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Politik > Analyse zur Wahl

To-dos der neuen Regierung: Die schwierigste Legislatur aller Zeiten

Die Deutschen haben entschieden: Die CDU soll für die Wende zum Besseren sorgen. Die FDP fliegt aus dem Bundestag. Die Zahl der Probleme ist groß. Das sollte dazu zwingen, in den kommenden vier Jahren das Nötige zu tun.

Wahlsieger: Friedrich Merz, Markus Söder, Christina Stumpp, stellvertretende CDU-Generalsekretärin und weitere CDU-Spitzen, im Konrad-Adenauer-Haus am Sonntagabend. (Bildquelle: shutterstock)

Die Deutschen haben ein neues Parlament gewählt: Bei den vorgezogenen Bundestagswahlen kamen die relevantesten Parteien auf folgende Werte (Zwischenergebnis der Wahlleiterin 5.42 Uhr):

  • CDU: 28,6 Prozent
  • AfD: 20,8 Prozent
  • SPD: 16,4 Prozent
  • Grüne: 11,6 Prozent
  • Linke: 8,8 Prozent
  • BSW: 4,9 Prozent
  • FDP: 4,3 Prozent

Damit sind zwei Zweier-Konstellationen möglich: CDU und SPD sowie CDU und AfD. Letzteres wurde von der Union allerdings ausgeschlossen.

FDP-Chef Christian Lindner kündigte in der sogenannten Elefantenrunde am Sonntagabend seinen Rückzug von der FDP-Spitze an, wenn die Partei an der Fünfprozenthürde scheitern sollte - wonach es stark aussieht.

Große Aufgaben für die neue Regierung

Die Deutschen haben sich noch nie so einsam gefühlt, der Krankenstand brach zuletzt Rekorde und sie sind eine verunsicherte Gesellschaft, die der Regierung mehr abverlangt als jemals zuvor. 

Darauf muss eine Regierung Merz reagieren, aber sie sollte es nicht wie ihre Vorgänger tun nach dem Motto „Bloß keine Zumutungen“ – womöglich garniert mit der Idee, alle Last auf die Arbeitgeber abzuwälzen. Ein Weiter-so wird dazu führen, dass 2029 wie in so vielen anderen Ländern Populisten die Mehrheit erlangen und womöglich an die Macht kommen könnten.

Abgesehen von der Wirtschaftskrise kommen auf die neue Regierung Herausforderungen in einer Anzahl und Komplexität zu, wie es sie in der Geschichte dieses Landes nur selten gab. Die für viele Bürger so wichtigen Themen Migration und innere Sicherheit sind schwierig zu lösen. In der Außenpolitik stehen auf der einen Seite Russland als Aggressor, auf der anderen die USA mit einem Präsident Trump, der nichts weniger als das Ende des Westens, wie wir ihm kennen, ausgerufen hat. Wer gut ist und wer böse, ist für die neue Bundesregierung nicht mehr eindeutig festzustellen.

Das Ziel: Populisten eindämmen

Die Digitalisierung im Allgemeinen und künstliche Intelligenz im Besonderen werden den Alltag von uns allen so stark verändern – und zwar schon in dieser Legislatur und auf allen Ebenen – dass es den Bürgerinnen und Bürgern Angst macht. Die Finanzierungprobleme der Versorgungssysteme, allen voran in der Rente, werden ausgerechnet kurz vor der „Schicksalswahl“ 2029 sichtbar werden.

Friedrich Merz und sein noch zu findendes Team wird hoffentlich auch als solches regieren. Bei Uneinigkeit, die nach außen allzu sichtbar wird, droht die AfD bei der Bundestagswahl in vier Jahren stärkste Kraft zu werden. Die Rechten an der Macht ist ein Szenario, das hierzulande lange als unwahrscheinlich galt, aber das tat es woanders in Europa auch – bis es in verschiedenen Ländern um uns herum Realität wurde.

Apropos Europa – auch hier liegt eine wichtige Aufgabe dieser Regierung: Die Achse mit Frankreich aktiv zu gestalten und den Bürgern hierzulande die Vorzüge der Gemeinschaft immer wieder zu erklären. Selbst unter den Unternehmern scheint nicht mehr klar zu sein, wie wirtschaftsfeindlich anti-europäische Austrittsphantasien sind.

Welche Maßnahmen priorisiert werden müssen

In unsicheren Zeiten muss die neue Regierung Sicherheit bringen, Vertrauen ausstrahlen und Kompetenz beweisen. Das kann sie nicht, wenn sie nach außen sichtbar zu viel streitet. Das hat die Ampel hinlänglich bewiesen. Das kann sie nicht, wenn ihre Vorhaben und Maßnahmen von objektiven Expertinnen und Experten in der Luft zerrissen werden, weil sie entweder handwerklich schlecht sind oder von Ideologie statt Rationalität gesteuert. 

Das soll Robert Habeck ja auch passiert sein, Stichwort GEG. Der vergangene Wirtschaftsminister galt vielen als der schlechteste in der Geschichte. Doch warf man nicht genau das auch seinen Vorgängern vor während deren Amtszeit? Immerhin hat Habeck das Amt aus dem Tiefschlaf erweckt. Keine Frage: Deutschland braucht wieder mal einen Kracher im Wirtschaftsministerium. Mal abgesehen vom Thema innerer Sicherheit, Verteidigung – starke, europäische Streitkräfte – und Außenpolitik braucht es bei den Wirtschaftsthemen Folgendes:

Wer nach Rezepten für höheres Wachstum sucht, findet im Internet mehr als Kochtipps für den Thermomix. Doch wenn es so einfach wäre mit „Investitionen ankurbeln“ oder „Bürokratie abbauen“, würde es ja jeder machen. Natürlich muss hier die Entschlossenheit steigen. Aber ein paar frische Ideen sind zusätzlich nötig. 

Statt all der Kleinteiligkeit bei der Klimatransformation brauchen Unternehmen eine Organisation des Wandels über den CO2-Preis. Werden Betriebe unter der Zusatzbelastung zusammenbrechen? Ja! Müssen wir das hinnehmen? Ja! Das ist eine von vielen Zumutungen, die ab 2025 auf die Deutschen zukommen. Die knappen Arbeitskräfte, die wir noch haben, müssen an den Stellen ran, die Zukunft haben.

Apropos: Diese Regierung braucht einen klaren Plan, welche Technologien und damit auch Geschäftsbereiche in diesem Land Erfolg haben können und Arbeitsplätze schaffen. Das sollten natürlich Politikerinnen und Politiker nicht allein entscheiden, sondern ein unabhängiges Gremium aus Fachleuten. Dann gibt es auch keine Einzelsubventionen á la Intel mehr. Dieses Gremium wird auch feststellen, wo die Abhängigkeit von Importen aus eher unfreundlichen Staaten zu hoch ist und vorschlagen, gegenzusteuern.

Zudem braucht es mehr Gemeinsamkeit von Unternehmen und Forschung in beide Richtungen. Die Industrie sammelt immense Mengen an wertvollen Daten, mit denen Unis und Forschungscluster Champions League spielen könnten. Und in den Pensionskassen liegt Geld genug, um den Spaß zu finanzieren. Der Staat müsste mit Bürgschaften für eine gewisse Sicherheit sorgen.

Digitalisierung und Infrastruktur

Deutschland braucht einen großen Wurf bei der Digitalisierung. Nicht nur beim Desaster rund um das Onlinezugangsgesetz zeigte sich, dass Deutschland viel zu starr in Ministerien denkt. Die, die gegen ein Digitalministerium [art1] waren, haben kaum noch Argumente. Es muss her, keine Frage. Dazu gehört ein unabhängiges Expertengremium und eine KI-Strategie, die den Namen verdient.

Deutschland braucht zudem Investitionen in die Infrastruktur: von Schulgebäuden über Brücken, Gleise bis hin zu den digitalen Netzen. Seriöse Schätzungen gehen von 600 Milliarden Euro aus, die in den kommenden zehn Jahren nötig sind – ein Viertel davon allein für die Bahn. Die CDU will dort Netz und Betrieb trennen, was dem Wettbewerb nutzt und den Zugang privater Anbieter [art2] zum Schienennetz erleichtert.

Deutschland kann sich all diese Investitionen leisten: Laut Prognose der Steuerschätzer wird der Fiskus 2026 erstmals mehr als eine Billion Euro einnehmen. Mit 48,5 Prozent liegt die Staatsquote kaum höher als 2010. Einsparpotenzial [art3] gibt es zudem genug, ohne dass es der Gesellschaft nachhaltig schaden wird. Neue Schulden sind nötig, doch das ist in dieser Situation angebracht. Derzeit erlaubt die Schuldenbremse ein Defizit von 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung. Diese Quote sollte leicht angehoben werden.

Steuern

Der Ottonormalverdiener muss dem Staat hierzulande 48 Prozent seines Gehalts in Form von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen geben, der OECD-Durchschnitt liegt bei 35 Prozent. Selten war das Wortpaar „Reform“ und „überfällig“ so berechtigt wie bei der Steuerpolitik. Die Einkommensgrenze, aber der der Spitzensteuersatz fällig wird, muss von derzeit 68.430 Euro deutlich steigen.

Bekannt ist auch, dass Unternehmen hierzulande sehr hoch besteuert werden. Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer und Solidaritätszuschlag ergeben zusammen im Schnitt 30 Prozent Steuer auf den Unternehmensgewinn. Das muss die Regierung auf 25 Prozent deckeln, wie Merz ja auch angekündigt hat. 

Einen Teil der fehlenden Einnahmen werden durch mehr Wachstum ausgeglichen. Außerdem ließe sich bei der Erbschaftsteuer etwas machen – die Ausnahmen für Betriebsvermögen sind arg üppig, wenn nicht gar unnötig. Auch das eine der Zumutungen.

Bildung und Zuwanderung

Praktisch keine Rolle hat das Thema Bildung im Wahlkampf gespielt. Warum auch, könnte man einwenden: Schließlich ist Bildung Ländersache und der Bund hat nur wenig zu bestimmen. Aber das stimmt so nicht. Und was ist die Alternative? Immer weiter so das Länderversagen ansehen, als ob es keinen Handlungsbedarf gäbe? Beim Bildungssystem ist es bestenfalls eins vor zwölf. Wir haben laut Berufsbildungsbericht bald mehr als drei Millionen Menschen zwischen 20 und 35, die über keine Qualifikation verfügen.

Die Welt schüttelt nur den Kopf, dass im Land der Dichter und Denker Kinder meist nach dem vierten Schuljahr auf weiterführende Schulen sortiert werden und es keine Kita-Pflicht gibt. Allein diese beiden Maßnahmen würden der gigantischen Potenzialvergeudung nennenswert Einhalt gebieten. Und warum geht bei der Bildung nicht das, was auf dem Finanzamt alltäglich ist? 

Eine Schüler-ID würde es Jobcentern, Jugendberufsagenturen und Kammern ermöglichen, all denjenigen etwas anzubieten, die auf dem Weg in eine Ausbildung Hilfe brauchen. Aber vielleicht gibt es die nicht, weil man so auch messen könnte, wie gut oder schlecht das Bildungssystem wirklich funktioniert.

Selbst wenn die Maßnahmen wirken, wird es lange dauern, bis der Personalmangel dadurch sinkt. Arbeitsmigration ist nötig und da sind die von der CDU geplanten sogenannten Work-and-Stay-Agenturen ein guter Anfang, um die bestehenden Dysfunktionalitäten zu beheben.

Die könnten zu schnelleren Prozessen für Erwerbszuwanderer führen, weil Fachkräfte Service aus einer Hand erhalten: von der Anwerbung und Arbeitsplatzvermittlung über die Prüfung der Einreisevoraussetzungen und Visavergabe [art4] bis hin zum Aufenthaltstitel. Die Trennung der Asylverfahren von den Verfahren zur Einwanderung in den Arbeitsmarkt ist offensichtlich der richtige Weg.

Arbeitsmarkt und Rente

Bitter ist, dass selbst die CDU von einer Erhöhung des Renteneintrittsaltern nichts mehr wissen will. Dringend nötig wäre, dass die meisten Berufsgruppen in Zukunft länger arbeiten. Erster Schritt ist, das reale Renteneintrittsalter näher an das gesetzliche heranzuführen. Ein zweiter großer Hebel ist, dass Frauen mehr arbeiten – jede zweite arbeitet hierzulande in Teilzeit. 

Überhaupt ist die Hoffnung auf einen großen Wurf bei der Rente gering. Und warum sollten Rentner nicht einen Beitrag zu den ungeheuren Herausforderungen liefern? Auch eine der Zumutungen, über die zumindest nachgedacht werden muss.

Offensichtlich ist das Steuerprivileg für Ehepaare ein Hindernis, das abgeräumt werden muss. Weil es verfassungsrechtlich schwierig wäre, das Ehegattensplitting einfach zu streichen, ist eine ordentliche Reform zwingend, für die es sehr konkrete Vorschläge gibt. Das nützt aber nur wenig, wenn es zu wenig Kita-Plätze gibt oder Arbeitgeber bei der flexiblen Arbeitszeit mehr knausern als möglich.

Energiepolitik

So gut wie der Ausbau der Erneuerbaren Energien zuletzt war, im ganzen betrachtet ist die Energiepolitik stark verbesserungswürdig. Deutschland benötigt moderne, jederzeit verfügbare Gaskraftwerke, damit der steigende Bedarf an Strom auch dann gedeckt ist, wenn die Sonne nicht scheint und Flaute herrscht.

Erleichterungen bei der Genehmigung sind ja schon auf dem Weg, aber die strengen Anforderungen der EU an die Produktion von grünem Wasserstoff sind kontraproduktiv. Hier muss Deutschland sein Gewicht in Europa sinnvoll einsetzen. Zudem sollten die feste Einspeisevergütungen für Ökostrom vom Winde verweht werden zugunsten von Subventionen für den Bau von Wind- und Solaranlagen

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