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Der Aufsteiger unter den 100 besten Mittelständlern

Endkunden kennen meist nur Vileda. Doch Freudenberg stellt viel mehr her. Das Familienunternehmen ist international tätig und einer der Aufsteiger des Jahres.

In München fertigt Freudenberg E-Power Systems Bauteile für Brennstoffzellen.
Produktion der Zukunft: In München fertigt Freudenberg E-Power Systems Bauteile für Brennstoffzellen. Bildquelle: Freudenberg Group

Sehr viele Menschen benutzen die Produkte von Freudenberg jeden Tag – wissen es nur nicht. Vileda zum Beispiel. Reinigungstücher und andere Produkte der Marke stammen vom Familienunternehmen aus dem baden-württembergischen Weinheim. Der Konzern fertigt zudem Dichtringe, Filter, Medizinprodukte – die Liste ist sehr lang. Freudenberg gehört zu den wichtigen Zulieferern der Autoindustrie und des Maschinenbaus, liefert Spezialchemie für viele Branchen. Vileda ist die einzige Marke, mit der der Mischkonzern direkten Kontakt zu Endverbrauchern hat. „Wie Leder“ war nach dem Zweiten Weltkrieg eines jener Ersatzprodukte, mit denen Freudenberg sich wieder aufrappelte. Als Vileda auf den Markt kam, war das Unternehmen bereits knapp 100 Jahre alt. Freudenberg hat sich immer wieder neu erfunden, Krisen genutzt. Und in diesem Jahr gehört das Unternehmen zu den Aufsteigern unter Deutschlands besten Mittelständlern. Der Wandel begleitet das Unternehmen seit den Anfängen.

Begonnen hat alles mit Leder. Firmengründer Carl Johann Freudenberg übernahm 1849 eine Gerberei in Weinheim und baute sie mit seinen Söhnen aus. Das Unternehmen macht sich schnell als Hersteller von Lackleder einen Namen und exportiert früh nach Großbritannien, in die USA und die Türkei. Seinen Nachkommen gibt der Gründer die Prinzipien auf den Weg, die bis heute gelten: Bescheidenheit, ein solides Fundament und bereit sein, sich Veränderungen anzupassen. Bis heute tritt Freudenberg eher zurückhaltend auf und ist trotz der Tradition und Größe eher unbekannt.
Zum Anpassen gehört auch, neue Märkte zu entdecken. Aus den entfernten Haaren der Lederfertigung entsteht bereits 1896 eine Filzfabrik. Die Gerberei wird durch den Einsatz von Chromsalzen revolutioniert. Das Verfahren verkürzt die Fertigungszeiten von Monaten auf wenige Wochen. Das Leder ist wasserdicht, leicht zu pflegen und hat eine gleichmäßige Oberfläche. So entwickelt sich Freudenberg zum größten Lederlieferanten Europas.
Das Geschäft gerät mit der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er-Jahre bedrohlich ins Wanken. In Deutschland kann fertiges Kalbsleder nur noch zu einem Fünftel des Einkaufspreises für Rohfelle verkauft werden. Bei Freudenberg wird ein eigenes Kurzarbeitprogramm entwickelt, um die Belegschaft zu halten. In der Krise fertigen die Weinheimer Dichtungen aus Leder unter anderem für die wachsende Autoindustrie. Der Entwickler Walther Simmer entwickelt den Simmerring – eine Dichtung für drehende Wellen. Das Blechgehäuse mit einer innenliegenden Ledermanschette ersetzt schnell die bisherigen Filzdichtungen, die oft Lager- und Motorschäden brachten.

Richard und Walter Freudenberg lenken damals den Konzern, gelten als Verfechter der Weimarer Republik und sehen den Aufstieg der Nationalsozialisten kritisch. Gleichwohl profitiert das Unternehmen von den neuen Machthabern. 1933 übernimmt Freudenberg beispielsweise die Schuhproduktion und den -handel der im jüdischen Besitz befindlichen Firma Conrad Tack in Burg bei ­Magdeburg, später auch die Kinderschuhfabrik Gustav Hoffmann in Kleve mit der Marke ­„elefanten“ sowie die jüdischen Betriebe J. Kern & Co. in Pirmasens, C. Fisch & Co in Heidelberg und Hirsch in Weinheim. Die Schuhsparte gehört bis 2001 zum Unternehmen.

Wegen der Lederknappheit entwickelt Freudenberg ab 1934 Ersatzstoffe auf Basis von Synthesekautschuk. Das Unternehmen bringt einen Dicht­ring auf den Markt, der hohe Temperaturen besteht und eine besondere Quellbeständigkeit aufweist. Die daraus entstehenden Simmerringe sind eine entscheidende Innovation für den Automobilbau. Freudenberg wird zum führenden Dichtungsspezialisten. Zudem entwickeln die Labore das Kunstleder Viledon für Taschen und Koffer. Während des Zweiten Weltkriegs beliefert Freudenberg auch Rüstungsindustrie und Wehrmacht. Für die Produktion werden Zwangsarbeiter eingesetzt. Diese Art der Anpassung an die aktuellen Bedingungen belastet die Firmengeschichte bis heute. Wegen der Rolle im Zweiten Weltkrieges wäre Freudenberg fast aufgelöst worden.

Lederersatz als Wischtuch

Die Kenntnisse über Lederersatzstoffe kann Freudenberg für den Wiederaufbau nutzen. So kommt das Vileda-Fenstertuch auf den Markt, das Generationen von Haushalten begleiten wird. Aus den im Krieg entwickelten Kunstledersohlen wird ein zusätzlicher Geschäftszweig: die Bodenbeläge der Marke Nora. Der Geschäftszweig bleibt bis 2007 im Konzern. Die Materialknappheit lindert Freudenberg für die seinerzeit 6200 Beschäftigten mit einer Wohnbauhilfe. Auf dem Firmengelände können die Mitarbeiter Bausteine pressen und die Maschinen des Unternehmens nutzen. Die Wohnbauhilfe unterstützt bis heute die Beschäftigten bei der Finanzierung von Immobilien.

In den Wirtschaftswunderjahren verzweigt sich das Freudenberg-Geschäft. So kaufen die Weinheimer einen Schmierstoffhersteller. Mitte der 1970er-Jahre beginnt Freudenberg mit der Fertigung von Elektronikteilen und Leiterplatten. Die Sparte wird 2010 verkauft. 1985 kommt der Vileda-Wischmopp mit entsprechendem Eimer und Auswringsystem auf den Markt. Vier Jahre später beginnt der Vertrieb der ersten Autoinnenraumfilter. Auf diesem Feld ist Freudenberg nach eigenen Angaben heute Marktführer. Der Simmerring wird 1997 mit einem Sensor verbunden. Der misst die Drehzahl und liefert wichtige Informationen für die ABS-Systeme.

Zur Jahrtausendwende kappt der Mischkonzern die Verbindung zu seinen Wurzeln: der Verarbeitung von Leder. Gleichzeitig ahnt man, dass die Antriebstechnik neue Lösungen braucht. So entsteht die Sparte E-Power rund um die Brennstoffzelle. Die Anlagen werden in Nutzfahrzeugen, Bahnen und Schiffen eingesetzt. Bei E-Power wird auch die Elektro­mobilität vorangetrieben. 

In den vergangenen 15 Jahren kaufte der Konzern verschiedene Betriebe zur Ergänzung seiner chemischen Spezialitäten. So liefert Freudenberg heute Trennmittel für die Produktion von Gummibärchen. Auch für die Autoindustrie bietet Freudenberg zusätzliche Produkte: spezielle Encoder für die Start-Stopp-Technologie, neue Getriebeabdichtungen, leichte Gehäuseelemente und druckresistente Dichtungen für die neuen „Downsizing-Motoren“. In der Tochter Vibracoustic sind die Schwingungstechnologien für Fahrzeuge zusammengefasst. Heute ist sie mit 2,7 Milliarden Euro Umsatz und 10.000 Mitarbeitern ein Schwergewicht im Weinheimer Firmengeflecht. Über einen Börsengang von Vibracoustic wird nachgedacht. Ob das Freudenberg verändern würde? „Darüber wollen wir nicht spekulieren“, antwortet Konzernchef Mohsen Sohi knapp. Auch die Sparte Medizintechnik wandelt sich. Sie bietet nun zusätzlich Produkte zur minimalinvasiven Chirurgie, Mikrokomponenten für Kathetersysteme und bioabsorbierbare Vliesstoffe für die Wundbehandlung, zum Teil angereichert mit Wirkstoffen wie Antibiotika oder Enzymen. Im Angebot bei Freudenberg Medical sind auch selbst entwickelte Werkzeuge, die Mediziner bei der Positionierung von Herzimplantaten unterstützen. Freudenberg ist zudem ein wichtiger Zulieferer der Öl- und Gasindustrie. So liefern die Weinheimer Dichtungen für Bohrlöcher. Jedes Teil wiegt dabei mehr als 100 Kilogramm.

Heute arbeiten in 60 Ländern rund 52.000 Frauen und Männer für das Familienunternehmen, rund 13.000 davon in Deutschland. Freudenberg ist inzwischen in 42 verschiedenen Marktsegmenten aktiv. Der Umsatz belief sich auf gut zwölf Milliarden Euro. Gut 70 Prozent des Betriebsergebnisses von 1,1 Milliarden Euro hat der Konzern außerhalb Deutschlands erwirtschaftet. Etwa 20 Prozent des Umsatzes trägt das Geschäft in China bei. Dort will Konzernchef Mohsen Sohi auch bleiben, baut aber die Präsenz des Konzerns in Südostasien zusätzlich aus. Die internationale Struktur sei ein Grund, warum sich Freudenberg derzeit besser entwickele als die deutsche Wirtschaft, meint Sohi, der das Unternehmen seit 2012 führt. Der 65-jährige Amerikaner mit iranischen Wurzeln ist erst der zweite Chef, der nicht zur Eignerfamilie gehört.

Die inzwischen 374 Gesellschafter treffen sich jeden Juni im Herrmannshof in Weinheim. Die Villa hatte der Sohn des Gründers, Herrmann Ernst Freudenberg, 1888 in Weinheim erworben. Den weit verzweigten Clan führt Martin Wentzler an. Der 71-jährige Ururenkel des Gründers ist mit dem Unternehmen aufgewachsen. Er ist Vorsitzender des Aufsichtsrats und des Gesellschafterausschusses, der alle wichtigen Entscheidungen bei Freudenberg mitbestimmt. Sohi ist als persönlich haftender Gesellschafter vertreten. Die Unabhängigkeit des Unternehmens stellt die Freudenberg Stiftung sicher. Dort sind seit 1984 die Kapitaleinlagen der Familienmitglieder zusammengefasst. Damit ist sie eine – nicht stimmberechtigte – Gesellschafterin des Unternehmens. Mit den Erträgen aus der Beteiligung will die Stiftung Wissenschaft, Erziehung und Bildung fördern sowie das friedliche Zusammenleben in der Gesellschaft stärken.

Wichtigstes Ziel: Überleben

Erst 2015 haben die Gesellschafter die Struktur bis 2045 erneuert. Oberstes Gebot ist das Überleben des Unternehmens – dann folgt der Erhalt der Familiengesellschaft. Zu dieser Strategie gehört auch die hohe Eigenkapitalquote von 56 Prozent. Auf der Prioritätenliste der Familie folgt langfristige Rentabilität. Erst dann schauen die Gesellschafter auf kurzfristige Gewinne. „Wir sind weiterhin nicht auf die Maximierung von Erträgen aus, wir verstehen uns nicht als Finanzinvestoren, sondern als Unternehmerfamilie“, betontWentzler im Gespräch mit einer Lokalzeitung. Der Konzern soll in diesem Jahr zwar moderat wachsen, doch die Kasse ist für eine eventuelle Übernahme gut gefüllt. „Selbst Zukäufe zwischen sieben und neun Milliarden Euro kann Freudenberg gut stemmen.“  So haben die Weinheimer ihre Diversifizierung immer wieder vorangetrieben. In den vergangenen zehn Jahren wurden insgesamt 2,9 Milliarden Euro für Zukäufe ausgegeben. Der Konzern will in den kommenden drei Jahren so viel investieren wie noch nie. Die genaue Summe verrät Sohi nicht. Die Sachinvestitionen lägen jährlich in der Regel bei gut vier Prozent des Umsatzes – das entspricht einer halben Milliarde Euro. In Deutschland hat Freudenberg mit 174 Millionen Euro im vergangenen Jahr sogar überdurchschnittlich viel investiert.

Sohi nennt Überregulierung und immense Bürokratie als große Probleme des Standorts. Er bemängelt aber auch eine gewisse Lethargie in der deutschen Wirtschaft. „Wir dürfen nicht bei jedem Problem auf eine Antwort der Regierung warten. Politik kann und sollte nicht individuelle Probleme einzelner Unternehmen lösen. Sehr wohl aber die richtigen Anreize und Rahmenbedingungen setzen.“ Auch Energiepreise und Genehmigungsverfahren treiben den Freudenberg-Chef um. „Nehmen Sie die Vliesstoffproduktion. Die ist sehr energieintensiv. Wenn wir eine neue Fabrik bauen wollen, sind die USA wegen der dortigen Energie­kosten eine starke Alternative.“

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