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Politik > Hilfe, die Wirtschaft brennt!

Quo Vadis, Wirtschaftsstandort? Neue Regierung, Reformen bitte!

Deutschland vor Neuwahlen: Wie das neue Kabinett starten muss, um wirtschaftspolitische Weichen neu zu stellen.

Auf nahezu allen Gebieten hinkt Deutschland bei den Standortfaktoren hinterher. Die nächste Bundesregierung muss da ansetzen. (Foto: shutterstock)

von Michael Heise

Von der nächsten Regierung ist zu erwarten, dass sie die Probleme der Wirtschaft klar erkennt und anspricht, anstatt die Lage schön zu reden. Bei einer ungeschminkten Bestandsaufnahme sollte sie zu dem Ergebnis kommen, dass die Entwicklung der deutschen Wirtschaft seit dem Jahr 2018 das Schlusslicht unter den größeren Volkswirtschaften bildet, dass die privaten Haushalte in dieser Zeit keine Realeinkommenssteigerungen zu verzeichnen hatten und dass mit dem trendmäßigen Produktions- und Beschäftigungsrückgang in der Industrie eine Deindustrialisierung eingesetzt hat. 

Ins Bild gehört auch, dass die Investitionen internationaler Unternehmen in Deutschland zurückgehen, während mehr und mehr deutsche Unternehmen im Ausland investieren oder planen, das zu tun.

In allen relevanten Standortvergleichen ist Deutschland in den letzten Jahren kräftig abgerutscht. Die deutsche Wachstumsschwäche, die schon vor der Ampelregierung begann, hat inzwischen einen deutlichen Anstieg der Insolvenzen und der Arbeitslosigkeit zur Folge.  

Diese Fakten sind eindeutig. Dennoch gibt es Ökonomen und nicht wenige Politiker, die meinen, der Standort würde nur schlecht geredet und die Klagen seien das eigentliche Problem, weil sie psychologische Wirkung entfalten und die Konjunktur damit schwächen. Diese Sichtweise gleicht einer Realitätsverweigerung.

 

Eine klare Ursachenanalyse ist notwendig

Eine sinnvolle Lösung der Probleme muss mit einer Wahrnehmung der Fakten beginnen. Im Zentrum stehen sollte dabei die Frage, warum die deutsche Wirtschaft seit Jahren zurückfällt und kein Wachstum mehr verzeichnet.

Im politischen und medialen Raum dominiert zurzeit die These, es sei die Schuldenbremse des Grundgesetzes, die nötige Investitionen des Staates und somit Wachstum verhindere. Diese Erklärung ist politisch vielleicht bequem (denn was kann man schon tun, wenn keine Verschuldungsmittel zur Verfügung stehen?), aber völlig unzureichend.

Natürlich ist es richtig, dass Deutschland mehr Investitionen in Bildung, Infrastruktur und Verteidigung braucht. Aber es war nicht die Schuldenbremse, sondern die Unfähigkeit der Politik, die richtigen Prioritäten zu setzen, um die selbst beklagte Investitionsschwäche im öffentlichen Bereich zu überwinden.

Die Schulden sind langfristig stark gestiegen, aber sie dienten vor allem dazu, konsumtive und verteilungspolitische Ausgaben des Staates zu finanzieren.  Die öffentlichen Investitionen sind dagegen zu gering geblieben. Die Investitionsquote des Staates lag vor 30 Jahren knapp unter 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Und da liegt sie auch heute noch. Die Folgen mangelnder Prioritätensetzung kann man im Bildungsbereich oder bei der Infrastruktur besichtigen. 

Der Fokus auf die Schuldenbremse liefert ein schiefes Bild

Das Gefährliche an der Debatte zur Reform der Schuldenbremse ist nicht, dass damit die Schulden außer Kontrolle geraten könnten, sondern dass die Politik mit höheren Staatsausgaben vorgibt, alles Notwendige zur Gesundung der deutschen Wirtschaft getan zu haben. Das ist eben nicht der Fall.

Zur Gesundung der Wirtschaft und zur Transformation in eine grüne und digitale Zukunft braucht es einige Strukturreformen, die die private Investitions- und Innovationsaktivität wieder stärken. Es geht darum, den volkswirtschaftlichen Kapitalstock Schritt für Schritt zu erneuern, energieeffizienter und produktiver zu machen. Dazu bedarf es privater Investitionen, die etwa das Achtfache der öffentlichen Investitionen betragen müssten. Sie werden nur dann in erforderlichem Maß steigen, wenn die Rahmenbedingungen für Investitionen und Innovationen in Deutschland stimmen.

Wie es zum Abstieg des Standorts Deutschland kam

Die Fokussierung der Debatte auf die Schuldenbremse und öffentliche Investitionen und Subventionen liefert daher ein sehr unvollständiges Bild. Diese einseitige Sichtweise und das Ausbleiben von Strukturreformen haben dazu geführt, dass sich das von der Ampelregierung angekündigte grüne Wirtschaftswunder in Luft aufgelöst hat und Deutschland seit Jahren an einer Rezession vorbeischrammt. 

Der Wirtschaftsstandort Deutschland weist inzwischen umfassende Standortnachteile auf, die bei unternehmerischen Entscheidungen in die Waagschale geworfen werden, und die einem Aufschwung und einer raschen Transformation der Wirtschaft entgegenstehen.

Deutschland ist in praktisch allen wichtigen Standortfaktoren in den letzten Jahren im internationalen Vergleich auf die hinteren Plätze zurückgefallen – bei der Belastung mit Körperschaftsteuer und Einkommenssteuer, bei den Lohnkosten in der Industrie, bei den Sozialabgaben der Arbeitnehmer und Arbeitgeber, bei den Energiekosten für Unternehmen und private Haushalte, bei den Bürokratiekosten und der Geschwindigkeit von Entscheidungsverfahren, nicht zuletzt im Bereich der Infrastruktur.
 

Es besteht dringender Handlungsbedarf

Beim Arbeitskräfteangebot, einer traditionellen Stärke, gibt es ebenfalls erhebliche Engpässe. Der Standort Deutschland ist so nicht mehr wettbewerbsfähig und es ist nicht verwunderlich, dass die Unternehmen sich mit Investitionen zurückhalten.  

Es gibt also einen dringenden Handlungsbedarf. Schnell wirkende und für den Staat finanzierbare Reformen gibt es durchaus. Beispielsweise könnte mit einer nennenswerten allgemeinen Abschreibungserleichterung ein starker Investitionsanreiz gesetzt werden, der dem Staat nur vorübergehend Mindereinnahmen, langfristig aber Mehreinnahmen brächte. Weitere Handlungsnotwendigkeiten liegen im Bereich der Energiekosten, wo ebenfalls schnell entlastet werden müsste, um allzu große Nachteile für die deutsche Wirtschaft abzubauen.

 

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Aus The European, veröffentlicht unter Lizenz. Der Originalartikel ist zu finden unter www.theeuropean.de

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