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Politik > Unsicherheiten bei EU-Genehmigung für Industriestrompreis

EU-Hürden gefährden Merz' Industriestrompreis: Wackelt der Milliardenplan?

Internes Dokument des Wirtschaftsministeriums warnt: Beihilferechtliche Bedenken der EU-Kommission könnte den Industriestrompreis der Regierung Merz blockieren.

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) – zentrale Köpfe hinter dem diskutierten Industriestrompreis-Konzept. (Foto: picture alliance)

Steht ein zentrales wirtschaftspolitisches Vorhaben der schwarz-roten Regierung auf der Kippe? Der geplante vergünstigte Industriestrompreis, ein Schlüsselelement der angekündigten Wirtschaftswende, könnte am Widerstand der Europäischen Union scheitern. Laut einer als "Verschlusssache" eingestuften Leitungsvorlage für das Bundeswirtschaftsministerium bestehen Zweifel an der EU-beihilferechtlichen Genehmigungsfähigkeit des Projekts. 

Für energieintensive Unternehmen in Deutschland wäre dies ein herber Rückschlag. Der durchschnittliche Strompreis für die Industrie liegt laut dem Energieverband BDEW 2025 bei 16,1 Cent je Kilowattstunde – deutlich höher als in vielen Wettbewerbsländern.

Beihilferechtliche Hürden: Warum die EU skeptisch ist

Die internen Dokumente des Wirtschaftsministeriums, über welche das „Handelsblatt“ berichtet, zeichnen ein ernüchterndes Bild: "Die Umsetzung des Konzepts birgt EU-beihilferechtlich erhebliche Herausforderungen." In Brüssel seien "die Vorbehalte erheblich und die Aussichten auf eine Genehmigung höchst unsicher".

Der Kern des Problems liegt im europäischen Wettbewerbsrecht. Das Beihilferecht setzt den EU-Mitgliedstaaten im Sinne eines fairen Wettbewerbs untereinander enge Grenzen für staatliche Wirtschaftshilfen.

Besonders problematisch: Die Bundesregierung müsste überzeugend darlegen, warum der Industriestrompreis überhaupt notwendig ist. "Schwierig dürfte eine überzeugende Rechtfertigung des Marktversagens sein", heißt es in der Leitungsvorlage. Die allgemeine Gefahr der Abwanderung der Industrie oder das Schaffen von Planungssicherheit seien von der Kommission bislang nicht als ausreichende Begründungen akzeptiert worden.

Zeitdruck und internationale Widerstände

Die Zeit für eine Umsetzung drängt. Die EU-Kommission arbeitet bereits an einer Anpassung des Beihilferahmens, die im Juni abgeschlossen sein soll. Die Fachabteilungen im Wirtschaftsministerium empfehlen daher, "möglichst noch im Mai" Anpassungsvorschläge nach Brüssel zu senden.

Neben den technischen Hürden muss Deutschland auch mit Widerstand aus anderen EU-Ländern rechnen. Besonders die Benelux-Staaten, Österreich, Dänemark, Spanien und Italien dürften dem deutschen Vorhaben kritisch gegenüberstehen. Lediglich Frankreich wird als "potenzieller Partner" eingestuft, da Paris selbst einen ähnlichen Industriestrompreis eingeführt hat, den die Kommission allerdings nicht über Ende 2025 hinaus verlängern will.

Die Beamten des Wirtschaftsministeriums empfehlen Ministerin Katherina Reiche (CDU) daher eine umfassende "kommunikative Strategie" und "erhebliche politische Flankierung", um die Skeptiker zu überzeugen.

Konzept und Kosten: Was plant die Bundesregierung?

Das Konzept des Wirtschaftsministeriums sieht vor, den Strompreis für bestimmte Industriebetriebe auf etwa fünf Cent je Kilowattstunde zu senken. Anspruchsberechtigt wären die auf EU-Ebene "anerkannten handels- und stromkostenintensiven Branchen", die auf der sogenannten "KUEBLL-Liste" stehen – in Deutschland schätzungsweise 2.000 Betriebe.

Die finanziellen Dimensionen sind erheblich: Bis Ende 2030 würde das Vorhaben den Bundeshaushalt rund zehn Milliarden Euro kosten. Angesichts der ohnehin angespannten Haushaltslage eine beträchtliche Summe.

Da der Staat nicht die individuellen Stromkosten aller Unternehmen kennt, schlagen die Ministerialbeamten vor, durchschnittliche Börsenstrompreise als Berechnungsgrundlage zu nutzen und auf dieser Basis den Unternehmen nachträglich die Subvention zu zahlen.

Faktenbox

Der Industriestrompreis ist ein zentrales Element der Wirtschaftspolitik der schwarz-roten Regierung. Er soll energieintensive Branchen entlasten und ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit stärken.

Der durchschnittliche Strompreis für die deutsche Industrie liegt 2025 bei 16,1 Cent pro Kilowattstunde, während der geplante subventionierte Preis etwa 5 Cent betragen soll. Die Differenz würde der Staat übernehmen.

Etwa 2.000 Betriebe aus energieintensiven Branchen wie Stahl, Chemie oder Glas könnten von der Maßnahme profitieren. Diese Unternehmen stehen auf der sogenannten "KUEBLL-Liste" der EU.

Die Gesamtkosten des Programms werden bis 2030 auf rund zehn Milliarden Euro geschätzt. Das Ministerium schlägt vor, den Industriestrompreis zunächst bis 2035 zu befristen, um die Genehmigungschancen bei der EU zu erhöhen.

Chancen und Risiken

Die Einführung eines Industriestrompreises könnte weitreichende Folgen für den Wirtschaftsstandort Deutschland haben.

Chancen:

  • Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit energieintensiver Branchen, die unter den hohen Strompreisen in Deutschland leiden. 
  • Verhinderung von Produktionsverlagerungen ins Ausland.
  • Planungssicherheit für Unternehmen bei Investitionsentscheidungen, insbesondere im Kontext der Energiewende und Dekarbonisierung.
  • Beschleunigung der industriellen Transformation durch günstigere Strompreise, die Elektrifizierungsprozesse wirtschaftlicher machen.

Risiken:

  • Mögliche Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der EU
  • Belastung des Bundeshaushalts in Höhe von etwa zehn Milliarden Euro bis 2030
  • Gefahr einer Verzögerung struktureller Anpassungen in der Industrie, wenn ineffiziente Produktionsprozesse durch Subventionen künstlich am Leben erhalten werden.

Die Geschichte der Industriesubventionen – von der Kohle zum Strom

Die Debatte um den Industriestrompreis reiht sich in eine lange Tradition staatlicher Eingriffe in den Energiemarkt ein. 

1960er Jahre – die heimische Kohleförderung

  • Bereits in den 1960er Jahren subventionierte die Bundesrepublik die heimische Kohleförderung, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Schwerindustrie zu sichern. Die Kohlesubventionen erreichten in den 1990er Jahren mit jährlich über 10 Milliarden D-Mark ihren Höhepunkt. Ähnlich wie heute bei der Strompreisdebatte standen damals wirtschafts- und industriepolitische Ziele im Vordergrund. Der Strukturwandel im Ruhrgebiet sollte abgefedert und Arbeitsplätze erhalten werden. Doch die langfristigen Ergebnisse waren durchwachsen: Die Subventionen verzögerten notwendige Anpassungsprozesse und führten zu erheblichen Haushaltsbelastungen.

2012 – die EEG-Umlagen-Befreiung

  • Ein weiteres historisches Beispiel sind die EEG-Umlagen-Befreiungen für energieintensive Unternehmen, die 2012 eingeführt wurden. Auch hier gab es Konflikte mit dem EU-Beihilferecht, die erst nach langwierigen Verhandlungen gelöst werden konnten. Die Lehre daraus: Frühzeitige Abstimmung mit Brüssel ist entscheidend für den Erfolg solcher Vorhaben.

Markteingriff oder Standortsicherung? Ein wirtschaftsethisches Dilemma

Die Diskussion über den Industriestrompreis wirft die grundlegende Fragen zur Rolle des Staates in der Wirtschaft auf: Wann sind staatliche Eingriffe in Marktmechanismen legitim?

Befürworter 

  • argumentieren mit dem Konzept der "Standortsicherung" – einem Begriff, der die Verantwortung des Staates für die industrielle Basis betont. In dieser Logik ist der Industriestrompreis kein wettbewerbsverzerrender Eingriff, sondern ein Ausgleich für strukturelle Nachteile im internationalen Wettbewerb.

Kritiker 

  • hingegen sehen darin eine Verletzung marktwirtschaftlicher Prinzipien. Sie verweisen auf die Gefahr von Fehlanreizen und die Verzögerung notwendiger Anpassungsprozesse. In dieser Perspektive werden Ressourcen in Strukturen gebunden, die ohne Subventionen nicht überlebensfähig wären – zu Lasten innovativer Zukunftsbranchen.

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