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Politik > Scholz Wahlkampf 2024

Scholz' Kampf ums politische Überleben: Kann der Kanzler das Ruder noch herumreißen?

Olaf Scholz steht vor der größten Herausforderung seiner Karriere: Trotz historisch schlechter Umfragewerte hofft er auf eine Wiederwahl.

Nur 8 % der Deutschen glauben, dass die SPD am besten in der Lage ist, die Probleme des Landes zu bewältigen. Anders als 2021, als Scholz ein Wahlkampfzugpferd für seine Partei war, ist er heute eine Belastung. In diesem Licht betrachtet könnte die Entscheidung der SPD, sein Gesicht allüberall auf ihren Plakaten zu zeigen, kühn erscheinen. (Foto: picture alliance)

Kurz nachdem Olaf Scholz 2021 überraschend die Wahl zum deutschen Kanzler gewann, jubelten seine Parteikollegen über das kommende „Jahrzehnt der Sozialdemokratie". Jetzt steht er vor dem Aus, nachdem er kaum ein Drittel davon gedient hat.

In Vorbereitung auf die Wahl am 23. Februar liegen die Umfragen für Scholz' Sozialdemokraten (SPD) bei 16 % und damit weit abgeschlagen hinter der Mitte-rechts-Partei CDU/CSU (31 %) und der rechtsextremen Alternative für Deutschland (20 %).

Deutschlands Wirtschaft liegt im Argen, Krieg und Unsicherheit beherrschen das Land, und die Wähler sind besorgt. Dennoch glauben in Scholz' Lager viele, dass sein Kandidat es nach wie vor schaffen kann, als die SPD plant, Scholz am 11. Januar zum Kandidaten zu ernennen. „Es wird schwierig, aber es gibt absolut eine Chance", sagt Dorothee Martin, SPD-Abgeordnete aus Scholz' Heimatstadt Hamburg.

Die Hoffnung stirbt zuletzt: Scholz' Strategie für den Wahlkampf

Das Argument lautet wie folgt.

Erstens: Betrachten Sie die vorherige Wahl. Bereits 2021 wurde Scholz abgeschrieben, wie es heute der Fall ist. Doch führte er eine perfekt abgestimmte Kampagne und die SPD dazu, den zweistelligen Vorsprung der CDU/CSU in den letzten Wochen zu überholen. Wo Kommentatoren nur Meinungsumfragen sehen, so das Argument von Scholz' Beratern, hat er weiterhin ein tiefes Gespür für die unterschwelligen Strömungen der deutschen Politik. Langsam und stetig gewinnt er das Rennen.

Zweitens: Schauen Sie sich die Opposition an. Scholz mag der unpopulärste Kanzler der modernen Zeiten sein. Aber sein Hauptgegner, Friedrich Merz, der CDU/CSU-Kandidat, schneidet kaum besser ab, und er neigt zu Patzern. Entscheidend sei, so ein Scholz-Berater, je mehr die Wähler von Merz sehen, desto weniger mögen sie ihn; und viele stimmen sich erst jetzt nach einer durch den Zusammenbruch der Dreiparteienkoalition im November veranlassten vorgezogenen Wahl auf die Bundestagswahlen ein. Zudem, so sein Team, habe Scholz' Unbeliebtheit mehr mit der verhassten Regierung als mit seinen eigenen Defiziten zu tun. Es wird eine personalisierte Kampagne erwartet: der kühle Scholz vs. der jähzornige, ungetestete Merz.

Der Trump-Faktor: Wie internationale Politik den Wahlkampf beeinflussen könnte

Drittens: Blicken Sie voraus. Der letzte Monat der deutschen Kampagne wird der erste unter der Präsidentschaft von Donald Trump sein, und Trump wird dem Wähler sicher einen Grund zum Hinsehen geben. Eine Kampagne, die sich derzeit auf Löhne, Industrie und Einwanderung konzentriert, könnte teilweise davon abhängen, wer am besten auf amerikanische Zölle, einen vorgeschlagenen Friedensplan in der Ukraine oder Forderungen nach einer Verdreifachung des Verteidigungshaushalts reagieren kann.

Bisher konzentriert sich die SPD-Kampagne um eine unaufgeregte Vermittlung von Sicherheit: Löhne, Renten, Investitionen und Energiekosten. Dieser bescheidene Ansatz steht nicht im Einklang mit dem Ausmaß der deutschen Herausforderungen. Aber Parteistrategen hoffen, dass er Scholz in die Lage versetzen wird, sich als Fels in dem Sturm zu präsentieren, den Trump nach dem 20. Januar entfesseln könnte. „Heute klingen ‚Wandel' und ‚Fortschritt' wie Bedrohungen", sagt Armand Zorn, SPD-Abgeordneter aus Frankfurt. „Die Wähler wollen Stabilität und Sicherheit."

Realistische Chancen oder Wunschdenken? Eine kritische Betrachtung

Kann das wirklich funktionieren? Scholz könnte im Wahlkampf durchaus Boden gutmachen; die SPD legt in der Regel zu, wenn sie hinter der CDU/CSU liegt. Obwohl der Regierungsstil des Kanzlers extrem behäbig ist, spielt er gerne den Außenseiter und kann überraschend effektiv im Wahlkampf sein, bemerkt Daniel Brössler, Autor von „Ein deutscher Kanzler", einer Biografie von Scholz. Was Trump angeht, so könnte Scholz' sicherheitsorientierter Ansatz für risikoscheue Deutsche ansprechender sein als Merz' eher machohafter Stil.

Doch bei alldem scheinen die Chancen für eine Wiederwahl von Scholz nahezu unüberwindbar. Die Lehren aus 2021 sind begrenzt, sagt Peter Matuschek von Forsa, einem Meinungsforschungsinstitut.

Merz ist beliebter als Armin Laschet, der vorherige CDU/CSU-Kandidat, und Scholz ist heute bekannter und weniger beliebt. Nur 8 % der Deutschen glauben, dass die SPD am besten in der Lage ist, die Probleme des Landes zu bewältigen. Anders als 2021, als Scholz ein Wahlkampfzugpferd für seine Partei war, ist er heute eine Belastung. In diesem Licht betrachtet könnte die Entscheidung der SPD, sein Gesicht allüberall auf ihren Plakaten zu zeigen, kühn erscheinen.

Für einige war auch die Entscheidung, mit Scholz anzutreten, von vornherein gewagt. Im letzten Jahr flirtete die SPD mit der Idee, ihn durch den beliebten Verteidigungsminister Boris Pistorius zu ersetzen, dessen Rücktrittsentscheidung im November die Moral einiger SPD-Fußsoldaten verletzte, die sich nicht auf eine Winterkampagne für einen schwachen Kandidaten freuten. Der Kanzler selbst scheint über unerschöpfliche Selbstüberzeugung zu verfügen. Jemand muss es tun: 62 % der SPD-Anhänger glauben, dass er gegen Merz verlieren wird.

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Aus The Economist, übersetzt von der Markt & Mittelstand Redaktion, veröffentlicht unter Lizenz. Der Originalartikel in englischer Sprache ist zu finden unter www.economist.com

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