Beitrag teilen

Link in die Zwischenablage kopieren

Link kopieren
Suchfunktion schließen
Politik > Zendis

Digitaler Bruch mit Washington: Warum Den Haag jetzt europäische Software nutzt

| Markt und Mittelstand / red.

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) ersetzt Microsoft durch Open Desk – ein Schritt zur digitalen Unabhängigkeit Europas von den USA.

Gebäude des Internationalen Strafgerichtshofs ICC CPI in Den Haag
Internationalen Gerichtshof in Den Haag: Microsoft blockierte vor einigern Monaten das Mail-Konto des Chefanklägers nach Trump-Sanktionen – Kritiker warnten: „Digitale Souveränität in Gefahr – Alternativen werden dringend gebraucht.“

Aus Angst vor US-Sanktionen zieht der IStGH in Den Haag die digitale Reißleine – und wird zum Symbol europäischer Tech-Souveränität.

Markt und Mittelstand

Es ist ein Schritt, der mehr bedeutet als ein Softwarewechsel. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag trennt sich von Microsoft – und entscheidet sich für die deutsche Lösung Open Desk. Offiziell geht es um IT-Sicherheit. Tatsächlich aber ist es ein geopolitisches Statement: gegen Abhängigkeit, gegen Erpressbarkeit, gegen digitale Fremdbestimmung.

Auslöser sind die Sanktionen der US-Regierung unter Präsident Donald Trump. Sie trafen zuletzt Chefankläger Karim Khan – und könnten bald die gesamte Institution lahmlegen. Sollte Washington die Strafmaßnahmen ausweiten, müssten US-Unternehmen wie Microsoft jede Zusammenarbeit beenden. Der Gerichtshof, der über Kriegsverbrechen urteilt, wäre digital handlungsunfähig.

Der Gerichtshof macht klar: Es geht nicht um Softwarepflege, sondern um digitale Selbstverteidigung. Das klingt nach IT-Strategie – und ist doch eine diplomatische Kampfansage.

Die Entscheidung zeigt, wie Technologie zum Instrument der Geopolitik geworden ist. Software, die gestern noch bloß Arbeitsmittel war, ist heute Teil der Machtbalance. Unter Trump werden Cloud-Server zu Druckmitteln, Zugriffsrechte zu Waffen.

Das Zentrum für Digitale Souveränität (Zendis), eine GmbH im Besitz des Bundes, liefert die europäische Antwort. Open Desk ist ein Baukasten aus europäischen Softwaremodulen: von Cloud-Speichern über Projektplattformen bis hin zu Identitätsmanagement. Der entscheidende Unterschied zu US-Produkten: Die Architektur ist vollständig offen, anpassbar und bleibt unter europäischer Kontrolle – keine Lizenzschranken, keine externen Vorgaben.

Was für viele deutsche Behörden bislang Vision war, wird in Den Haag Realität. Der IStGH ist das bislang prominenteste Beispiel für die strategische Flucht aus der US-Digitaldominanz.

 

 

Europas Kampf um digitale Eigenständigkeit

Lange galt digitale Souveränität als Schlagwort aus Sonntagsreden. Jetzt bekommt sie geopolitische Dringlichkeit. Bundeskanzler Friedrich Merz warnte jüngst: „Wir sind zu abhängig von Software aus den USA.“ Die EU prüft derweil den Aufbau einer eigenen Infrastruktur.

Zendis soll das Rückgrat dieser Unabhängigkeit bilden. Gegründet 2022, mit nur 15 Millionen Euro Startkapital, arbeitet das Bundesunternehmen an einem Ökosystem, das ohne proprietäre US-Produkte auskommt. 2024 lag der Umsatz bei acht Millionen Euro – ein Anfang. Die Kundenliste liest sich wie ein Probelauf der digitalen Zeitenwende: Robert-Koch-Institut, Kultusministerium Baden-Württemberg, nun der Internationale Strafgerichtshof.

Doch der Weg bleibt steinig. Die Software funktioniert, aber nicht reibungslos. Integration, Schnittstellen, Skalierung – alles im Aufbau. Und doch ist der politische Wert enorm: Zum ersten Mal vertraut eine internationale Institution auf ein europäisches IT-System, das sich bewusst von den USA emanzipiert.

Hinter den Kulissen ist von einem bewussten Kraftakt die Rede: Der Übergang bedeutet Mehrarbeit, Umstellungen und technische Reibungspunkte – doch er gilt als strategische Absicherung. Wer heute Schwierigkeiten in Kauf nimmt, verhindert morgen den digitalen Stillstand. Doch das Risiko, bei neuen Sanktionen offline zu gehen, wäre teurer.

In der Wirtschaft sorgt der Fall für Nachdenken. Analyst René Büst von Gartner nennt ihn ein „Warnsignal“: Wenn US-Konzerne auf Regierungsbefehl Zugänge sperren, wird jede Cloud zum potenziellen Risiko. Laut einer Bitkom-Umfrage wollen fast 50 Prozent der deutschen Unternehmen ihre Cloudstrategien überdenken – auch wenn kaum jemand bereit ist, dafür mehr zu zahlen.

Europa steht damit an einer Schwelle: Entweder es bleibt Kunde – oder es wird Anbieter. Open Desk ist ein Versuch, die zweite Rolle einzunehmen.

Infokasten – FAQ

Was ist Open Desk?

  • Ein Open-Source-Arbeitsplatzpaket mit E-Mail, Cloud, Videokonferenz und Projektmanagement – entwickelt vom Zentrum für Digitale Souveränität (Zendis) im Auftrag des Bundes.

Warum wechselt der IStGH?

  • Aus Furcht vor US-Sanktionen. Sollte Microsoft zur Sperrung gezwungen werden, wäre der Gerichtshof digital handlungsunfähig.

Welche Bedeutung hat das politisch?

  • Der Schritt steht für Europas Versuch, digitale Abhängigkeiten zu lösen – und sendet ein Signal weltweiter Wirkung.

Kann Open Desk mit Microsoft konkurrieren?

  • Noch nicht in der Breite. Aber technologisch ist das Paket stabil – und politisch derzeit das mutigste Softwareprojekt Europas.

Was ist Zendis?

  • Das Zentrum für Digitale Souveränität (Zendis) ist eine Bundesgesellschaft mit Sitz in Bonn. Sie wurde gegründet, um die digitale Unabhängigkeit von Staat und Verwaltung zu sichern und kritische Abhängigkeiten von US-Technologiekonzernen zu reduzieren. Zendis integriert europäische Open-Source-Lösungen zu praxistauglichen IT-Systemen – etwa zu Open Desk, das derzeit beim Internationalen Strafgerichtshof eingeführt wird.

Bleiben Sie auf dem Laufenden, abonnieren Sie unseren kostenlosen Newsletter und erhalten Sie immer die neuesten Nachrichten und Analysen direkt in Ihren Posteingang.

Ähnliche Artikel