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Politik > Wirtschaftspolitik

Wachstumsagenda mit Sprengkraft – Reiches Beraterkreis fordert radikale Kurskorrektur

| Markt und Mittelstand / red.

Deutschlands neue Wirtschaftsberater fordern radikale Reformen – von Rentenalter bis Datenschutz. Wachstum statt Staatslenkung.

Katharina Reiche auf dem LEG
Industrie, Forschung, Ludwig Erhard – Reiches neuer Beraterkreis will Deutschland zurück auf Wachstumskurs bringen. (Foto: WMG)

08.10.2025 von Markt und MittelstandDeutschland steckt – so das neue Gutachten von Katherina Reiches Beraterkreis – in einer Strukturkrise, die tiefgreifender ist, als die Regierung bislang einräumt. Die vier Ökonomen Veronika Grimm, Justus Haucap, Stefan Kolev und Volker Wieland fordern in ihrer „Wachstumsagenda für Deutschland“ nichts weniger als einen klaren Kurswechsel. Wachstum müsse wieder zum politischen Leitstern werden – nicht durch mehr Subventionen, sondern durch Markt, Wettbewerb und Innovation.

Seit 2019 stagniert das Bruttoinlandsprodukt, während Länder wie die USA, Dänemark oder die Niederlande teils zweistellig gewachsen sind. Deutschlands reale Wirtschaftsleistung seit 2000: plus 30 Prozent. Andere: 40 bis 60 Prozent. „Es geht also anders“, sagt Wieland.

Die Berater fordern eine „Um-Industrialisierung“ – nicht zurück zur alten Schwerindustrie, sondern hin zu einer produktiveren, technologisch getriebenen Wirtschaft. Resilienz bedeute Anpassungsfähigkeit, nicht Schutz vor Wandel. Grimm mahnt: Deutschland verliere im globalen Technologierennen gegen USA und China.

Die Forschungsförderung müsse sich auf Grundlagenforschung konzentrieren, unabhängiger von politischen Agenden werden und internationale Auswahlgremien einbinden. Eine Kultur des Unternehmertums müsse in Schulen beginnen – Risiko, Mut und Scheitern sollten wieder gesellschaftlich akzeptiert sein

Die Regierung setze laut den Ökonomen zu stark auf Grimm rechnet vor: Die Schuldenquote könnte bis 2040 auf 118 Prozent der Wirtschaftsleistung steigen. Um gegenzusteuern, müsse Wettbewerb auch bei Staatsaufträgen möglich bleiben. Das neue Tariftreuegesetz hingegen schotte internationale Anbieter ab – ein Wachstumshemmer.

Sogar beim Thema Rüstung denken die Ökonomen marktwirtschaftlich: Rüstungsausgaben könnten über Spill-over-Effekte Innovationen antreiben – sofern Zivilklauseln an Universitäten fallen und Exportregeln gelockert werden.

„Wir müssen radikaler aufräumen“, fordert Haucap – und meint damit eine echte Deregulierung, nicht bloß digitale Formulare. Datenschutz solle auf ein „Opt-out-Modell“ umgestellt, das Lieferkettengesetz und die EU-Taxonomie gestrichen werden.

Auch die Sozialsysteme sehen die Berater als wachstumshemmend. Das Rentenalter müsse an die Lebenserwartung gekoppelt, die Rente mit 63 abgeschafft werden. Arbeiten müsse sich stärker lohnen als Bürgergeld. In der Pflege solle der niedrigste Pflegegrad gestrichen werden – ein Signal gegen Kostenexplosion, aber auch gegen politische Bequemlichkeit.

Reiche findet in den Vorschlägen Rückendeckung für ihre eigene Linie: „Es braucht mehr Markt, weniger Mikrosteuerung.“ Kanzler Friedrich Merz sekundiert, dass die Bevölkerung künftig mehr für Rente, Gesundheit und Pflege zahlen müsse – ein Tabubruch, den er als Ehrlichkeit verkauft.

Doch der neue Beraterkreis ist nicht divers, sondern klar ordoliberal geprägt. Er steht für Ludwig Erhard, nicht für staatliche Steuerung. Symbolisch will Reiche deshalb auch Erhards Büste im Ministerium wieder aufstellen – als Signal einer wirtschaftspolitischen Rückbesinnung.

 

Die wichtigsten Forderungen der Wachstumsagenda

  • Kurswechsel gefordert: Deutschlands Wirtschaft stecke in einer Strukturkrise. Um Wohlstand und Stabilität zu sichern, müsse die Politik das Wachstumspotenzial erhöhen und Marktmechanismen stärken.
  • Innovation: Förderung soll sich auf Grundlagenforschung statt anwendungsnahe Projekte konzentrieren. Ziel ist eine „Um-Industrialisierung“ mit neuen industriellen Arbeitsplätzen und mehr Wertschätzung für Unternehmertum.
  • Staatliche Investitionen: Neue Schulden nur gezielt einsetzen – vor allem für Bildung, Forschung und Infrastruktur. Kritik an konsumtiven Ausgaben und wachsender Staatsverschuldung (Prognose: bis zu 118 % BIP bis 2040).
  • Deregulierung: Abbau innovationshemmender Vorschriften – etwa Lieferkettengesetz, EU-Taxonomie und überzogener Datenschutz.
  • Sozialsysteme: Rentenalter an Lebenserwartung koppeln, Rente mit 63 abschaffen, Bürgergeld reformieren, um Arbeit attraktiver zu machen.

Ziel: Mehr Markt, weniger Mikrosteuerung, gezielte Investitionen und klare ordnungspolitische Leitlinien für neues Wachstum.

 

Zum Beraterkreis Wirtschaftspolitik 

Zur Wachstumsagenda für Deutschland - Gutachten des wissenschaftlichen Beraterkreises für evidenzbasierte Wirtschaftspolitik beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie

Reiches wissenschaftlicher Beraterkreis

Die Initiatorin:

  • Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) hat im Herbst 2025 einen neuen wissenschaftlichen Beraterkreis eingesetzt, um die wirtschaftspolitische Ausrichtung Deutschlands zu überprüfen und Reformvorschläge zu erarbeiten.

Die Mitglieder:

  • Prof. Dr. Veronika Grimm ist seit 2024 als Professorin an der Technischen Universität Nürnberg (UTN) und Leiterin des Energy Systems und Market Design Lab tätig. Zuvor hatte sie seit 2008 einen Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg inne. Als Expertin berät sie u.a. in den Sachverständigenräten zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (seit 2020) und für Verbraucherfragen (seit 2018), in der Expertenkommission zum Monitoring-Prozess „Energie der Zukunft“ (seit 2019) sowie im Nationalen Wasserstoffrat (seit 2020). Weitere Informationen hier.
  • Prof. Dr. Justus Haucap ist seit 2009 Direktor des Düsseldorfer Instituts für Wettbewerbsökonomie (DICE) an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Von 2006 bis 2014 war er Mitglied der Monopolkommission der Bundesregierung, davon vier Jahre als Vorsitzender (2008-2012). Haucap ist stellv. Vorsitzender des Wissenschaftlichen Arbeitskreises für Regulierungsfragen (WAR) der Bundesnetzagentur (seit 2016), Mitglied im Kronberger Kreis (dem wiss. Beirat der Stiftung Marktwirtschaft) sowie in zahlreichen weiteren Beiräten. Weitere Informationen hier.
  • Prof. Dr. Stefan Kolev leitet seit 2023 das Ludwig-Erhard-Forum für Wirtschaft und Gesellschaft in Berlin. Seit März 2012 lehrt er als Professor für Wirtschaftspolitik an der Westsächsischen Hochschule Zwickau. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Ordnungsökonomik sowie die Geschichte des ökonomischen Denkens. Im Rahmen seiner Arbeit am LEF befasst er sich aktuell insbesondere mit den Themen Innovationsökonomik und Bürokratieabbau. Forschungsaufenthalte führten ihn u.a. an die Princeton University, die Duke University und die Bulgarische Nationalbank. Weitere Informationen hier.
  • Prof. Volker Wieland ist seit 2012 IMFS Stiftungsprofessor für Monetäre Ökonomie an der Goethe Universität Frankfurt und geschäftsführender Direktor des Institute for Monetary and Financial Stability. Zuvor war er Professor für Geldpolitik und Geldtheorie an der Goethe-Universität Frankfurt und bis 2009 als Direktor des Center for Financial Studies tätig. Wieland ist Research Fellow am Center for Economic Policy Research (CEPR) in London, Mitglied im Kronberger Kreis sowie im Wissenschaftlichen Beirat des Bundesministeriums der Finanzen. Als Experte und Mitglied beriet er u.a. von 2013 bis 2022 im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Weitere Informationen hier.

Ziel des Gremiums:

  • Erarbeitung einer „Wachstumsagenda für Deutschland“, die auf marktwirtschaftliche Prinzipien, Wettbewerb, Innovation und Resilienz setzt. Die vier Ökonomen sehen Deutschland in einer „erheblichen Strukturkrise“ und fordern einen klaren Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik.

Quelle: Bundesministerium für Wirtschaft und Energie

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