CDU's "Agenda 2030": Schröders Geist in neuem Gewand?
Die CDU verspricht Wachstum. Die wirtschaftspolitische Sprecherin Julia Klöckner erklärt, wie das funktionieren soll. Weniger Steuern für Unternehmen sind gesetzt.

Von Thorsten Giersch
Ausgerechnet Gerhard Schröder! Als die CDU ihr Wirtschaftsprogramm „Agenda 2030“ vorlegt, fühlen sich viele an den SPD-Kanzler erinnert, der seinerzeit eine „Agenda 2010“ für Arbeitsmarkt- und Steuerreformen ausrief. Es gibt neben dem Namen auch inhaltliche Parallelen: Die Reform des Bürgergelds hin zu einer neuen Grundsicherung, die die CDU plant, ist nah dran an Schröders „Fördern und Fordern“ der Hartz-IV-Reform. Wenn mehr als eine Million Stellen nicht besetzt sind und jemand nicht arbeiten will, darf der Staat Leistungen streichen –
so der Gedanke in beiden Fällen. Auch die Steuerpläne der CDU ähneln denen der „Agenda 2010“. Die größte Gemeinsamkeit dürfte aber der Druck sein, etwas verändern zu müssen.
„Es darf kein ‚Weiter so‘ mehr geben. Unser Wirtschaftsstandort muss schnell wieder wettbewerbsfähig werden. Dafür müssen wir die strukturellen Probleme anpacken und für alle Unternehmerinnen und Unternehmer in unserem Land wieder mehr Freiräume schaffen“, sagt Julia Klöckner im Gespräch mit Markt und Mittelstand. Die wirtschaftspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist eine Kandidatin für das Bundeswirtschaftsministerium. Sie will Steuern und Strompreis senken, Bürokratie abbauen und vor allem wieder mehr Leistungsanreize bieten „statt sozialer Hängematte“. Nach den Umfragen liegen CDU und CSU bei der Bundestagswahl in Führung und werden sehr wahrscheinlich den Regierungschef stellen. Insofern hat die „Agenda 2030“ gute Chancen, auch umgesetzt zu werden.
Die CDU verspricht Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts (BIP) „von mindestens zwei Prozent“ – nicht zuletzt durch die Verteidigungsindustrie. Wenn eines Tages jährlich drei Prozent des BIP in die Landesverteidigung fließen, komme das der Wirtschaft insgesamt zugute, so der Plan. „Die deutsche und europäische Verteidigungsindustrie braucht einen echten Schub“, heißt es in der „Agenda 2030“. Dies sei „zwingend für unsere Sicherheit – und schafft Wachstumsperspektiven“. Impulse will die CDU vor allem über „die umfassendste Steuerreform seit Jahrzehnten“ freisetzen.
Ende des Solidaritätszuschlags
Sie soll von 2026 in vier Jahresschritten kommen. Es gibt allerlei für Gutverdiener: Die CDU will den Spitzensteuersatz von 42 Prozent erst ab 80.000 Euro einfordern – aktuell gilt der Satz ab einem zu versteuernden Einkommen von 68.430 Euro. Der Solidaritätszuschlag soll „vollständig und endgültig“ entfallen. Zudem will die CDU den Grundfreibetrag erhöhen. Ein Selbstständiger ohne Kinder mit einem Gewinn von 108.000 Euro im Jahr müsste von 2029 an mit der voll umgesetzten Reform 2669 Euro weniger Steuern zahlen. „Deutschland gehört bei der Unternehmenssteuer in Europa und der Welt zu den Spitzenreitern. Schon heute verlassen viele Unternehmen aus diesem Grund unser Land. Wir können hier nicht einfach tatenlos bleiben, sondern müssen wieder Spielräume für mehr Liquidität schaffen“, sagt Klöckner.
Was Arbeitgebern indirekt zugutekommt: Die CDU will auf Überstundenzuschläge keine Steuern und Abgaben verlangen. Auch Rentner, die freiwillig weiterarbeiten, sollen bis zu 2000 Euro monatlich steuer- und abgabenfrei hinzuverdienen können. Richtig spannend wird es für den Mittelstand der „Agenda 2030“ zufolge bei der Körperschaftsteuer: Die soll von derzeit 15 Prozent schrittweise auf zehn Prozent sinken. Die Gewerbesteuer – eine Kommunalsteuer – möchte die CDU im Schnitt auf 15 Prozent vereinfachen. Das Ziel lautet also, die Gewinne insgesamt nur noch mit 25 statt mit 30 Prozent zu belasten.
In der Energiepolitik will die CDU die Abgabenlast auf jede Kilowattstunde Strom um „mindestens fünf Cent“ senken. Sie will die „Flexibilität der Unternehmer provozieren, statt deren Geist durch Subventionen zu benebeln“. Die Stromsteuer und die Netzentgelte sollen soweit wie möglich entfallen. Das Prinzip dahinter erklärt Julia Klöckner so: „Wir sehen ein Schaulaufen bei der Überbietung mit Fördermitteln – wie viel CO2-Vermeidung damit tatsächlich einhergeht, interessiert nicht mehr. Wir haben einen fundamental anderen Ansatz: Unser Leitinstrument für den Klimaschutz ist der Emissionshandel.“ Der Markt solle darüber entscheiden, wo und wie Emissionen vermieden würden. Der Weg laute, CO2 einzusparen, wo es am effizientesten ist. „Die Union wird die ideologiegetriebene Klima- und Energiepolitik der Ampel beenden. Das heißt auch mehr Pragmatismus, gerade wenn es um unterschiedliche Technologien geht“, sagt die wirtschaftspolitische Sprecherin der CDU.
Deutschland brauche das, was für die Energiewende und die Akzeptanz in der Gesellschaft funktioniere – egal ob Windenergie, Solarenergie, Geothermie, Wasserkraft, Bioenergie oder Holz. Und auch Kernenergie müsse „eine Option bleiben“, sagt Klöckner. Man brauche die Forschung an neuartigen Technologien in diesem Bereich und die Wiederaufnahme des Betriebs der zuletzt abgeschalteten Kernkraftwerke müsse schnellstmöglich geprüft werden.
Weitgehend offen ist in der Agenda, wie das alles finanziert werden soll. Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln kosteten alle Maßnahmen aus dem Wahlprogramm den Staat rund 89 Milliarden Euro. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin kommt sogar auf 99 Milliarden Euro, die der Staat weniger einnähme.
Die Union will gleichzeitig die Schuldenbremse einhalten, die die Nettoneuverschuldung des Staates begrenzt, und gleichzeitig Investitionen und Verteidigungsausgaben erhöhen. „Wir haben hierzulande kein Einnahmeproblem“, meint Klöckner. Der Staat habe fast eine Billion Euro Steueraufkommen zur Verfügung: „Das sind 47 Prozent mehr als noch vor zehn Jahren. Mir kann niemand erzählen, dass diese Mittel nicht ausreichen.“ Nun müsse herausgearbeitet werden, welche Aufgaben wichtig und dringend seien. „Beispielsweise sind die Kosten des Bürgergeldes fast genauso hoch wie unsere Verteidigungsausgaben. Wenn hier neu priorisiert wird, ergeben sich Spielräume.“

Privates Kapital gefragt
Klöckner sieht die Infrastruktur als Kernaufgabe des Staates an. Dort dürfe man nicht sparen. „Für eine solide Finanzierung unserer Infrastruktur wollen wir auch mehr privates Kapital mobilisieren. Dazu setzen wir auf starke Anreize für private Investoren.“ Einen schuldenfinanzierten Deutschland-Fonds, wie ihn die SPD für Infrastruktur plant, lehnt Klöckner ab.
Auch sparen will die CDU: „Im Rahmen eines Kassensturzes kommen alle Ausgaben, insbesondere die während der Ampel-Jahre enorm gestiegenen Subventionen, auf den Prüfstand.“ Konkret wird die Partei in der „Agenda 2030“ nicht.
Das gilt auch für ein weiteres Thema. Im Juni 2024 überraschte CDU-Chef Friedrich Merz auf dem „Tag der Industrie“ in Berlin, als er seine „sehr konkrete organisatorische Schlussfolgerung“ aus der damals intensiven Bürgergeld-Debatte aussprach. „Die Arbeitsmarktpolitik in Deutschland muss raus aus der Sozialpolitik. Arbeitsmarktpolitik ist Wirtschaftspolitik.“ Damit meinte der CDU-Chef die Zeit von 2002 bis 2005, als Wolfgang Clement (SPD) unter Kanzler Schröder Minister für Wirtschaft und Arbeit war. Damals habe es „wirkliche Reformen“ in der Arbeitsmarktpolitik gegeben. Merz überlegte also laut, ob eine CDU-geführte Regierung Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik in einem Ministerium zusammenlegen sollte. Auch hier Schröder als Vorbild. Dann der Nachsatz: „Wolfgang Clement wäre nie auf die Schnapsidee gekommen, ein Bürgergeld zu entwickeln.“
Dieser Rückschluss ist hypothetisch und beide Ministerien zusammenzulegen womöglich auch. Offiziell ist die Idee nicht beerdigt. Aber um den Reformplan wurde es still und im Wahlprogramm von CDU/CSU steht davon nichts. Übrigens zum Leidwesen der großen Wirtschaftsverbände – vor allem der Industrieverband BDI findet den Plan sehr gut. Auch aus dem Wissenschaftlichen Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums gab es wohlwollende Worte dazu. Ob man Zeit habe für eine derart komplexe Neuorganisation und die SPD im Falle einer Koalition auf das Arbeitsministerium verzichten würde, bezweifeln aber viele in der CDU. Wenn schon etwas ändern beim Zuschnitt der Ministerien, dann doch lieber ein eigenständiges Digitalministerium einführen und die Zuständigkeit für die Sportpolitik aus dem Innenministerium ins Kanzleramt holen – mit einem Staatsminister für Sport und Ehrenamt.
Was ein Mittelständler erwarten kann, wenn die SPD gewinnt
Ein familiengeführtes Handwerksunternehmen mit 50 Mitarbeitenden, das sich auf nachhaltige Gebäudetechnik spezialisiert hat, könnte mit folgenden Szenarien rechnen.
- Vermögensteuer: Derzeit ist sie ausgesetzt, die SPD will sie wieder einführen. Hat das Unternehmen zum Beispiel Betriebseigentum und Rücklagen von zehn Millionen Euro, muss es mit zusätzlichen Steuerzahlungen rechnen. Weil Geld fehlt, wird die Firma Investitionen überdenken.
- Förderung der Energiewende: Weil das Unternehmen bereits auf nachhaltige Technologien spezialisiert ist, könnte es von Energieentlastungsmaßnahmen profitieren. Günstigere Energiekosten könnten besonders bei der energieintensiven Produktion oder beim Kauf von Elektrofahrzeugen für den Fuhrpark helfen.
- Soziale Absicherung der Beschäftigten: Mit der geplanten Erhöhung des Rentenniveaus und den erweiterten Leistungen in der Arbeitslosenversicherung könnte das Unternehmen attraktiver für Fachkräfte werden. Steigende Sozialabgaben belasteten allerdings. Möglicherweise muss das Unternehmen die Preise erhöhen.
