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Politik > Kommentar

Regierung überzeugt in der Woche der Wahrheit – außer beim Strompreis

Friedrich Merz punktet beim Tag der Industrie. Kanzler und Regierung drücken bei einem Teil der Bosse viele richtige Knöpfe. Aber ein Teil des Mittelstandes ist aus einem Grund schwer enttäuscht.

Fridrich Merz am Rednerpult
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) spricht beim Tag der deutschen Industrie. Jährlich treffen sich ranghohe Vertreter aus Politik und Wirtschaft auf der Veranstaltung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). (Foto: picture alliance)

Von Thorsten Giersch

Durch Berlin wehte in dieser Woche ein frischer Wind. Wer Verbandsbosse über den Auftritt von Friedrich Merz beim Tag der Industrie sprechen hörte, kam aus dem Staunen nicht heraus: Vorschlusslorbeeren statt Forderungen, Lob statt leidvolles Gejammer. Frei hat Merz er seine Ansprache gehalten, das Redemanuskript an die Seite gelegt, weil er auf das vorher Gesagte reagieren wollte. Das kam gut an.

Da verwies so mancher auf Olaf Scholz: Der Ex-Kanzler habe sich im vergangenen Jahr einen Prompter hinstellen lassen, sein Team die Veranstalter mächtig gestresst. Es sollte bloß kein Wort daneben gehen. Auch so ein Beispiel für Misstrauen statt gemeinsamen Anpacken.  

Das Aufatmen war laut zu hören

Angesichts des völlig zerrütteten Verhältnisses der Industrie-Oberen zum SPD-Mann ist der aktuelle Stimmungsumschwung allerdings keine große Kunst. Dennoch überzeugt die Demut, die nicht nur Merz, sondern auch Katherina Reiche und diverse parlamentarische Staatssekretäre derzeit an den Tag legen: „Wir haben viel angekündigt, nun müssen wir auch liefern.“… „Wir vertrauen Unternehmerinnen und Unternehmern“ … „Wir hören Ihnen zu!“ … „Wir machen in Brüssel Druck machen, damit die Regulierung zurückgefahren wird“: Das ist der Ton, mit dem die neue Regierung Unternehmerinnen und Unternehmer für sich einnimmt.

Merz legte seinen „Neun-Punkte-Plan“ vor und überzeugte mit großzügigen Abschreibungen für Investitionen, Entlastungen bei den Energiekosten sowie mehr Planungssicherheit. Der Steuer-Deal mit den Ländern war ein erster Schritt: Die Regierung gleicht die Mindereinnahmen aus, die die Länder erwarten durch niedrigere Steuern für die Unternehmen. Das Aufatmen war laut zu hören. Man traut der SPD und dem Föderalismus immer noch alles zu.

Stromsteuer sorgt für Ärger

Auch die Abkehr von der Schuldenbremse mit der ebenfalls in dieser Woche beschlossenen Schuldenpaket von Finanzminister Klingbeil kommt grundsätzlich gut an. Der Zustand der USA wird auch als große Chance wahrgenommen nach dem Motto: Dort investiert derzeit niemand mehr, also lasst uns das Geld nach Deutschland locken. Doch dafür und damit Klingbeils Milliarden wirken, braucht es tiefgehende Strukturreformen.

Außerdem gab es im Entwurf für den Bundes­haus­halt 2025 einen großen Schock für Teile der Industrie: Dass die Strom­steu­er doch nicht für alle Verbrau­cher auf das europäi­sche Minimum sinkt, kam bei den Betroffenen gar nicht gut an. Stand jetzt profitiert weiterhin nur das produ­zie­ren­de Gewer­be von dieser Vergüns­ti­gung. 

Jörg Dittrich, Präsi­dent des Zentral­ver­bands des Deutschen Handwerks (ZDH), nannte das einen „Schlag ins Kontor des Mittel­stands“. Ziemlich genau dieselbe Formulierung wählte Peter Adrian, Präsi­dent der Deutschen Indus­trie- und Handels­kam­mer (DIHK): „Die Absage des Bundes­fi­nanz­mi­nis­ters an die Senkung der Strom­steu­er für alle Branchen ist ein Schlag ins Gesicht für viele Unternehmen.“

Zur Erinnerung: Im Koali­ti­ons­ver­trag steht, dass die Strom­steu­er für alle gesenkte wird als „Sofort­maß­nah­me“. Die Betrie­be hätten sich darauf verlas­sen, kriti­sier­te Dittrich. Wirtschafts­mi­nis­te­rin Kathe­ri­na Reiche (CDU) musste auf dem Tag der Industrie zugeben, dass mehr aktuell nicht möglich sei. „Hier trifft Koali­ti­ons­ver­trag auf finan­zi­el­le Möglich­keit und Wirklich­keit.“

Merz’ Wirtschaftsagenda geht da nicht weit genug.  Die Investoren sehen, dass Deutschland bis 2032 braucht, damit die Unternehmenssteuern hier auf dem Niveau des Auslands sind. Die Regierung fährt in der Sozialpolitik auf einen Abgrund zu. Ohne die Axt an dieser richtigen Stelle kann er aus dem Neun-Punkte-Plan auch 23 Punkte machen – es wird wenig nutzen.

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