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Brainlab: Google Maps für Menschen

Brainlab ermöglicht eine medizinische Reise durch den Körper. Gründer Stefan Vilsmeier wusste immer, dass das ein Erfolg wird.

Der Drang, die Welt zu verändern: Stefan Vilsmeier digitalisiert seit mehr als 30 Jahren die Chirurgie. Bildquelle: Brainlab

Stefan Vilsmeier sagt über sich, er sei wahrscheinlich der unwahrscheinlichste Unternehmer überhaupt gewesen: scheu, introvertiert, zurückhaltend. Kaum zu glauben, wenn er heute souverän und wortreich erklärt, was sein Unternehmen Brainlab mit inzwischen 1900 Mitarbeitern und rund 359 Millionen Euro Umsatz macht. Und warum zum Beispiel Hirnchirurgen weltweit die Technologie aus München nicht missen möchten.

 

Angefangen hat alles mit einem 15-jährigen Vilsmeier, der einen Computer bekam und begann, sich Programmieren beizubringen. Ein Jahr später schrieb er ein Buch über 3D-Software, das ein Bestseller wurde. Nach dem Abi 1987 lud die Uni Wien ihn zu einem Projekt ein – sein erster Kontakt mit Daten von Computertomografie und Kernspin-Geräten. „Ich konnte nicht glauben, dass die Bilder nur in geringem Umfang genutzt wurden.“

 

Vilsmeier beginnt ein Informatikstudium an der Technischen Universität München, steigt aber nach 20 Tagen aus, weshalb er jetzt als Berufsausbildung Studienabbrecher nennt. Diese „künstliche Krise setzte mich unter Kreativitätsdruck“, zwang Vilsmeier geradezu, ein Unternehmen zu gründen, das Software für Chirurgen entwickelt. Damals eine zutiefst analoge Welt.

 

Er sei wild entschlossen zu Kunden gefahren. Und wenn er seine Lösung nicht verkaufen konnte, gab es zumindest ein Problem, dessen er sich annehmen konnte, um den Kunden doch zu überzeugen. Der Jungunternehmer stellt die ersten Mitarbeiter ein, bürgt für Millionensummen, weil Krankenhäuser nur verzögert zahlen, und arbeitet daran, das zu entwickeln, was er Google Maps für den menschlichen Körper nennt. Praktisch ein digitales 3D-Modell des Körpers, in das die Daten der Computertomografie eines Patienten eingespielt werden. Der Arzt kann dann am Bildschirm sehen, wo bei Patient X im Kopf ein Nervenstrang liegt, wie der zu entfernende Tumor eingebettet ist und von wo aus der Eingriff am einfachsten möglich ist. Ärzte können dank VR auch virtuell durch ein Gehirn spazieren, sich weltweit austauschen.

 

Den Marktanteil in Deutschland schätzt Vilsmeier auf mehr als 90 Prozent, weltweit auf mehr als 75 Prozent. Die Technik sei in rund 6000 Krankenhäusern, die sich mit komplizierten chirurgischen Eingriffen beschäftigten, im Einsatz. Die Kunden sitzen in 120 Ländern. Ein Vorteil: Brainlabs Software hat offene Schnittstellen, ist kein geschlossenes System wie bei einigen Konkurrenten und kann deshalb in jeden OP-Saal integriert werden.

 

Das Unternehmen ist in der Hirnchirurgie gestartet, jetzt baut es das Geschäft aus, etwa im Bereich der Wirbelsäule. Zudem kauft Brainlab gezielt Knowhow zu, etwa was Lungentumore und andere Krebserkrankungen betrifft. „Das würde zu lange dauern, es selbst zu entwickeln“, sagt Vilsmeier. Und Tempo ist in der Softwarebranche wichtig, selbst wenn man ein marktdominierendes Produkt hat.

 

Gleichzeitig will Brainlab seine Infrastruktur anderen zugänglich machen, praktisch ein Betriebssystem für digitale Medizin bereitstellen. Vilsmeier nennt den US-Handelskonzern Amazon mit seinem Cloudangebot AWS als Vorbild. Dafür hat Brainlab 2020 eigens ein Unternehmen gegründet, das das Geschäft binnen zwei Jahren bereits verdoppelt hat.

 

Ein weiterer Einfall: Auf den Servern der Krankenhäuser liegen jede Menge Daten – kollektives Wissen, das, richtig gelesen und ausgewertet, allen Patienten helfen könnte. Vilsmeier will die klinischen Daten weltweit nutzbar machen. Und hier sieht er einen Standortvorteil in Deutschland. Der Datenschutz sei bei uns sehr streng, „wenn wir es hier schaffen, lässt es sich leichter in der EU und dann weltweit ausrollen“, sagt er.

 

Seine neuste Idee: Computerspiele für Ärzte. Die können zum Beispiel über eine App auf dem Smartphone eine Knieersatz-OP durchspielen – Training für einen echten Eingriff. Mit der einfachen Technik bekomme jedes Land Zugriff auf das Wissen. ­Vilsmeier sagt: „Ein neues Abenteuer.“