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Politik > Europa: Ein Sturm über dem Atlantik

Europas Schlingerkurs: Kann der Kontinent dem Trumpnado trotzen?

Von politischen Stürmen gebeutelt, muss der Kontinent einer neuen Bedrohung ausweichen.

Leider befindet sich Europa inmitten eines beispiellosen Sturms. Nicht nur steht seine Wirtschaft vor heftigen Gegenwinden, sondern auch die Wähler werfen ihre Führer routinemäßig über Bord, und der Krieg auf dem Kontinent hat das Schiff nun schon seit drei Jahren erschüttert. (Foto: Ki-generiert)

aus: The Economist

 

Die Besatzung eines Bootes, dessen Ruder abgefallen ist, kann wenig anderes tun, als auf ruhiges Wetter und einen schnellen Weg in sichere Gewässer zu hoffen. Ähnlich geht es Demokratien, die in politischen Stürmen gefangen sind, sie sehnen sich nach ruhigeren Zeiten, während sie überlegen, wie sie einen neuen Kurs abstecken können.

Leider befindet sich Europa inmitten eines beispiellosen Sturms. Nicht nur steht Europas Wirtschaft vor heftigen Gegenwinden, sondern auch die Wähler werfen ihre Führer routinemäßig über Bord, und der Krieg auf dem Kontinent hat das Schiff nun schon seit drei Jahren erschüttert. Inmitten dieser schweren Gewässer konzentrieren sich die Gedanken auf eine noch besorgniserregendere Aussicht. Ein Supersturm ungeklärter Heftigkeit – nennen wir ihn den Trumpnado – scheint direkt auf dieses wacklige Gefährt zuzusteuern. Alle Mann sind an Deck, um den Schaden so gut wie möglich zu begrenzen. Die Aussichten auf eine ruhige Fahrt scheint für das stolze Schiff Europa jedoch in weite Ferne zu rücken.

 

Navigieren durch unbekannte Gewässer

Navigatoren sorgen sich am meisten um die Fahrt durch unerforschtes Gewässer. Doch eigentlich ist Europa bereits mit tückischen Gewässern vertraut, die es erwartet, sobald Donald Trump als Präsident Amerikas vereidigt ist. Ein Präsident, der einen nativistischen und Amerika-zuerst-Ansatz verfolgt, wird erneut die Bande der westlichen Welt belasten, ebenso wie die internationale Ordnung, die das atlantische Bündnis zu erhalten versucht.

Im Jahr 2017 gelang es Europa irgendwie, auf Kurs zu bleiben. Aber Trumps erste Amtszeit kam unter günstigen Bedingungen für Europa: Angela Merkel, die weithin als führende Figur in Europa anerkannt war, hatte bereits über ein Jahrzehnt die Führung übernommen. In dieser Zeit hatte sich die Wirtschaft nach den turbulenten Jahren der Eurokrise wieder stabilisiert. Trotzdem hatte der Kontinent zu kämpfen. 2019 sagte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (wie Karl der Große ein Fan von Metaphern), gegenüber The Economist, dass Europa am Rande eines Abgrunds balanciere und dass die NATO "hirntot" sei.

Politische Turbulenzen und geopolitische Herausforderungen

Europa ist in weit schlechterer Verfassung, während es seine zweite Dosis Trumpismus erwartet. Die Politik ist so chaotisch wie seit Jahren nicht mehr. Deutschland geht am 23. Februar an die Urnen und wird wahrscheinlich Kanzler Olaf Scholz absetzen – aber eine neue Regierung wird wahrscheinlich erst Ende April im Amt sein.

Frankreich erlebt seine tiefste politische Krise in jüngster Erinnerung. Eine neue Regierung unter der Führung von François Bayrou mag länger halten als die vorherige, die nach nur drei Monaten sank, scheint aber kaum seetüchtig. Polen, ein weiteres der großen EU-Länder, soll im Mai einen Präsidenten wählen. Sollte der von Donald Tusk, dem liberalen Premierminister, favorisierte Kandidat nicht gewinnen, könnten mehrere Jahre der Lähmung folgen. Belgische Politiker streiten sich immer noch darüber, mehr als 200 Tage nach den Wahlen eine Regierung zu bilden.

Welche politische Stärke existiert, ist kaum von der beruhigenden Sorte. Eine Reihe rechtsextremer Politiker, darunter Herbert Kickl in Österreich und Viktor Orban in Ungarn, scheinen entschlossen, die EU zu erobern oder zu versenken.

Sie werden offen von Herrn Trump und seinem Anhänger Elon Musk unterstützt; vielen nationalistischen europäischen Politikern wurde ein Platz bei der Amtseinführung in Washington eingeräumt. In den letzten Jahren war der stabilste Teil des politischen Apparats des Kontinents seine zentralen Institutionen in Brüssel. Aber Trump-Anhänger hassen die supranationale Eurokratie. Schlimmer noch, ihre Galionsfigur Ursula von der Leyen, die Präsidentin der Europäischen Kommission, war in der ersten Januarhälfte durch eine Lungenentzündung angeschlagen, einschließlich eines diskreten Krankenhausaufenthalts.

Globale Mächte und europäische Herausforderungen

Dies ist keine gute Zeit für Europa, um sich ausländischen Gegnern zu stellen. Dennoch sieht es sich nun drei globalen geopolitischen Mächten gleichzeitig gegenüber:

Russland ist die bedrohlichste und folgt seinem großen Waffensalven in der Ukraine mit Kabelschneidungen in der Ostsee.

China und die EU nähern sich einem Handelskrieg; die Europäer sind auch verärgert über Chinas Unterstützung für Russland in der Ukraine.

Herr Trump verspricht nun einen eigenen Handelskrieg, zusammen mit vagen Drohungen gegen die NATO (es sei denn, deren Mitglieder geben erheblich mehr für die Verteidigung aus) und absurden Provokationen gegenüber Grönland. Technologiegiganten, die das Ohr des Präsidenten haben, wollen, dass er europäische Vorschriften für soziale Medien entschärft.

Die Stimmung unter Deck Europas ist düster. Eine Umfrage des European Council on Foreign Relations, einer Denkfabrik, unter 24 Ländern zeigt, dass viele Orte, darunter Indien und Russland, die Rückkehr von Herrn Trump als gute Nachricht empfinden. Europäer hingegen sind in Panik.

Europas Suche nach strategischer Autonomie

Die EU-Führer wissen, dass sie einen neuen gemeinsamen Kurs festlegen müssen – sind sich jedoch noch nicht einig, wie dieser aussehen sollte. Für Herrn Macron ist entscheidend, dass Europa eine strategische Autonomie erlangt, also die Fähigkeit, Dinge ohne amerikanische Unterstützung zu erledigen, beispielsweise indem der Kontinent seine eigene militärische Ausrüstung entwickelt. Andere, insbesondere in Mitteleuropa, halten dies für illusionär: Für sie ist klar, dass Amerika für absehbare Zeit unverzichtbar sein wird, um die Sicherheit des Kontinents zu garantieren. Den MAGA-Anhängern durch den Kauf amerikanischer Flugzeuge und Raketen zu schmeicheln, ist der sicherste Weg, Herrn Trump zu zeigen, dass Europa ein würdiger Verbündeter ist.

Hoffnungsschimmer am Horizont?

Gibt es durch den pelagischen Nebel Anzeichen von Hoffnung? Vielleicht. Das Team von Herrn Trump hat es aufgegeben zu versuchen, den Krieg in der Ukraine "innerhalb von 24 Stunden" zu beenden, wie er es wiederholt im Wahlkampf versprochen hatte.

Ein übereilter Abschluss hätte zugunsten Russlands gewirkt, das derzeit militärisch die Oberhand hat. Herr Trump strebt immer noch an, schnell Frieden auf beiden Seiten zu erzwingen, spricht jedoch von lockereren Zeitrahmen – 100 Tage oder sogar sechs Monate. Europäer versuchen ihn zu überzeugen, dass das Verlassen der Ukraine einer Wiederholung des hastigen Rückzugs Amerikas aus Afghanistan unter seinem Vorgänger Joe Biden gleichkäme: einem Versagen, das die amerikanische Ohnmacht unterstreichen würde.

Die Ankunft von Herrn Trump könnte doch noch dazu führen, dass die Europäer endlich in die gleiche Richtung rudern. Am 3. Februar werden sich die 27 Staats- und Regierungschefs der EU bei einem informellen Rückzugsort außerhalb von Brüssel treffen, um über Verteidigung zu sprechen. Der Block hat verspätet erkannt, dass viel mehr für militärische Bereitschaft ausgegeben werden muss. (Auch Sir Keir Starmer, Premierminister eines ehemaligen EU-Mitglieds und ehemaligen großen See-Macht, wird daran teilnehmen.) Bis dahin könnte der Trumpnado bereits zugeschlagen haben oder nur eine Bedrohung darstellen. So oder so, die Wahl, vor der Europa steht, ist einfach: sinken oder schwimmen.

© 2025 The Economist Newspaper Limited. All rights reserved.

Aus The Economist, übersetzt von der Markt & Mittelstand Redaktion, veröffentlicht unter Lizenz. Der Originalartikel in englischer Sprache ist zu finden unter www.economist.com

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