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Der Wandel steckt in den Genen

Die Otto Group hat eine selbst gemachte Krise genutzt, um ihre Firmenkultur zu verändern.

Die treibenden Kräfte im Handelskonzern: Benjamin (links) und Michael Otto. Bildquelle Otto Group

2015 hat sich bei der Otto Group, dem größten Händler Deutschlands, tief in die Firmengeschichte eingegraben. Das hat gleich drei Gründe. Einmal übernimmt mit Benjamin Otto als gestaltender Gesellschafter die dritte Generation der Familie Verantwortung für die weitere Entwicklung der Gruppe. Vater Michael bringt seine Anteile in eine Stiftung ein, um so die Zukunft des Familienunternehmens zu sichern. Zweitens hat die Gruppe etwas zu feiern: Der ehemalige Kataloghändler hat 1995 den Schritt ins Netz gewagt. Inzwischen sind die Hamburger die einzigen großen Händler in Europa, die den Weg vom Kataloggeschäft ins Onlinegeschäft nahtlos gemeistert haben. Während beispielsweise Quelle unter anderem daran gescheitert ist, während sich andere noch immer fragen, ob sie bei dem Trend überhaupt mitmachen sollen, feiert die Otto Group in jenem Jahr 2015 ihr 20-jähriges Jubiläum im E-Commerce.

 

2015 ist aber auch das Jahr, in dem bei der Otto Group etwas passiert ist, was nicht passieren sollte. Die Händler aus Hamburg schreiben rote Zahlen. Während es ringsherum aufwärtsgeht, Europa die Schuldenkrise jedenfalls formal hinter sich lässt und Deutschland um den richtigen Umgang mit Flüchtlingen ringt, lahmt das Geschäft ausgerechnet bei denen, die sich selbst die „wandlungsfähigsten Händler“ nennen. Es ist dringend Zeit, die Wandlungsfähigkeit erneut unter Beweis zu stellen, denn die Otto Group hat zwar nach außen alle Attribute eines digitalen Frühaufstehers, im Inneren stimmen die Abläufe aber nicht mehr. Die digitale Transformation, so die Erkenntnis bei den Hamburgern, erfordert mehr als nur eine gut bedienbare Website.

 

„Der Vorstand“, so berichtet ein Sprecher, „hat sich damals die Karten legen lassen.“ In Mitarbeiterbefragungen versuchten Chefinnen und Chefs herauszubekommen, wo es klemmt. Mit dem Ergebnis, dass sie ihre eigene Arbeit infrage stellen mussten. Sie mussten erkennen: Bei der Otto Group und den vielen Tochtergesellschaften gab es nicht zuletzt eine Art „Silo-Denken“. Viele Bereiche, viele Tochtergesellschaften arbeiteten für sich und eher fürs kleine Geteilte als fürs große Ganze. Das ganze Gebilde war in einer Welt, in der es darum geht, schnell und agil zu sein, behäbig geworden.

 

Abhilfe sollte ein Kulturwandel schaffen. Einer, der von oben und unten gelebt wird, einer, der keine Ebene auslässt, der Hierarchien durchlässig macht und als äußeres Zeichen, als Nebeneffekt beispielsweise mit dem freiwilligen „Du“ als Anrede im ganzen Konzern verbunden ist. Kulturwandel-Teams wurden geschaffen, vor Ort genauso wie auf Konzernebene. Und tatsächlich: Die Mauern der Silos verschwanden, wurden zu Gardinen, die sich aufziehen ließen, Offenheit zog ein in IT, Kommunikation, ins Marketing. Aufgaben wurden gemeinsam erledigt, Lösungen für alle auf den Weg gebracht. Derzeit beteiligen sich die Kulturwandel-Teams daran, Rezepte für die richtige Mischung aus Homeoffice und Arbeit vor Ort zu finden. ­Welche Aufgabe lässt sich von wo aus am besten erledigen?

 

Die Otto Group hat sich die Transformation damit in ihre Gene geschrieben, Auslöser war ein Jahr, das zu den schlechten im Unternehmen zählte. „Die Eule der Minerva beginnt erst mit der einsetzenden Dämmerung ihren Flug“, schrieb der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel, ein Satz, der sich etwa dahingehend interpretieren lässt, dass die Weisheit erst einsetzt, wenn es ringsherum schon ziemlich düster wird. Die Weisheit der Hamburger Kaufleute besteht seither in der ständigen Transformation.