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Politik > Ludwig-Erhardt-Gipfel: Tegernsee Summit

IW-Chef Hüther warnt: Ohne Rentenreform drohen längere Arbeitszeiten und höhere Beiträge

IW-Direktor Hüther kritisiert schwarz-rote Rentenpläne als rückwärtsgewandt – er fordert längere Arbeitszeiten statt höherer Beiträge für junge Generationen.

IW-Chef Micheal Hüther fordert eine Debatte über längere Arbeitszeiten. „Wenn wir nicht wollen, dass die Rentenbeiträge ins Astronomische steigen, kann die Politik eigentlich nur an zwei Stellschrauben drehen“. (Foto: shutterstock)

IW-Chef Michael Hüther fordert Debatte über längere Arbeitszeiten – Kritik an fehlendem Rentenreformwillen der geplanten schwarz-roten Koalition.

IW-Chef Micheal Hüther bemängelt das geplante „Weiter so“ der geplanten schwarz-roten Koalition in der Rentenpolitik. „Dass Union und SPD die nächsten vier Jahre erstmal so weitermachen wollen, ist ein fatales Signal, gerade an jüngere Menschen“, sagte der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln vor dem Ludwig-Erhard-Gipfel (7. bis 9. Mai am Tegernsee). Auf die Frage, ob die baldigen Regierungspartner lieber Wahlgeschenke verteilten, statt sich um die großen unbequemen Themen wie eine Rentenreform zu kümmern, sagte Hüther: „Das ist leider nicht von der Hand zu weisen.“ Er fügte an: „Das ist wirklich ärgerlich, denn wir wissen seit Jahreszehnten, welche Probleme mit dem Renteneintritt der Babyboomer auf uns zukommen.“

Vor diesem Hintergrund fordert der Wirtschaftswissenschaftler eine Debatte über längere Arbeitszeiten. „Wenn wir nicht wollen, dass die Rentenbeiträge ins Astronomische steigen, kann die Politik eigentlich nur an zwei Stellschrauben drehen“, sagte Hüther. „Entweder sie senkt das Leistungsniveau, das will eigentlich niemand, oder sie verlängert die Lebensarbeitszeit.“ Hüther verwies auf Schweden und die Schweiz, wo Vollzeit-Erwerbstätige deutlich mehr als hierzulande arbeiten. „Es wäre mir neu, dass es den Menschen dort schlechter ginge als hier.“

Von einem Rentensystem nach dem Vorbild Österreichs, in das auch Beamte und Selbstständige einzahlen, hält Hüther derweil wenig. Dies würde die Rentenversicherung nicht richtig entlasten und Belastungen nur nach hinten schieben. Es wären dann allein mehr Menschen im System, die Leistungen bezögen. „Unsere Probleme lösen wir nur, wenn wir echte strukturelle Reformen angehen. Es ist zu hoffen, dass diese Einsicht Union und SPD noch in dieser Legislatur erreicht.“

Unbequeme Entscheidungen fordert Hüther auch mit Blick auf die Bürokratie im Land. Problembewusstsein und politische Entschlussfähigkeit klafften bei diesem Thema in der deutschen Politik schon seit Jahren auseinander, sagte Hüther. Es sei zwar ermutigend, dass die neue Koalition einen Schwerpunkt bei der Staatsmodernisierung setzten will, nur „Bürokratieabbau hat noch jede Regierung angekündigt“. Die entscheidende Frage bleibe: „Bleibt es bei Absichtserklärungen oder packt die Regierung tatsächlich an?“ Er warne jeden, der glaubt, „Bürokratie ließe sich mit einem Handstreich abbauen“.

Michael Hüther

Prof. Dr. Michael Hüther ist Direktor und Mitglied des Präsidiums beim Institut der deutschen Wirtschaft. Er absolvierte von 1982 bis 1987 sein Studium der Wirtschaftswissenschaften sowie der mittleren und neuen Geschichte an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Nach Abschluss des Promotionsverfahrens wurde er 1991 Wissenschaftlicher Mitarbeiter und 1995 Generalsekretär des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. 1999 wechselte er als Chefvolkswirt zur DekaBank und wurde dort 2001 zum Bereichsleiter Volkswirtschaft und Kommunikation ernannt. 

Seit August 2001 ist Hüther Honorarprofessor an der EBS Business School in Oestrich-Winkel. Im April 2019
wurde er zum Aufsichtsratsvorsitzenden der TÜV Rheinland AG ernannt.

Das Interview im Wortlaut

WEIMER MEDIA GROUP: Herr Prof. Hüther, lesen Sie aus dem Koalitionsvertrag von Union und SPD die Chance auf einen Aufbruch oder das Risiko eines Abschwungs für die deutsche Wirtschaft?

  • Prof. Hüther: Der Aufbruch steckt in den Entscheidungen, die in den Koalitionsvertrag münden: Das Finanzpaket ist ein echter Befreiungsschlag in der seit Jahren festgefahrenen Staatsschulden-Debatte. Jetzt ist endlich das Geld da, um den jahrzehntealten Investitionsstau aufzulösen. Das muss man den Parteien wirklich anrechnen. Was den Koalitionsvertrag selbst angeht: Die Zumutungen halten sich immerhin in Grenzen. Am Ende ist mehr Gutes drin als man sich nach der Wahl erhoffen konnte. Wie viel genau, wird sich in der Umsetzung zeigen.

Was sorgt Sie mit Blick auf die exportorientierte deutsche Wirtschaft mehr? Der Protektionismus aus den USA? Oder die Expansionsbestrebungen chinesischer Unternehmen, wodurch Industrieprodukte aus Deutschland zunehmend Konkurrenz auf dem Weltmarkt erfahren?

  • Beides steht für fundamentale Verschiebungen in der globalen Ordnung. Der amerikanische Protektionismus zielt bewusst auf die Erosion multilateraler Handelsbeziehungen – das trifft eine offene Volkswirtschaft wie Deutschland besonders empfindlich. Gleichzeitig ist die systematische, staatsgetriebene Industriepolitik Chinas eine strategische Herausforderung. Wir dürfen nicht naiv sein: Es geht hier nicht um Wettbewerb im klassischen Sinne, das sind geopolitisch motivierte Marktverschiebungen. Deutschland braucht eine europäisch eingebettete Antwort – mehr wirtschaftspolitische Souveränität bei gleichzeitiger Offenheit.

Unternehmen klagen seit Jahren über die hohen Belastungen durch Bürokratie. Obwohl das Thema allgegenwärtig ist und auch von weiten Teilen in der Politik inzwischen als Wachstumsbremse wahrgenommen wird, tut sich wenig. Ist Deutschland noch reformfähig?

  • Reformfähigkeit ist kein Zustand, sondern eine politische Entscheidung. Problembewusstsein und politische Entschlussfähigkeit klaffen in der deutschen Politik schon seit Jahren auseinander. Es ist ermutigend, dass die neue Koalition einen Schwerpunkt bei der Staatsmodernisierung setzen will. Das ist auch dringend nötig. Nur: Bürokratieabbau hat noch jede Regierung angekündigt. Die entscheidende Frage bleibt also: Bleibt es bei Absichtserklärungen oder packt die Regierung tatsächlich an? Ich warne jeden, der glaubt, Bürokratie ließe sich mit einem Handstreich abbauen. Schwarz-rot wird auch unbequeme Entscheidungen treffen müssen.

An eine Steuer- und Rentenreform trauen sich Union und SPD erst einmal nicht ran. Dafür soll auf Wunsch der CSU die Mütterrente aufgestockt werden, die SPD hätte gern einen Mindestlohn von 15 Euro. Wirkt, als verteilten die wahrscheinlichen Regierungsparteien lieber Wahlgeschenke, als sich den großen unbequemen Baustellen zu widmen.

  • Das ist leider nicht von der Hand zu weisen. Und das ist wirklich ärgerlich, denn wir wissen seit Jahrzehnten, welche Probleme mit dem Renteneintritt der Babyboomer auf uns zukommen. Dass Union und SPD die nächsten vier Jahre erstmal so weitermachen wollen, ist ein fatales Signal, gerade an jüngere Menschen. 

Müssen wir am Ende schlicht länger arbeiten oder weniger Urlaub machen?

  • Zumindest kommen wir an einer Debatte um längere Arbeitszeiten nicht vorbei. Wenn wir nicht wollen, dass die Rentenbeiträge ins Astronomische steigen, kann die Politik eigentlich nur an zwei Stellschrauben drehen: Entweder sie senkt das Leistungsniveau, das will eigentlich niemand. Oder sie verlängert die Lebensarbeitszeit. Da gibt es zig Wege, um zum Ziel zu kommen. In Ländern wie Schweden oder der Schweiz arbeiten Vollzeit-Erwerbstätige deutlich mehr als bei uns. Es wäre mir neu, dass es den Menschen dort schlechter ginge als hier.

Ein gern vorgetragener Vorschlag zum Thema: Alle sollen in die Rentenversicherung einzahlen, auch Beamte und Selbstständige. In Österreich ist das der Fall. Ein Modell auch für Deutschland?

  • Das entlastet die Rentenversicherung auch nicht wirklich, sondern verschiebt die Belastungen nur nach hinten. Wir hätten dann schlicht mehr Menschen im System, die Leistungen beziehen. Unsere Probleme lösen wir nur, wenn wir echte strukturelle Reformen angehen. Es ist zu hoffen, dass diese Einsicht Union und SPD noch in dieser Legislatur erreicht.

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