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Politik > Rede

Made in Germany ist die Krise – und die Lösung

Katherina Reiche hält ihre erste Rede als Bundeswirtschaftsministerin: Ein flammendes Plädoyer für Eigenverantwortung und wirtschaftlichen Aufbruch.

Bundeswirtschaftsministerin Katharina Reiche (Foto: WMG)

Erster Auftritt als Bundeswirtschaftsministerin: Katherina Reiche spricht auf dem Ludwig-Erhard-Gipfel. Wir dokumentieren die programmatische Rede. 

Lassen Sie mich kurz einen Blick auf die aktuelle wirtschaftliche Lage werfen. Deutschland befindet sich in einer historischen Wachstumskrise. Wir sind mittlerweile das dritte Jahr hintereinander in einer Rezession. 2023 waren es minus 0,3 Prozent, 2024 minus 0,2 Prozent. Und die letzte Regierung musste noch ein Nullwachstum für dieses Jahr ankündigen. Das gab es wohl noch nie. Eine solche strukturelle Krise hat dieses Land noch nicht gesehen. Die Arbeitslosigkeit kratzt seit geraumer Zeit wieder an der Drei-Millionen-Marke, und das Institut für Wirtschaft und Arbeit sieht andererseits rund 1,4 Millionen offene Stellen. Wir haben auf der einen Seite Arbeitskräftemangel und auf der anderen Seite eine steigende Arbeitslosigkeit. Die Zahl der Insolvenzen nimmt zu. Wir werden in diesem Jahr vermutlich 32.000 Unternehmensinsolvenzen sehen. Seit Jahren – und nicht erst seit der Ampel, weit davor – verlieren wir Investitionen. Seit 2020 sind fast 326 Milliarden Euro mehr ins Ausland gegangen, als hier investiert wurden. Das sind einige Indikatoren, die uns vor Augen führen, wie dringend der Handlungsbedarf ist. 

Wir haben aber auch eine gute Substanz. Wenn ich mir anschaue, was an Patentanmeldungen aus Hochschulen die Öffentlichkeit erreicht, liegen wir wieder auf Platz 2. Wir haben eine lebendige Start-up-Kultur. 2024 gab es mehr als 2700 Unternehmensgründungen – ein Anstieg von elf Prozent. Es war das zweitstärkste Gründungsjahr, das wir hatten. Wir haben ein starkes Rückgrat durch unseren Mittelstand, familiengeführte Unternehmen, die nicht in Quartalen denken, sondern in Jahrzehnten. Wir haben Leitbranchen, die stark sind. Die Leitbranchen allerdings stecken auch mitten in einer riesigen Transformation. Der Automobilsektor, der Maschinenbau, die chemische ­Industrie, energie­intensive Branchen, der Energiesektor selbst, die Metall- und Elektroindustrie, die Luftfahrt, die maritime Wirtschaft. 

Und so unterschiedlich die Herausforderungen in den einzelnen Sektoren sind, so merke ich doch eines – so haben wir das in dem Unternehmen, für das ich bis vor kurzem noch tätig war, auch gehandhabt: Entweder man investiert und entwickelt aus einer Situation der Stärke heraus oder aber man arbeitet sich durch harte Arbeit nach vorn. Und dieser Innovationsdrang, dieser Unternehmermut ist das, was mir in diesem Land Mut macht bei allen Problemen, die wir sehen. 

Lösung Made in Germany

Wir haben viele externe Faktoren, die auf uns einwirken: Handelskonflikte, Rohstoffe, die zu politischen Waffen werden, gebrochene Lieferketten, hohe Arbeitskosten, hohe Energiekosten. Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat die Schieflagen, die wir schon vorher im deutschen Energiesektor hatten, noch einmal verschärft. Aber die Wurzeln liegen tiefer. Und wenn die Krise auch Made in Germany ist, muss die Lösung auch Made in Germany sein. Und deswegen möchte ich auf Ludwig Erhard hinweisen, nachdem dieser Gipfel benannt ist, und auf Alfred Müller-Armack. Die soziale Marktwirtschaft war nach dem Zweiten Weltkrieg das Mittel der Wahl, Deutschland wieder zu Wachstum zu verhelfen. Ja, wir sind massiven Veränderungen ausgesetzt. Ich habe sie genannt und kann noch ergänzen: technologische Umbrüche, künstliche Intelligenz, Konnektivität, Robotik, Quantum Computing, Cyber, Greentech. Das sind riesige Chancen, aber es liegen auch Risiken drin. 

Müller-Armack hat schon früh antizipiert, dass es darum geht, eine zeitgemäße ordnungspolitische Ausgestaltung für die soziale Marktwirtschaft zu entwickeln. Er hat geschrieben: „Ich möchte sie als Format bezeichnen, das versucht, die Ideale der Gerechtigkeit, der Freiheit und des wirtschaftlichen Wachstums in ein vernünftiges Gleichgewicht zu bringen. Sie bedarf der Weiterführung, der Vervollkommnung und auch der kritischen Sichtung.“ 

Ich habe schon vor zwei Tagen [zur Amtseinführung, die Red.] gesagt, ich bin kein Müller-Armack und offensichtlich auch kein Ludwig Erhard. Aber ich sehe das Bundeswirtschaftsministerium in der Verantwortung, die bewährten Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft wiederzuentdecken, sie auszuprägen, das ordnungspolitische Gewissen dieser Bundesregierung zu sein und die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft mit Vernunft und mit Pragmatismus an unsere Zeit anzupassen. Wir müssen wieder mehr ermöglichen, als dass wir vorgeben. Wir müssen weniger regulieren, als viel mehr aktivieren. Zur sozialen Marktwirtschaft, zu ihren Prinzipien gehört die Eigenverantwortung. Und zu Eigenverantwortung gehört Risiko. Wenn der Staat versucht, jedes Risiko abzufangen, wird Unternehmertum erstickt. Das haben wir in den vergangenen Jahren falsch gemacht. Das muss sich ändern. 

Mit einem klugen Verständnis von sozialer Marktwirtschaft können wir Kräfte freisetzen für einen fairen Wettbewerb. Wettbewerb schafft Vorsprung. Dazu gehören Anreize, Fortschritt zu beschleunigen, zu Spitzenleistung zu ermuntern. Und wenn ich von Deutschland und Deutschlands wiederzuentdeckender Stärke spreche, dann spreche ich auch immer von einem Deutschland in Europa. 

Check der Energiewende

Vier Bereiche müssen wir schnell anpacken: Der erste ist die Energiepolitik. Unsere Energiepreise sind zu hoch und wir müssen die Versorgungssicherheit wieder gewährleisten. Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen: Versorgungssicherheit first. Wir brauchen flexible Gaskraftwerke, die dann Strom liefern, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. Und die brauchen wir schnell. Wir müssen in langfristige Gaslieferverträge gehen, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, und wir brauchen einen Realitätscheck der Energiewende. Ist das, was wir in den vergangenen Jahren zugebaut, ausgebaut haben, wirklich das Ideal? Oder haben wir beim Ausbau der erneuerbaren Energien die Systemrisiken und Systemkosten vergessen? 

Schauen Sie auf den Blackout auf der iberischen Halbinsel. Man ist in der Ursachenforschung und dem Zusammentragen der Faktoren, die zum Blackout geführt haben. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die rotierenden Massen fehlten. Das heißt, es fehlten flexible Gaskraftwerke, die hätten zugeschaltet werden können. Deswegen ist es wichtig, dass wir schnell Gaskraftwerke mit einer Leistung von mindestens 20 Gigawatt ausschreiben, um die Versorgungssicherheit in unserem Land hochzuhalten. 

Wir müssen und wir werden an die Strompreise rangehen. Wir müssen die Stromsteuer senken. Wir müssen die Gasspeicherumlage senken. Wir brauchen einen Industriestrompreis, wobei ich sagen muss, dass das in Europa ein dickes Brett ist, das wir bohren. Die Vielfalt der erneuerbaren Energien ist zu nutzen, aber wir müssen immer auf die Kosten achten. Und wir brauchen Technologieoffenheit. Wir haben schon alles erfunden, was wir brauchen, um 2045 klimaneutral zu sein? Ich glaube das nicht! Ich glaube, dass in diesem Land noch viel erfunden und erforscht werden kann. Ich glaube daran, dass neue Technologien in Sprüngen kommt, die es besser, effizienter machen. Und heute schon zu sagen, was wir in der Zukunft nicht brauchen, halte ich für falsch. Wir werden jede technologische Lösung brauchen, die wir bekommen können. 

Mehr Freihandelsverträge

Drei Punkte noch kurz: Deutschland ist stark, weil wir als Handelsnation, als Exportnation mit unseren Handelspartnern gut zusammenarbeiten. Wir brauchen einen regelbasierten Welthandel und der ist infrage gestellt. Wir brauchen schnell Freihandelsabkommen. Das heißt, wir müssen mit Chile, mit Mercosur, mit Indien, mit Australien und mit Mexiko in die entsprechenden Freihandelsverträge kommen. Und ich sage ausdrücklich, wir brauchen auch die Vereinigten Staaten von Amerika. Die sind unser Partner, sie bleiben unser Partner. 250 Milliarden Euro Handelsvolumen allein im vergangenen Jahr ist nicht zu ersetzen und das will auch keiner ersetzen. 

Also müssen wir und werden wir gemeinsam mit der Europäischen Union, mit den Amerikanern eine Lösung finden, um einen Zollstreit, einen Zollkrieg möglichst abzuwenden. Wir müssen Bürokratie abbauen, da erzähle ich Ihnen nichts Neues. Und die Bundesregierung hat ein extra Ministerium für Staatsmodernisierung eingerichtet. Unsere Abläufe sind zu schwerfällig für das, was wir an Veränderungen brauchen. Darum wird sich mein Kollege Karsten Wildberger kümmern. 

Und wir brauchen Europa. Europa wartet auf uns. Europa braucht eine starke Achse Deutschland – Frankreich. Sogar Deutschland – Frankreich – Polen im Weimar-Dreieck. Wir brauchen aber auch das Vereinigte Königreich. Deutschland muss wieder zusammen mit den Mitgliedstaaten Führungsstärke entwickeln, Führungswillen entwickeln. Das hat in den vergangenen Jahren auch gefehlt. 

Soziale Marktwirtschaft zu übersetzen in die heutige Zeit, wird die Aufgabe sein. Viele andere Felder sind zu bearbeiten, wie eine Steuer- und Unternehmensreform, wie eine Arbeitsmarktreform, die Abschaffung des Bürgergeldes. Aber es geht im Kern darum, das Subsidiaritätsprinzip, Eigenverantwortung, Wettbewerb, Geldwertstabilität als die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft wieder zu entwickeln. Mit Initiative, Innovationsgeist und Innovationsmut. Da sind wir in der Pflicht, aber ich lade Sie ein, uns dabei zu ­helfen. Vielen Dank. 

Die Ministerin

Katherina Reiche stammt aus Luckenwalde in Brandenburg. Die Chemikerin saß von 1998 an 17 Jahre für die CDU im Bundestag, war parlamentarische Staatssekretärin, zunächst im Umwelt-, später im Verkehrsministerium. 2015 wechselte sie in die Wirtschaft als Hauptgeschäftsführerin des Verbands der kommunalen Unternehmen. Von 2020 an leitete sie Westenergie, das größte Tochterunternehmen des Energiekonzerns Eon. Kanzler Friedrich Merz (CDU) berief sie als Wirtschaftsministerin in sein Kabinett.  

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