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Politik > Weniger ESG-Pflichten

EU streicht Berichtspflichten: Mittelstand muss weniger Nachhaltigkeitsdaten liefern

Die EU entlastet KMU bei Nachhaltigkeitsberichten: Weniger Pflicht, mehr Freiraum – doch freiwillige ESG-Bilanz bleibt strategisch sinnvoll."

Ursula von der Leyen
Großes Paket: EU-Kommissarin Ursula von der Leyen will die für viele Unternehmen leidigen und unproduktiven Berichtspflichten streichen. (Foto: © picture alliance)

Firmen fordern weniger Bürokratie. Nun entlastet die EU Mittelständler umfangreich bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung. Doch freiwillig bilanzieren lohnt.

Von Midia Nuri

Im Moment ist viel in Bewegung bei Bürokratie und EU-Vorgaben. Zuerst stimmte das EU-Parlament überraschend dafür, das EU-Lieferkettengesetz im Eilverfahren zu ändern. Es soll in Teilen erst später gelten, die Berichtspflichten für Unternehmen sollen weniger umfangreich sein. Ende Februar dann legte die EU-Kommission den Omnibus-Entwurf vor, der Erleichterung etwa bei Berichtspflichten der CSRD-Berichterstattung vorsieht, also dem, was Unternehmen rund um nachhaltige, grüne und soziale Belange erfassen müssen. Mit dem Omnibus-Paket will die EU-Kommission besonders den Mittelstand von einigen Pflichten befreien, andere aufschieben oder entschärfen. Einerseits ist die Freude groß, andererseits werden dennoch viele Unternehmen ihre Aktivitäten und Kennzahlen rund um soziale, ökologische oder nachhaltige Themen sowieso erfassen müssen – schon, weil große oder öffentliche Auftraggeber und auch Kreditgeber dies verlangen. Für andere lohnt es sich auch auf freiwilliger Basis.

Geändert wird nicht nur die CSRD-Richtlinie, sondern auch die Lieferkettenrichtlinie CSDDD, der CO2-Grenzausgleich CBAM und EU-Taxonomie. So greift die Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung erst einmal nur für Unternehmen mit im Jahresschnitt 1000 Beschäftigten (statt wie zuvor bei 250 Beschäftigten) oder Nettoumsatzerlösen von 50 Millionen Euro oder einer Bilanzsumme von mehr als 25 Millionen Euro. 

Die Omnibus-Verordnung verschafft Unternehmen einen Aufschub, die ab 2025 oder 2026 CSRD-konforme Nachhaltigkeitsberichte hätten vorlegen müssen. Dies ist nun erst 2027 und 2028 nötig. Nur für die bereits seit 2024 zur Berichterstattung verpflichteten großen kapitalmarktorientierten Gesellschaften ändert sich nichts. Das EU-Parlament beschloss das Omnibus-Paket bereits, jetzt muss noch der Rat der EU-Länder zustimmen. dann müssen die Mitgliedsstaaten es noch umsetzen.

Weniger Bürokratie und weniger Pflichten sind für ohnehin vielfach belasteten Mittelständler willkommen. Und bei dem in Teilen regulatorischen Chaos ist auch mancher Überdruss für neue Regularien verständlich. Unternehmer sollten jetzt aber auch nicht gleich den grünen Bleistift fallen lassen. Denn für viele gelten längst Regeln. „Viele unserer Kunden sind indirekt regulatorisch betroffen“, berichtet Elisabeth Kraut, geschäftsführende Gesellschafterin der Nachhaltigkeitsberatung 7stepssolution in Wiesbaden. Generell trifft es Unternehmen, die im B2B-Bereich große Kunden beliefern, allen voran alle Autozulieferer. „Bei vielen werden gerade Klimaziele in die Ausschreibungsbedingungen aufgenommen“, sagt Marvin Schmitt, Berater bei 7stepssolution. Auch im Geschäftsverkehr mit Bund, Ländern und Kommunen ist es Thema. „Öffentlichen Auftraggebern steht es bisher grundsätzlich frei, von ihnen Gebrauch zu machen“, erklärt Rechtsanwalt Peter Czermak von der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft Bakertilly. „Angesichts des fortschreitenden Klimawandels steigt allerdings der rechtliche Druck, diese Möglichkeiten auch tatsächlich zu nutzen.“  

Freiwilliger Standard 

Nachhaltige oder soziale Standards einzuhalten, erleichtert auch Finanzierungen, gibt Kraut zu bedenken. „Banken gewähren günstigere Konditionen für Fremdfinanzierungen und staatliche Förderungen unterstützen Nachhaltigkeitstransformation“, sagt sie. „Die EU will die Finanzströme durchaus auch weiterhin in diese Richtung lenken.“ Auch im eigenen Interesse sollten sich Mittelständler daher nun nicht vom Thema Nachhaltigkeits- oder Sozialberichterstattung und deren Bilanzierung verabschieden oder diese aufschieben. 

Für Unternehmen, die aus Pflicht oder auch Überzeugung ihre sozialen und ökologischen Aktivitäten erfassen wollen, gibt es den VSME-Standard (Voluntary Sustainability Reporting Standard) der European Financial Reporting Advisory Group. Er fungiert als eine Art freiwilliger Grundstandard und enthält beispielsweise Kennzahlen zu Treibhausgasemissionen und Wasserverbrauch und zu detaillierteren Berichtsinhalten aus verschiedenen Nachhaltigkeits-, Klima- oder sozialen Bereichen. „Wer Kennzahlen nach VSME-Standard erhebt, beantwortet damit praktisch nebenbei den Fragebogen der Banken und der Kunden“, sagt Nachhaltigkeitsberater Schmitt. Mit 66 Seiten sei der Standard auch schlank und übersichtlich aufgebaut. 

Auch wer nicht unter die CSRD-Berichtspflicht fällt, bekommt mit der Bilanzierung nach VSME gute Steuerungsmöglichkeiten an die Hand, ­findet sie. „Wer die Zahlen beispielsweise zum Stromverbrauch im Detail kennt, findet auch Lecks- und Kosteneinsparungspotenzial“, sagt Kraut von 7stepsolution. Wer wisse, wo welche Rohstoffe genutzt oder bald nicht mehr verwendet würden, könne erst damit zirkuläre Prozesse betreiben oder sein Abfallmanagement optimieren. „Wie viele sekundäre Materialien wie Kupfer, Stahl oder andere Rohstoffe fallen beispielsweise beim Rückbau eines Gebäudes an?“ Aus ihrer eigenen vorherigen Tätigkeit als Nachhaltigkeitsmanagerin beim Befestigungsspezialisten Würth gibt sie ein Beispiel: „Wir haben damals Edelstahlschienen nach dem Kreislaufgedanken verändert und in Hallen verlegt. Dabei haben wir die Verschnitte zurückgenommen, um sie dem Kreislauf wieder zuzufügen“, erklärt sie. „Mit weiteren Angaben aus dem VSME bekommen Sie zum Beispiel Ideen für ein Anreizsystem für die Vergütung von Führungsgremien und Ihre Nachhaltigkeitsaktivitäten“, sagt Kraut. „Die Bilanzierung nach VSME hilft bei allen strategischen Ausrichtungen und der Planung von Nachhaltigkeitsvorhaben auf jeden Fall“, bestätigt Schmitt. 

Verschiedene Themen könnten mit VSME Gegenstand der Berichterstattung sein, erklärt Kraut. „Welche Risiken und Möglichkeiten sich bieten, die Analyse fällt für jedes Unternehmen anders aus. Das kann Klimawandel sein, Abwasser, Bodenverschmutzung“, zählt sie auf. Auch Diversität oder andere soziale Themen des Nachhaltigkeitsfächers könnten wesentlich sein. „Welche Themen betreffen mich? Was will ich mir auf die Fahne schreiben?“ sind aus ihrer Sicht wichtige Fragen für Betriebe. Was Unternehmen genau erfassten und mit welchen Kennzahlen, hänge dann natürlich von der Firma selbst und der Branche ab. Das Wissen helfe aber in jedem Fall dem Geschäft, sind Kraut und Schmitt überzeugt. 

„Einer unserer Kunden, eine Designagentur, hat aus Überzeugung mit der Nachhaltigkeitsbilanzierung angefangen und sich damit ein neues Arbeitsfeld erschaffen“, berichtet Kraut. „Kommunikation zu Nachhaltigkeit.“ Ein anderes Unternehmen, ein Personaldienstleister mit Fokus auf Diversität, hat die Expertise seines Osteuropa-Teams und das Wissen darum genutzt, die Integration ukrainischer Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt voranzutreiben, was umgekehrt wiederum auch dem Geschäftsbereich hilft. Nicht verstehen kann Kraut daher Unternehmen, die Klima, Nachhaltigkeit oder auch soziales für Nischenthemen halten – und nachhaltig zaudern. „Ich verzichte ja dann auf einen Teil meiner Finanzkennzahlen“, sagt sie. Eine Idee, die sie auch im eigenen unternehmerischen Interesse für nicht mehr zeit­gemäß hält.

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