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Politik > Einigung von Union und SPD

So reagieren Mittelständler und Ökonomen auf den Koalitionsvertrag

Verbände begrüßen Impulse für Strukturreformen, kritisieren jedoch mangelnde Ambitionen und langsames Tempo bei Steuersenkungen. Kurze Sammlung erster Stimmen.

(Foto: picture alliance)

Der frisch ausgehandelte Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD ruft in der deutschen Wirtschaft gemischte Reaktionen hervor. Während die zügige Einigung nach den Verhandlungen grundsätzlich positiv aufgenommen wird, zeigen sich Wirtschaftsverbände und Experten bei der inhaltlichen Bewertung deutlich zurückhaltender. Die entscheidende Frage lautet: Kann das Papier die erhoffte Wirtschaftswende einleiten oder bleibt es bei halbherzigen Kompromissen?

Schnelle Einigung, verhaltene Reaktionen

Die rasche Verständigung der Koalitionspartner wird von Wirtschaftsvertretern zunächst als positives Signal gewertet. So betont Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, dass ein Verhandlungsergebnis in so kurzer Zeit zunächst ein gutes Signal sei, auf das die deutsche Wirtschaft und Industrie gewartet habe.

Allerdings schränkte er sogleich ein, dass sich erst noch zeigen müsse, ob mit dem Verhandlungsergebnis auch inhaltlich der Weg für Wachstum, Entbürokratisierung und Vereinfachung eingeschlagen werde.

Diese vorsichtige Haltung zieht sich durch nahezu alle Stellungnahmen der Wirtschaftsvertreter. Bankenpräsident Christian Sewing erkennt zwar wichtige Impulse für dringend benötigte Strukturreformen, hätte sich aber an der einen oder anderen Stelle noch mehr gewünscht.

Bürokratieabbau und Digitalministerium als Lichtblicke

Zu den positiv bewerteten Aspekten des Koalitionsvertrags zählt der angekündigte Bürokratieabbau. Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) sieht darin einen wichtigen Schritt, um Investitionshürden zu beseitigen und neue wirtschaftliche Dynamik zu entwickeln. DSGV-Präsident Ulrich Reuter mahnt jedoch zur "entschlossenen Umsetzung" der Vorhaben.

In den vergangenen Jahren sind nach Aussagen von Dr. Matthias Mainz (IHK NRW) immer kleinteiligere Regulierungen zu einem erheblichen Standortnachteil insbesondere für kleinere Unternehmen in Deutschland geworden: "Ein spürbarer Abbau von Bürokratie und eine effizientere Digitalisierung von Verwaltungsleistungen sind daher entscheidend, um die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts zurückzugewinnen und die Transformation angehen zu können."

Als besonderer Erfolg wird die geplante Einrichtung eines Ministeriums für Digitalisierung und Staatsmodernisierung gewertet. Der Digitalverband Bitkom bezeichnet diesen Schritt als "Meilenstein für Deutschland" und "lange überfälliges Aufbruchsignal". Richtig ausgestaltet könne das neue Ministerium die digitalpolitischen Themen im Bund in einer Hand zusammenführen und so zu einem echten Treiber für die Digitalisierung werden.

Kritik an verzögerten Steuersenkungen

Deutliche Kritik äußern Wirtschaftsvertreter an den steuerlichen Maßnahmen des Koalitionsvertrags. Die Stiftung Familienunternehmen und Politik begrüßt zwar, dass die Koalition von Steuererhöhungen absieht, zeigt sich jedoch enttäuscht darüber, dass niedrigere Unternehmenssteuern erst ab 2028 vorgesehen sind.

Diese zeitliche Verzögerung könnte für viele mittelständische Unternehmen problematisch werden, die bereits jetzt unter hohen Steuerlasten leiden und im internationalen Wettbewerb stehen. Die langfristige Planbarkeit wird zwar geschätzt, doch die fehlenden kurzfristigen Entlastungen könnten die erhoffte Wirtschaftswende ausbremsen.

Die Vorsit­zen­de des Sachver­stän­di­gen­rats, Monika Schnit­zer, kommen­tier­te das Verhand­lungs­er­geb­nis gegen­über der F.A.Z. so: „Der schnel­le Abschluss der Verhand­lun­gen schafft Planungs­si­cher­heit, das ist angesichts der von den USA ausge­lös­ten globa­len Handelstur­bu­len­zen wichtig. Die angekün­dig­te Wirtschafts­wen­de fällt aller­dings deutlich kleiner aus, als in den Wahlpro­gram­men angekün­digt.“ Dies liege an den grund­ver­schie­de­nen Positio­nen der Partei­en etwa zur Frage, ob die Steuern sinken oder steigen sollten. „Die geplan­ten Sonder­ab­schrei­bun­gen sind sinnvoll und sicher weniger kontro­vers gewesen.“ 

Beim Thema Bürokra­tie­ab­bau seien noch „dicke Bretter“ zu bohren. Der Präsi­dent des Münch­ner Ifo-Insti­tuts, Clemens Fuest, sagte: „Es wird deutlich, dass die Koali­ti­on in der Steuer­po­li­tik die Bedin­gun­gen für Inves­ti­tio­nen verbes­sern will. Das ist ein wichti­ger Schritt.“ Die zeitlich versetz­te Senkung des Körper­schaft­steu­er­sat­zes schone das Steuer­auf­kom­men, gebe aber trotz­dem ein wichti­ges Signal.

Einige wirtschaftspolitischen Kernpunkte des Koalitionsvertrags

  • Steuerpolitik: Auf Steuererhöhungen wird verzichtet, Unternehmenssteuersenkungen sind jedoch erst ab 2028 geplant. Die zeitliche Verzögerung der steuerlichen Entlastungen könnte die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen mittelfristig beeinträchtigen.
  • Energiekosten: Der Koalitionsvertrag sieht Maßnahmen zur Senkung der Energiekosten vor, was insbesondere für energieintensive Branchen relevant ist. Diese Impulse werden als richtig, aber nur kurzfristig wirksam eingeschätzt.
  • Bürokratieabbau: Die Koalition verspricht ambitionierte Ziele beim Abbau bürokratischer Hürden, wobei die konkrete Umsetzung und Verbindlichkeit dieser Ziele noch unklar bleibt. Die Entbürokratisierung soll Investitionen erleichtern und Unternehmen entlasten.
  • Digitalministerium: Ein neues Ministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung soll eingerichtet werden, um digitalpolitische Themen zu bündeln und die Digitalisierung voranzutreiben. Dies wird als wichtiger Schritt zur Modernisierung des Wirtschaftsstandorts Deutschland gesehen.

Einige Wirtschaftsexperten vermissen Ambitionen

Kritisch äußern sich manche Wirtschaftswissenschaftler zum Koalitionsvertrag. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, beklagt, dass es dem Papier an Ambitionen mangele. Der Koalitionsvertrag von Union und SPD sei seiner Ansicht nach ein Kompromiss, der den Status quo weitgehend beibehalte und zentrale Zukunftsfragen nur unzureichend adressiere.

Die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer urteilt noch härter und bezeichnet das Papier als "leider kein Wachstumsprogramm". Sie zeigt sich wenig überrascht von diesem Ergebnis, da die Koalitionsparteien mit widersprüchlichen Forderungen in die Verhandlungen gegangen seien – einerseits Steuererhöhungen, andererseits Steuersenkungen.

Dr. Henning Bergmann, Hauptgeschäftsführer DER MITTELSTANDSVERBUND meint: „Das Aufbruchssignal des Koalitionsvertrages klingt nur zaghaft: Was dem Vertrag fehlt, ist ein tragendes, mittelstandspolitisches Leitmotiv. Die Ansätze hin zu mehr Marktwirtschaft, mehr Freiraum und mehr Innovation hätten deutlich mehr Mut verdient."  

Kleine Geschichte der Koalitionsverträge

Koalitionsverträge als formalisierte Vereinbarungen zwischen Regierungsparteien sind in Deutschland ein relativ junges Phänomen. Während in der frühen Bundesrepublik Koalitionen oft auf Basis informeller Absprachen gebildet wurden, entwickelten sich ab den 1960er Jahren zunehmend detailliertere schriftliche Vereinbarungen.

  • Die erste große Koalition (1966-1969) zwischen CDU/CSU und SPD markierte einen Wendepunkt: Erstmals wurde ein umfassender Koalitionsvertrag ausgehandelt, der wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Überwindung der damaligen Rezession festlegte. Interessanterweise enthielt dieser frühe Vertrag bereits Elemente, die auch heute noch diskutiert werden: Bürokratieabbau, Modernisierung der Verwaltung und Steuerfragen.
  • In den 1980er Jahren wurden Koalitionsverträge immer umfangreicher und detaillierter. Die wirtschaftspolitischen Abschnitte spiegelten zunehmend die Spannungen zwischen ordoliberalen und interventionistischen Ansätzen wider.
  • Historisch betrachtet haben Koalitionsverträge oft mehr versprochen als gehalten. Die Wirtschaftswende, die der Vertrag zwischen CDU/CSU und FDP 1982 einleiten sollte, blieb in vielen Bereichen hinter den Erwartungen zurück. Ähnlich verhielt es sich mit dem "Aufbruch in die Zukunft" der rot-grünen Koalition 1998 und dem "Mehr Fortschritt wagen" der Ampel-Koalition 2021.

Die Lehre aus der Geschichte: Wirtschaftliche Dynamik lässt sich nur begrenzt durch Koalitionsverträge steuern. Entscheidend ist letztlich die praktische Umsetzung und die Anpassungsfähigkeit an sich verändernde wirtschaftliche Rahmenbedingungen.

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