."

Mehr als nur Show: Frankreichs struktureller Ansatz

Der "Choose France"-Gipfel ist jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Im Hintergrund arbeiten Ministerien und Behörden das ganze Jahr über an neuen Investitionszusagen. Die Außenwirtschaftsagentur "Business France" veranstaltet Ableger im Ausland, 2024 gab es auch in Berlin eine "Choose France"-Konferenz.

Patrick Brandmaier, Hauptgeschäftsführer der Deutsch-Französischen Industrie- und Handelskammer, beschreibt die Initiative als "straff durchdekliniertes Programm, bei dem der Élysée-Palast den Takt vorgibt und die Ministerien, Business France und die Unternehmen Hand in Hand zusammenarbeiten". Zahlreiche eingeladene Firmen hätten von Investitionsprogrammen wie "France 2030" oder Macrons Wirtschaftsreformen profitiert.

Die Bilanz kann sich sehen lassen: Laut Élysée-Palast wurden nur rund zehn von insgesamt 178 Investitionsprojekten, die in den vergangenen Jahren rund um "Choose France" angekündigt wurden, nicht umgesetzt. Die Initiative lockte nach Angaben des Präsidentenpalastes in den vergangenen sieben Jahren ausländische Investitionen von 47 Milliarden Euro nach Frankreich.

Faktenbox: Investitionsstandort Frankreich vs. Deutschland

Die Zahlen zeigen deutliche Unterschiede zwischen den beiden größten EU-Volkswirtschaften bei der Anwerbung ausländischer Investitionen:

  • Frankreich:
    Sechs Jahre in Folge Spitzenreiter bei ausländischen Direktinvestitionen in Europa laut EY. Der "Choose France"-Gipfel 2024 brachte Zusagen über 20 Milliarden Euro, nach 15 Milliarden im Vorjahr. Insgesamt wurden seit Beginn der Initiative Investitionen von 47 Milliarden Euro eingeworben.
  • Deutschland:
    Nur 608 ausländische Investitionsprojekte im Jahr 2024 – ein Rückgang um 17 Prozent und der niedrigste Wert seit 2011. Deutsche Unternehmen verlagern zunehmend ihre Aktivitäten ins Ausland. Die neue Bundesregierung plant eine große internationale Investorenkonferenz für 2026.
  • Erfolgsquote:
    Von 178 in Frankreich angekündigten Investitionsprojekten wurden laut Élysée-Palast 168 tatsächlich umgesetzt – eine Quote von über 94 Prozent.

Die Geschichte der Investorenwerbung

Der Wettbewerb um ausländische Direktinvestitionen hat eine lange Tradition in der Wirtschaftsgeschichte. Bereits im 19. Jahrhundert lockten Staaten mit Steuervorteilen und Infrastrukturversprechen ausländisches Kapital an.

  • Die USA etwa warben ab den 1850er Jahren aktiv um europäische Investoren für den Eisenbahnbau.

  • Japan holte ab 1868 nach der Meiji-Restauration gezielt ausländisches Know-how ins Land.

  • Irland positionierte sich ab den 1960er Jahren mit niedrigen Unternehmenssteuern erfolgreich als Investitionsstandort und lockte zahlreiche US-Konzerne an.

  • Singapur revolutionierte in den 1980er Jahren die Investorenakquise mit seinem „Economic Development Board“, das als One-Stop-Agency für internationale Investoren fungierte.

  • Deutschland setzte historisch stärker auf seine industrielle Basis und Exportstärke als auf aktive Investorenwerbung. Die Gründung der Bundesagentur für Außenwirtschaft (heute Germany Trade & Invest) erfolgte erst 2009 – deutlich später als vergleichbare Institutionen in anderen Ländern.

  • Frankreich etablierte bereits 2001 mit der „Agence Française pour les Investissements Internationaux“ (heute Business France) eine zentrale Anlaufstelle für ausländische Investoren.

Die Finanzkrise 2008/2009 markierte einen Wendepunkt: Während Deutschland auf seine industrielle Stärke setzte und relativ schnell aus der Krise kam, begann Frankreich unter Präsident Sarkozy (ab 2007) und später unter Hollande (2012–2017), aktiver um Investoren zu werben. Mit Macrons Amtsantritt 2017 und der Einführung des „Choose France“-Formats wurde dieser Ansatz auf eine neue Stufe gehoben.

Die historische Lektion ist eindeutig: Länder, die proaktiv und auf höchster politischer Ebene um Investoren werben, haben langfristig Vorteile im internationalen Standortwettbewerb.

Standortpolitik braucht Führung

Frankreichs Präsident macht Standortpolitik zur Chefsache – mit greifbarem Erfolg. Emmanuel Macron überzeugt Investoren nicht nur durch Programme, sondern durch Präsenz, strategische Planung und politischen Willen. Es ist eine moderne Form des Dirigismus: keine staatliche Lenkung im klassischen Sinne, sondern gezielte Rahmensetzung auf höchster Ebene.

Deutschland hingegen bleibt in der Tradition der Sozialen Marktwirtschaft verhaftet – mit einem starken Fokus auf Rahmenbedingungen, aber wenig aktiver Kommunikation. Doch in einem globalen Wettbewerb um Kapital, Innovation und Talente reicht Passivität nicht mehr aus. Wer heute nicht wirbt, verliert morgen.

Die für 2026 geplante Investorenkonferenz ist ein Schritt in die richtige Richtung – aber ein später. Jetzt ist Führungsverantwortung gefragt: Friedrich Merz (CDU), Katherina Reiche (CDU) und Lars Klingbeil (SPD) sollten sich als aktive Standortbotschafter verstehen – als oberste Handelsvertreter einer Volkswirtschaft im Wandel.

Deutschland bringt viel mit: zentrale Lage, hohe Lebensqualität, starke Infrastruktur, Sicherheit und Innovationskraft. Aber diese Stärken entfalten erst dann Wirkung, wenn sie international sichtbar gemacht und glaubwürdig vertreten werden – mit persönlichem Engagement und politischer Rückendeckung. Auf höchster Ebene.

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