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Politik > Außenhandel & Geopolitik

Geopolitik 2025: Zölle, China-Block und „Graue Nashörner“ – was Exporteure jetzt steuern müssen

| Thorsten Giersch

US-Zölle, China-Annäherung, Taiwan-Risiko: Warum Politik den Export neu ordnet – und wie der Mittelstand jetzt Lieferketten absichert.

Weltkugen mit Schachfiguren
(Foto: shutterstock)

Geopolitik war für exportierende Unternehmen nie so wichtig wie heute. Was der US-Präsident äußert, ist medienwirksam, aber nicht unbedingt das, was wirklich zählt. 

von Thorsten Giersch für Markt und Mittelstand

 

Politik ist nicht immer schön. Als Speichellecker und Schlimmeres musste sich die europäische Elite bezeichnen lassen, als sie Ende August im Oval Office des Weißen Hauses den US-Präsidenten hofierte. Der hatte kurz zuvor dem Kriegsverbrecher und russischen Präsidenten Wladimir Putin bei einem Treffen in Alaska den roten Teppich ausgerollt.

Dass die militärisch nicht ebenbürtigen Europäer dort nicht mit am Tisch sitzen durften, als es um die Zukunft der Ukraine ging, war ein Zeichen, das den geopolitischen Wandel sehr klar dokumentiert. Die USA sehen sich vor allem selbst, der Präsident inszeniert sich gern, benennt das Verteidigungs- in Kriegsministerium um.

China stellt sich auf die Seite Russlands und ermöglicht dessen Krieg in der Ukraine faktisch – tut zumindest nicht das Notwendige, um ihn zu beenden. Zuletzt gaben sich die Regierungschefs von Russland, China und Indien überraschend vertraut bei einem Treffen in Peking. Außen vor: Amerika. Und Europa sowieso. Und dann ist da noch Taiwan, das China als chinesisch betrachtet – Konflikte träfen die weltweite Chipindustrie, mit unabsehbaren Folgen für die deutsche Wirtschaft. 

Trotz aller Hiobsbotschaften zeigt sich der Welthandel erstaunlich robust – widerstandsfähiger als Ökonomen dachten, so auch 2025. Die Geschäfte rund um den Globus wachsen in diesem Jahr. Und ob er sich 2026 tatsächlich abschwächt, muss sich noch zeigen. Seit 15 Jahren gibt es Unkenrufe, dass die Wirtschaft immer lokaler funktionieren soll. Mal ist es der Klimaschutz, mal steigende Transportkosten, dann kam Corona dazu. Doch die durchschnittliche Entfernung, die für den Handel zurückgelegt wird, steigt weiter, vor allem, weil die Geschäfte zwischen Asien und Europa sowie Asien und Nordamerika wachsen. 

Wenn die Amerikaner nun Zölle erheben, verschiebt sich der Handel. US-Präsident Donald Trump will nicht die Globalisierung verringern, sondern nur die Rolle der USA – eines Riesenmarktes – neu gestalten: weniger importieren und mehr exportieren. Ob die Rechnung aufgeht, darf bezweifelt werden. Auf jeden Fall bringt die US-Politik alle anderen dazu, näher zusammenzurücken. So näherten sich Ende August Indien und China bei einem großen Treffen in Tianjin an. Direkt davor war der indische Premierminister Narendra Modi nach Japan gereist. Anfang September kam Deutschlands Außenminister Johann Wadephul (CDU) nach Neu-Delhi und wurde herzlich empfangen, um auch wirtschaftliche Partnerschaften auszubauen. 

Interessante Perspektiven, für die meisten deutschen Unternehmer sieht es kurzfristig anders aus. „Die Situation, die wir derzeit im globalen Handel haben, ist alles andere als erfreulich“, sagt David Deißner, Geschäftsführer der Stiftung Familienunternehmen, der vorher unter anderem der Organisation Atlantik-Brücke vorstand. Gerade angesichts der Herausforderungen und der ohnehin trüben Wachstumsaussichten kämen fünfzehnprozentige US-Zölle für deutsche Exporteure zur falschen Zeit. Schließlich sind die USA einer der wichtigsten Märkte. Immerhin gebe es nun einen Vertrag mit den USA. „Das ist erst einmal gut, denn die Unsicherheit, die wir wochenlang hatten, wirkte an sich schon wie ein tarifäres Handelshemmnis.“ Unsicherheit bremse den Export, es werde weniger investiert. „Im Übrigen sind wir fest davon überzeugt, dass sich auch die amerikanische Wirtschaft keinen Gefallen tut, wenn der Handel eingeschränkt wird.“ Denn ein Großteil der deutschen Exporte in die USA sind Vorprodukte, Maschinen und hoch komplexe Komponenten, die für die amerikanische Produktion sehr wichtig seien. „Diese hoch spezialisierten Produkte unserer Hidden Champions können die USA nicht von heute auf morgen ersetzen“, sagt Deißner. Entsprechend bleibe abzuwarten, welche Ausnahmen möglicherweise noch kommen. Oder die Amerikaner müssen mehr für Vorprodukte bezahlen. 

Der Transatlantikkoordinator der Bundesregierung reist durch die USA und erklärt, wie viel Innovation und auch Arbeitsplätze aus deutschen Unternehmen mit eigenen Produktionsstätten in den USA hervorgehen. „Wir sind ein Driver für die amerikanische Wirtschaft und das müssen wir jetzt immer wieder sehr deutlich herausstellen“, sagt Deißner. Nicht unbedingt in Washington. „Die Gouverneure werden sehr gut verstehen, wie wichtig deutsche Unternehmen im eigenen Bundesstaat sind.“ Insofern sei jetzt eine gute Strategie, lokal miteinander zu reden, die transatlantischen Partnerschaften zu vertiefen „und nicht immer nur gebannt auf das politische Washington zu blicken.“ 

Die hoch spezialisierten Produkte unserer Hidden Champions können die USA nicht von heute auf morgen ersetzen.

Dr. David Deißner, Geschäftsführer der Stiftung Familienunternehmen

Wenig Bürokratie in den USA

Der gesamte nordamerikanische Raum ist für viele Unternehmen sehr attraktiv, „vor allem weil die Bürokratie nicht so ausgeprägt sei wie in Deutschland“, sagt Deißner. Auch die Energiekosten seien niedriger. Viele deutsche Unternehmen weiten in den USA ihre Produktionskapazitäten aus oder prüfen dies zurzeit. Trotz der politischen Umstände seien die USA weiterhin ein interessanter Investitionsstandort, auch für High-End-Engineering. „Mir sagen viele Unternehmen, dass sie kurz davor sind, Deutschland den Rücken zu kehren, besonders mit Blick auf die hohen Lohnnebenkosten“, sagt der Geschäftsführer der Stiftung Familienunternehmen und Politik. „Wir haben in Deutschland eine leider sinkende Produktivität bei vergleichsweise geringen Arbeitsstunden pro Kopf und hohen Lohnnebenkosten – das ist eine toxische Mischung.“ 

Dessen ungeachtet muss Europa angesichts der Handelshemmnisse den Binnenmarkt stärken. „Wir müssen alles dafür tun, damit Europa seine Stärke ausspielen kann – in der derzeitigen ökonomischen Blockkonfrontation zwischen China, zwischen den USA und weiteren Regionen der Welt“, erklärt Deißner. Nötig seien neben neuen Handelsabkommen vor allem eine vereinfachte und praxistauglichere Regulierung, schlankere Verwaltungsverfahren und vor allem ein offener und flexibler europäischer Arbeitsmarkt – mit echter Durchlässigkeit für Talente. 

Egal, wie es politisch genau weitergeht: Die Welt sortiert sich um und die deutschen Exporteure müssen damit umgehen lernen. Viel neues Wissen ist nötig, viele Risiken werden unterschätzt. Ansgar Baums, Senior Advisor bei der Unternehmensberatung Sinolytics, benutzt als Metapher für sein Risikokonzept das Graue Nashorn –  auch in Abgrenzung zum Schwarzen Schwan, der durch die Bücher von Nassim Taleb weltweit bekannt wurde im Zuge der Finanzkrise. Bei Taleb geht es um Risiken, die nicht vorhersehbar sind. Das Graue Nashorn dagegen, ein Risiko mit großer Wirkung, ist gut zu erkennen, wird aber trotzdem ignoriert. Auch geopolitische Risiken sind oft Graue Nashörner. „Für Unternehmen sind das die viel interessanteren Probleme, denn die kann man managen“, sagt Baums. 

Warum tun sich Unternehmen immer wieder so schwer, ihre geopolitischen Risiken optimal einzuschätzen? Bei der vielschichtigen Antwort beginnt Baums mit Hirnforschern und Psychologen, die erkannt haben, dass der Mensch unter gewissen Umständen kaum zu einer objektiv guten Risikoanalyse in der Lage ist. Gerade bei der Geopolitik waren alle offenbar nachlässig, weil es über viele Jahre hinweg in eine gute Richtung lief. Der ehemalige Kriegskontinent Europa war im Wesentlichen befriedet und voller Bündnisse. „Wir sind in den vergangenen 30 Jahren davon ausgegangen, dass Geopolitik keine Rolle spielt und der internationale Handel immer zunimmt“, erklärt Baums. „Seit 1990 waren wir in geopolitischen Ferien. Dieser Muskel ist verkümmert.“ Entsprechend gehe es jetzt darum, ihn wieder zu trainieren. 

Natürlich ist nicht jedes Unternehmen gleichermaßen von den geopolitischen Verwerfungen betroffen. Manche spannen ihre Lieferketten über den ganzen Globus. Andere können ihre Vorprodukte mit dem Bulli einsammeln. Aber eine große Gruppe von Unternehmen in der Mitte weiß nicht genau, ob sie betroffen ist. „Hier werden viele überrascht, dass in ihrer Lieferkette, sei es auch in Tier 3 oder Tier 4, eben doch ein riesiges Problem lauert“, sagt Baums. „Nicht alle Unternehmen müssen geopolitisches Risikomanagement machen, aber mehr, als viele glauben.“ Die Kunst ist, einen Anfangsverdacht effektiv zu bestätigen oder nicht zu verneinen. Um die Ecke zu denken, wenn es um die wichtigen Fragen geht, ist sehr hilfreich. Was heißt es für mein Unternehmen, wenn China vom internationalen Bankensystem abgeschnitten wird? Was passiert mit uns, wenn in Taiwan sechs Monate kein Schiffsverkehr rausgeht? „Wir sollten die Geopolitik entmystifizieren. Hier spricht nicht Peter Scholl-Latour im Ledersessel über die Straße von Malakka“, sagt Baums. Wenn man aber Geopolitik operationalisiert für Unternehmen und diese sehr gezielten Fragen stellt, wird es sehr konkret mit direktem Einfluss auf das Unternehmen. 

Drei Risikogruppen

Baums unterscheidet dabei drei verschiedene Risikogruppen in der Geopolitik.

  • Die erste Gruppe sind Ereignisse: das querliegende Schiff im Suezkanal zum Beispiel, kein geopolitisches, sondern ein logistisches Ereignis. Und es ist relativ einfach zu verstehen.
  • Risikogruppe Nummer zwei kennt der deutsche Mittelstand bestens. Geopolitisch motivierte Regulierung, im Fachjargon Geotech Statecraft genannt. Wenn die USA und China rund um Technologiewertschöpfungsketten Druck aufeinander ausüben, hat das auch Folgen für deutsche Unternehmen. Zölle sind gerade ein gut bekanntes Beispiel. Oder auch Exportkontrollen, Investitionskontrollen, Importverbote für bestimmte Komponenten, Regulierungen zum Thema Cybersecurity. „Das ist das, was bei vielen Unternehmen große Probleme hervorruft. Und diese geopolitische Regulierung muss man verstehen und antizipieren“, sagt Baums. Wo habe ich in Zukunft eventuell ein Lieferketten- oder ein IT-Infrastrukturrisiko, weil ich Microsoft nicht mehr in China laufen lassen kann in meinem Unternehmen? 
  • Die dritte Risikogruppe ist die strategischste, die Spaltung der gesamten IT, Stack genannt,  – im Grunde genommen eine Folge der Regulierung. Man stelle sich jetzt vor, dass die IT-Welt nicht mehr global ist und alle Geräte miteinander sprechen können und miteinander funktionieren, sondern dass der IT-Stack in China komplett unabhängig ist. „Das ist für Unternehmen, die nur in Europa und den USA tätig sind, ziemlich egal“, sagt Experte Baums, „aber für all diejenigen, denen China wichtig ist, ein Riesenthema.“ Denn dann muss das Unternehmen anfangen, Produkte für diesen IT-Stack zu entwickeln. Die Folgen: Umbau der IT-Infrastruktur, mehr Forschung und Entwicklung in China, spezifisch chinesische Produkte. Die Liste ist lang. „Und dann reden wir über einen völlig anderen Kostenfaktor und völlig andere Unternehmensstrukturen.“ 

Vorteil Risikomanagement

Die unternehmerischen Schäden durch den Klimawandel gelten nicht als geopolitisches Risiko, „weil wir glauben, dass das Thema Klimarisiken für Betriebe ein Markt ist, der funktioniert“, sagt Baums. Es gebe sehr viele Versicherungen, die sehr gute und genaue Daten hätten, und offene Webseiten, die zeigen, welche Klimarisiken in welchem Landkreis existierten. „Da muss man eigentlich nur hingucken als Unternehmen. Beim Thema Geopolitik ist es wesentlich schwieriger, weil wir keine Datenmodellierung wie beim Klimawandel machen können“, erklärt Baums. Viele Prozesse und Ereignisse ließen sich schwer quantifizieren. Deswegen komme es sehr oft auf ein Expertenurteil an, auf Wissen, das nicht online ist. 

Gutes Risikomanagement ist für ihn klar ein Wettbewerbsvorteil. „Man sollte seine geopolitischen Risiken zumindest relativ besser managen als die Konkurrenz, um nicht Marktanteile zu verlieren.“ Sollte ein Unternehmen versuchen, geopolitische Spannungen aktiv auszunutzen? „Das geht oft nach hinten los und ich sage da immer: Seid vorsichtig!“, sagt Baums. „Ihr als Unternehmen seid keine geopolitischen Akteure. Euch fehlen auch die Ressourcen und ihr wollt eigentlich nicht Teil von diesem Spiel werden.“ Wenn ein Unternehmen einmal geopolitisch relevant gewesen sei, komme es da nicht mehr leicht heraus. Das schränkt dann auf Dauer mehr ein als kurzfristige Gewinne.

Faktenbox: Geopolitik & Export 2025

Warum Geopolitik für Unternehmen so wichtig ist

  • Politische Entscheidungen bestimmen zunehmend Handelsströme, Zölle und Investitionssicherheit.

  • Was Präsidenten öffentlich sagen, ist oft weniger relevant als regulatorische Details im Hintergrund.

  • Lieferketten sind global – selbst entfernte Konflikte wirken unmittelbar auf deutsche Exporteure.

Zentrale Entwicklungen 2025

  • USA: Präsident Donald Trump erhebt 15 % Zölle auf deutsche Exporte. Ziel: mehr US-Exporte, weniger Importe.

  • China & Russland: Annäherung mit Indien, Treffen in Peking ohne USA/Europa.

  • Taiwan: Risiken für die weltweite Chipindustrie – besonders relevant für deutsche Hightech-Branchen.

  • Europa: Stärkerer Binnenmarkt gefordert; Abbau von Bürokratie und Regulierung als Gegengewicht.

Belastung für deutsche Unternehmen

  • Zölle treffen besonders den Maschinen- und Komponentenexport.

  • Verlagerung von Produktionskapazitäten in die USA nimmt zu (niedrigere Bürokratie- und Energiekosten).

  • Hohe Lohnnebenkosten und sinkende Produktivität schwächen den Standort Deutschland zusätzlich.

Geopolitische Risiken nach Ansgar Baums (Sinolytics)

  1. Ereignisse – kurzfristige Störungen (z. B. blockierter Suezkanal).

  2. Geotech Statecraft – geopolitisch motivierte Regulierung (Zölle, Exportkontrollen, Cybersecurity).

  3. Strategische Spaltung – Trennung globaler IT-Systeme, eigener „China-Stack“.

Handlungsoptionen für Exporteure

  • Risiken frühzeitig identifizieren („Graue Nashörner“ statt „Schwarze Schwäne“).

  • Lokale Netzwerke in den USA und anderen Märkten aufbauen, nicht nur auf Washington schauen.

  • Flexiblere Lieferketten entwickeln, Szenarien durchspielen (z. B. Taiwan-Krise).

  • Europa als starken Binnenmarkt nutzen und durchlässigen Arbeitsmarkt fördern.

Der Artikel erschien in der Oktober-Ausgabe von Markt und Mittelstand 2025

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