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Klingbeils Rekordschulden - eine finanzpolitische Zeitenwende

Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) plant massive Ausgabensteigerung für Bundeswehr auf 3,5 Prozent des BIP bis 2029 – sechs Jahre früher als von der NATO gefordert.

Foto von Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD)
Der Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) plant Schulden in Rekordhöhe. (Foto: Picture Alliance)

Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) plant für die laufende Legislaturperiode mit einer beispiellosen Nettokreditaufnahme von 846,9 Milliarden Euro. Allein in diesem Jahr sollen neue Schulden in Höhe von 143 Milliarden Euro aufgenommen werden, davon 82 Milliarden Euro für den regulären Etat und 61,3 Milliarden Euro für die Sondervermögen für Infrastruktur und Bundeswehr. Bis 2029 soll die jährliche Kreditaufnahme auf 185,5 Milliarden Euro steigen.

Mit dieser massiven Verschuldung verfolgt die schwarz-rote Koalition drei zentrale Ziele: die Modernisierung der Infrastruktur, die Wiederbelebung der deutschen Wirtschaft nach Jahren der Stagnation und die Stärkung der äußeren Sicherheit Deutschlands.

Verteidigungsausgaben: Deutlich schnellerer Anstieg als bisher bekannt

Besonders bemerkenswert ist der geplante Anstieg der Verteidigungs- und Zivilschutzausgaben. Diese sollen von derzeit 75 Milliarden Euro auf fast 170 Milliarden Euro im Jahr 2029 steigen. Damit würde Deutschland das neue NATO-Ziel von 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigungsausgaben bereits 2029 erfüllen – sechs Jahre früher als von der NATO gefordert.

Auf ihrem Gipfel in dieser Woche wollen sich die NATO-Staaten darauf einigen, ihre Verteidigungsausgaben deutlich zu erhöhen. Bis 2035 soll ein Anteil von 3,5 Prozent der jeweiligen Wirtschaftsleistung in den militärischen Bereich fließen. Zusätzlich sind Investitionen in verteidigungsnahe Bereiche vorgesehen, etwa für die Modernisierung von Brücken, über die im Ernstfall Panzer verlegt werden können. Dafür sind weitere 1,5 Prozent der Wirtschaftsleistung eingeplant.

Die Bundesregierung rechtfertigt diesen rasanten Anstieg mit der verschärften Sicherheitslage. In Regierungskreisen heißt es: „Frieden und Sicherheit sind in einem Maße gefährdet, wie wir es seit langer Zeit nicht gesehen haben.”

Rekordinvestitionen in Infrastruktur und Klimaschutz

Neben den Verteidigungsausgaben plant die Bundesregierung, die Investitionen auf einen „neuen Rekordstand” zu steigern. Bereits in diesem Jahr sollen Investitionen in Höhe von 115 Milliarden Euro getätigt werden – eine deutliche Steigerung gegenüber den 74,5 Milliarden Euro des Vorjahres.

Das neue Sondervermögen „Infrastruktur und Klimaneutralität” trägt hierzu rund 27 Milliarden Euro bei. Der Bund investiert davon allein rund 19 Milliarden Euro, hauptsächlich in den Verkehr (rund 11,7 Milliarden Euro) und die Digitalisierung (rund vier Milliarden Euro).

Die übrigen Milliarden aus dem Infrastruktur-Sondervermögen gibt der Bund an die Bundesländer weiter oder sie fließen in den Klimafonds. Aus diesem wollen Union und SPD in diesem Jahr 36,6 Milliarden Euro ausgeben, mit den Schwerpunkten Klimaschutz im Gebäudebereich (16,5 Milliarden Euro) und Entlastung der Verbraucher bei den Energiekosten (6,3 Milliarden Euro).

Wirtschaftsförderung und Steuererleichterungen

Zur Belebung der Wirtschaft plant die Bundesregierung eine Reihe von Maßnahmen. So wollen Union und SPD beispielsweise durch neue Abschreibungsregeln private Investitionen ankurbeln. Diese neuen Regeln werden unter dem Begriff „Investitionsbooster” zusammengefasst.

Allerdings führen diese Steuererleichterungen zu erheblichen Steuerausfällen im höheren zweistelligen Milliardenbereich, von denen auch die Länder und Kommunen betroffen sind. Der Bund hat bereits seine finanzielle Unterstützung zugesagt, die konkrete Ausgestaltung ist jedoch noch offen.

Zudem plant die Bundesregierung, die Pflege- und Gesundheitsversicherung mit Steuerzuschüssen in Höhe von 6,6 Milliarden Euro in diesem und im nächsten Jahr zu stützen. Auch die Deutsche Bahn erhält mehr Eigenkapital (8,5 Milliarden Euro).

Faktenbox: Klingbeils Schuldenpaket

Die schwarz-rote Koalition hat die Weichen für einen finanzpolitischen Paradigmenwechsel gestellt. Union und SPD haben ein über zwölf Jahre angelegtes Sondervermögen für Infrastruktur in Höhe von 500 Milliarden Euro geschaffen. Zusätzlich fallen künftig Verteidigungs- und Zivilschutzausgaben, die über ein Prozent des BIP betragen, nicht mehr unter die Schuldenregel.

Allein in diesem Jahr plant der Bundesfinanzminister mit Schulden in Höhe von rund 143 Milliarden Euro. Für das Jahr 2029 ist eine Kreditaufnahme von 185,5 Milliarden Euro vorgesehen. Die Verteidigungsausgaben sollen von derzeit 2,4 Prozent auf 3,5 Prozent des BIP im Jahr 2029 steigen.

Die Investitionen sollen in diesem Jahr auf 115 Milliarden Euro anwachsen, wovon das Infrastruktur-Sondervermögen 27 Milliarden Euro beisteuert. Für den Klimaschutz im Gebäudebereich sind 16,5 Milliarden Euro und für die Entlastung der Verbraucher bei den Energiekosten 6,3 Milliarden Euro vorgesehen.

Chancen und Risiken

Die massive Ausweitung der Staatsverschuldung birgt sowohl Chancen als auch erhebliche Risiken für die deutsche Wirtschaft und die öffentlichen Finanzen.

Chancen:

  • Die dringend benötigte Modernisierung der Infrastruktur könnte Wachstumsimpulse setzen und die Standortattraktivität Deutschlands steigern. Insbesondere Investitionen in die Bereiche Verkehr und Digitalisierung könnten zu Produktivitätssteigerungen führen.
  • Die geplanten Steuererleichterungen und Abschreibungsregeln („Investitionsbooster”) könnten private Investitionen anregen und die Wirtschaft aus der Stagnation führen. Dies würde insbesondere dem produzierenden Gewerbe zugutekommen.
  • Eine Stärkung der Verteidigungsindustrie könnte technologische Innovationen fördern und Arbeitsplätze in diesem Sektor schaffen. Zudem könnte dies die Position Deutschlands im Zollstreit mit den USA verbessern.

Risiken:

  • Die enorme Schuldenlast könnte künftige Handlungsspielräume drastisch einschränken und bei steigenden Zinsen zu erheblichen Belastungen führen. Zudem könnte Deutschland seinen exzellenten Ruf an den Finanzmärkten gefährden.
  • Die Länder könnten die Bundesmittel für Infrastruktur zweckentfremden, da sie sich bereits von Auflagen befreit haben. Die „Beutegemeinschaft der Länder” hat den Bund in Finanzfragen über den Tisch gezogen.
  • Ab 2028 muss der Bund die in der Coronakrise aufgenommenen Schulden zurückzahlen. Zusammen mit den neuen Schulden wird dies zu einer enormen Belastung führen. Dies könnte die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen gefährden.

Fazit

Mit der von Finanzminister Klingbeil geplanten Rekordverschuldung von 846,9 Milliarden Euro vollzieht die deutsche Finanzpolitik einen historischen Paradigmenwechsel. Die massive Ausweitung der Verteidigungsausgaben auf 3,5 Prozent des BIP bis 2029 – sechs Jahre früher als von der NATO gefordert – sowie die Rekordinvestitionen in Infrastruktur und Klimaschutz sollen die Wirtschaft ankurbeln und für mehr Sicherheit sorgen. Gleichzeitig wächst die Sorge vor einer übermäßigen Belastung künftiger Generationen und vor eingeschränkten Handlungsspielräumen. Ab 2028 muss der Bund zudem die Corona-Schulden zurückzahlen, was zusammen mit den neuen Krediten zu einer enormen Belastung führen wird. Die faktische Abschaffung der Schuldenbremse könnte Deutschland seinen exzellenten Ruf an den Finanzmärkten kosten – einen Luxus, den sich das Land in Zeiten geopolitischer Unsicherheit und wirtschaftlicher Herausforderungen eigentlich nicht leisten kann.

Schulden als Zukunftsinvestition oder Hypothek?

Die aktuelle Schuldenpolitik wirft grundlegende Fragen zur intergenerationellen Gerechtigkeit auf. Während keynesianische Wirtschaftstheorien staatliche Investitionen in Krisenzeiten befürworten, mahnen ordoliberale Ansätze zur fiskalischen Disziplin. Die schwarz-rote Koalition scheint nun einen Wandel vom deutschen Ordoliberalismus zu einer keynesianischen Ausgabenpolitik zu vollziehen.

Diese Transformation berührt das Spannungsfeld zwischen kurzfristiger Stimulierung und langfristiger Nachhaltigkeit. Die Rechtfertigung massiver Schulden als „Investitionen in die Zukunft” steht der Warnung vor einer „Hypothek für kommende Generationen” gegenüber. Besonders in einer alternden Gesellschaft mit schrumpfender Erwerbsbevölkerung stellt sich die Frage, wer diese Schulden letztlich tragen wird.

Die Verlagerung von Verteidigungsausgaben aus der Schuldenbremse reflektiert zudem einen Wandel im Sicherheitsverständnis: weg vom „Friedensdividende“-Paradigma der Post-Kalten-Kriegs-Ära, hin zu einer neuen Bedrohungswahrnehmung. Dies markiert eine finanz- und sicherheitspolitische Zeitenwende, die das Selbstverständnis Deutschlands als primär wirtschaftlich orientierte Macht grundlegend verändert.

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