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Der größte Aufsteiger unter den besten Mittelständlern

Lockdown, Lieferstau, Energiekrise, Krieg und hektische Kunden: Logistiker Hellmann liefert dennoch Rekordergebnisse. Wie der Aufsteiger des Jahres die Krise meistert.

Standardisierte Sache: In der Liste der besten Mittelständler stieg der Logistiker Hellmann um die meisten Plätze. Die Niedersachsen vermitteln zwischen Transportfirmen und denen, die verschicken wollen.
Standardisierte Sache: In der Liste der besten Mittelständler stieg der Logistiker Hellmann um die meisten Plätze. Die Niedersachsen vermitteln zwischen Transportfirmen und denen, die verschicken wollen. Bildquelle: Hellmann

Was rettet einen Logistiker in Krisenzeiten? „Pragmatisch arbeiten, schnell entscheiden und weltweit bestens vernetzt sein, mit Partnern, die ebenfalls beherzt entscheiden. Es kann auch mal eine falsche Entscheidung sein“, sagt Reiner Heiken. Er muss es wissen, ist er doch CEO von Hellmann Worldwide Logistics. Das Osnabrücker Familienunternehmen ist Aufsteiger des Jahres im neuen Markt-und-Mittelstand-Ranking. Von Heiken, zeigt sich, kann man etwas lernen. 

Ihrem Bundesverband zufolge ist Logistik mit 3,2 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Deutschlands drittgrößter Wirtschaftsbereich nach der Automobilwirtschaft und dem Handel. Tatsächlich hängen aber Wohl und Wehe von 84 Millionen Menschen hierzulande direkt vom Transport via Lkw, Schiene, Schiff oder Flugzeug ab. Wenn nichts mehr fährt oder fliegt, fehlt der Nachschub von Klopapier bis Mikrochip. Deshalb legte der Verband dem Bundestag 2021 auch einen 15-seitigen Wunschzettel mit der Bitte um Hilfe vor. Infrastruktur, Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Antriebsarten, urbane Logistik – alles war dabei. 

2020/2021 mussten sich die deutschen Logistiker vor allem selbst durch die Krise kämpfen. Sie setzten 2021 rund 293 Milliarden Euro um. Für einige wurde das Krisenjahr zum Rekordjahr. 2022 waren es schon 319 Milliarden Euro Umsatz. Von der Sonderkonjunktur der beiden Jahre profitierten neben Hellmann auch die Logistiker Dachser, aufgestiegen im Ranking von Platz 26 auf Platz 16, und Fiege, zum ersten Mal dabei, auf Platz 100. 

Hellmann hat keine eigenen Lastwagen, Schiffe oder Flugzeuge. Es bucht sie. Das Unternehmen ist ein global tätiger Full-Service-Logistikdienstleister, ein reiner Vermittler zwischen denen, die etwas transportieren wollen, und denen, die es können. Ein bisschen wie die Spinne im Netz. Der Erfolg wurzelt auch in der Historie. Hellmann ist ein Familienunternehmen, 1871 gegründet. Carl Heinrich Hellmann kutschierte mit einem Pferdefuhrwerk Güter von A nach B. Ab 1925 bekamen die Pferde ihr Gnadenbrot und Güterwagen übernahmen. Die Firma war eine der ersten in Deutschland, die darauf setzten. Fünf Hellmann-Generationen steuerten das Unternehmen durch Kriege und Währungsreformen. Seit fünf Jahren steht nun mit Reiner Heiken der erste familienfremde Manager an der Spitze. Er war zuvor Europa-Chef von DB Schenker, der Logistiktochter der Deutschen Bahn. Bei Hellmann arbeiten konzernweit rund 14.000 Mitarbeitende an 241 eigenen Standorten in 54 Ländern. 2021 setzten sie rund 4,07 Milliarden Euro um.

Seit 2020 räumt Heiken, ein hemdsärmeliger Bartträger, Jahrgang 1962, Probleme ab. Es gibt keinen geopolitischen Krisenherd, der nicht sofort auf die Logistik durchschlägt. Einerseits steigen dann die Frachtraten ins Unermessliche, die Intermediäre wie Hellmann an ihre Kunden durchreichen müssen. Da trennt sich dann bei den Anbietern die Spreu vom Weizen aus Kundensicht. Bei der Kalkulation ist Fingerspitzengefühl gefragt. Wer die Kundschaft abzockt, verliert sie. 

„Deshalb freuen wir uns ganz besonders, dass wir gerade in diesen schwierigen Zeiten neue Kunden gewinnen und Bestandskunden halten konnten. Wir haben unsere Chance genutzt. Und warum haben wir Kunden dazugewonnen? Dank unseres globalen Netzwerkes, über das nur wenige Logistikdienstleister in diesem Maße verfügen“, sagt Heiken lächelnd. Offensichtlich galt das auch 2022. Es wurde ein neues Rekordjahr für die Osnabrücker.

Nun ist der Titel des Aufsteigers genau wie jedes Ranking ein Blick zurück. Doch wie schaut Hellmann in die Zukunft? Die Aussichten für 2023/2024 zaubern Heiken kein Lächeln aufs Gesicht. „Jetzt ist es genau andersrum als 2021/2022. Die Nachfrage sinkt deutlich. Das Pendel schlägt wieder in die andere Richtung aus. Die nächsten Jahre werden herausfordernd sein.“ Das erfordert besonderes Herangehen. „Der Mensch ist der Schlüssel“, sagt Heinken. Wer würde da widersprechen? Aber bei Hellmann machen die Mitarbeitenden tatsächlich den Unterschied. Schlicht, weil sie die größte – böses Wort – Kostenposition stellen. 

„Wir fordern von allen Kollegen und Kolleginnen unternehmerisches Denken. Sie sind unsere wichtigsten Dealmaker oder Dealbreaker“, sagt Heiken. Noch ein Satz fürs Jahrbuch, würde er nicht ergänzen: „Wir dürfen auf gar keinen Fall stehen bleiben und uns auf Lorbeeren ausruhen. Es muss immer weitergehen.“ Dafür akzeptiert und korrigiert der Realist im CEO auch mal Fehlentscheidungen. Aber Stillstand wäre für ihn wohl noch schlimmer.

Der Chef setzt auf gute Laune 

Der Chef ist stolz auf die Unternehmenskultur und Gemeinschaft, die er Hellmann zuschreibt. „Entscheidend für unsere Glaubwürdigkeit bei Mitarbeitenden wie bei Kunden ist unsere Verlässlichkeit. We care – das ist keine Plattitüde. Das ist uns wirklich ein Anliegen.“ Relationship matters – so nennt er das. „Ich begrüße morgens die Mitarbeitenden und habe ein Wort für sie. Wenn ich schon mit schlechter Laune ins Büro käme, müsste ich mich auch nicht wundern, wenn sie genauso guckten.“ Immerhin grüßt die Belegschaft schon seit fünf Jahren denselben Chef. In manch anderem Logistikkonzern wäre ihre Abteilung womöglich schon zwei Mal weiterverkauft worden. 

2020/2021 dürfte Chef Heiken auf manch neues Gesicht im Betrieb getroffen sein. Hellmann stellte in Serie ein. Vor allem die Auftragsabarbeitung wurde immer aufwendiger, was nicht nur daran lag, dass im Suezkanal ein Schiff quer lag und sich die Frachter stauten. „Sehr viele Kunden hatten Gesprächsbedarf“, erinnert sich Hellmann. „Was machen wir jetzt? Wie lösen wird das?“ Da brauchte es kompetente Gesprächspartner mit guten Nerven, vulgo echte Fachkräfte. Wenn man sie denn bekommt. Das schmerzt den Chef: „Der War of Talents ist bei uns ein globales Thema. Wir suchen Mitarbeitende in Europa, den USA und zunehmend auch in China. Da helfen uns unser guter Name in der Branche und unsere Unternehmenskultur enorm.“ Auch Heiken hat einen Traum: „Ich will, dass die Leute in unserer Branche sagen: „Bei Hellmann will ich gerne arbeiten.“

Der Kapitän kann in der Krise den Weg weisen – aber den sicheren Hafen erreicht sein Schiff nur, wenn die Mannschaft mitzieht. Das Bild darf man durchaus benutzen, denn Heiken ist von Haus aus studierter nautischer Offizier. Vielleicht hat er auch deshalb klare Vorstellungen von Führungskompetenz. „In den fünf Jahren, seit ich bei Hellmann bin, haben wir 80 Prozent der Führungspositionen neu besetzt.“ Man hört’s und zuckt zusammen beim Gedanken an Flurfunk und Abfindungsverträge. „Die neuen Kollegen haben wir intern und extern rekrutiert. Das ergibt eine gute Mischung, auch beim Alter“, sagt Heiken. „Wir wollen ja auch bei Themen wie künstliche Intelligenz genauso gut mitreden und entscheiden.“ 

Bei Letzterem spielt das Familienunternehmen eine klassische Stärke gegenüber börsennotierten Unternehmen mit komplizierten Aktionärsinteressen aus. Wie laufen denn Entscheidungen ganz konkret bei Hellmann? Der Chef schaut kurz in die Luft. Manager in Familienunternehmen kennen ihre Grenzen. „Also“, sagt er und wählt seine Worte weise, „der Vorstand hat einen sehr guten Rahmen für seine Entscheidungskompetenzen.“ Und das heißt? „Wir haben dafür viel gute Vorarbeit geleistet, und die direkte Kommunikation zwischen Vorstand, Aufsichtsrat und Gesellschaftern ist uns sehr wichtig.“ Das funktioniere in einem Familienunternehmen besser als woanders.

Und was ist mit der nötigen Flexibilität bei Kundenwünschen, die auch in konzerngroßen Familienunternehmen allzu oft in Abstimmungsschleifen und Verantwortungspingpong auf der Strecke bleibt? Für Hellmann gilt: Irgendwas geht immer. „Wenn Transportwege oder Equipment nicht zur Verfügung stehen, können wir Alternativen anbieten“, sagt Heiken. Dann gehen Güter auch mal mit der Bahn statt dem Flieger auf die Reise von Europa nach Asien. Oder alle noch zur Verfügung stehenden Transportkapazitäten werden kombiniert. Der Kunde ist König. Die schnelle Einsatztruppe aus Osnabrück profitiert enorm vom globalen Netzwerk des 151 Jahre alten Unternehmens. Man kennt sich, man hilft sich. Ein Asset, das man weder kaufen noch bilanzieren kann. 

Bleibt die Frage nach Investitionen, ein Thema, das für viele Branchen in den vergangenen Krisenjahren in den Hintergrund rückte. „Uns hilft, dass wir immer in guten Zeiten für schlechte Zeiten vorsorgen und investieren“, sagt Heiken. „Auch da sind wir mit einer Familie im Hintergrund flexibler und unabhängiger als ein börsennotiertes Unternehmen, weil die Familie kein kurz-, sondern ein langfristiges Interesse am Unternehmenserfolg hat.“ Klare Kante kann Heiken. Davon profitiert auch die Belegschaft. „Der Sonderbonus für alle Kollegen weltweit war binnen fünf Minuten entschieden.“

Digitalisierung dauert

Schön wäre es an dieser Stelle, vom Nutzen der Digitalisierung gerade in Turbulenzen zu berichten. Doch vor dem Nutzen stehen noch der Findungs-, Entscheidungs-, Ausschreibungs-, Installations-, Test- und Trainingsprozess. Was bei Hellmann dazu führte, dass schon 2019 ein globales Digitalisierungspaket in dreistelliger Millionenhöhe für sämtliche Geschäftsbereiche, Abteilungen und das Customer-Relationship-Management beschlossen wurde. Aber Digitalisierung ist nun mal ein fortlaufender Prozess. „Die Umsetzung läuft bis 2025. So ein Roll-out dauert. Zurzeit haben wir vor allem den Arbeitsaufwand“, seufzt der Chef. Logistiker sollen schnell sein – und geduldig.

Heiken hat es zuvor gesagt: Das Wichtigste in seinem Business sind die Menschen. Da stellt sich die letzte Frage: Wie ist ihm die nun schon dreijährige Achterbahnfahrt bekommen? „Es geht darum, sich auch selbst gut zu führen“, antwortet er nach einer Weile. „Ich will mutig bleiben und den Kopf nicht hängen lassen. Ich suche danach, wo in der Krise unsere Chance liegt. Es ist ganz wichtig, dass man das auch auf die Kollegen und Mitarbeitenden überträgt. Wenn wir schnell sind, können wir als Sieger hervorgehen.“ Realist, wer dabei denkt: Und wo bleibt die Familie? 
Da strahlt Heiken zum ersten Mal übers ganze Gesicht: „Ich habe drei erwachsene Kinder und bin 2022 zum ersten Mal Opa geworden. Und wissen Sie was? Zwei meiner Kinder arbeiten auch hier bei Hellmann.“ Wer Kinder hat, der weiß: Auch das ist eine Auszeichnung. Für den Menschen, nicht den Manager. 

„Es herrscht Dynamik“

Die Liste der besten Mittelständler nutzt Daten von Die Deutsche Wirtschaft. DDW-Herausgeber Michael Oelmann erklärt die Besonderheiten. Das Gespräch führte Thorsten Giersch.

Welche Kennzahlen sind für Ihre Liste der 10.000 größten Familienunternehmen entscheidend?
Der Umsatz hat das größte Gewicht bei der Frage, ob ein Unternehmen in das Ranking kommt und wo es steht. Aber die Bedeutung eines Unternehmens als Marktakteur – und letztlich auch seines Entwicklungspotenzials – sollte noch an anderen Kriterien festgemacht werden. Das beginnt bei Patenten und Marken, geht über die Online-Sichtbarkeit bis hin zu Hochschulkooperationen und Digitalisierungsmaßnahmen. Auch weiche Faktoren gehören nach unserer Auffassung dazu, Arbeitgebermerkmale oder gesellschaftliches Engagement beispielsweise. Insgesamt sind es aktuell 39 Indikatoren, die wir in unterschiedlicher Gewichtung zur Ermittlung des Scores eines Unternehmens berücksichtigen.

Wie wandelt sich die Unternehmenslandschaft? Wie viele Unternehmen haben es in diesem Zeitraum neu in die Top 10.000 geschafft?
676 sind im Vergleich zum Vorjahr neu im Ranking. Es herrscht also Dynamik in der Unternehmenslandschaft. Spannend ist, wer im Gegenzug das Ranking verlassen hat, denn das ist auch wegen Erfolg möglich: Wir nehmen in unser Ranking der 10.000 besten Familienunternehmen ja nur solche auf, die unter eine Milliarde Euro Umsatz haben.

Anders als im Ranking von Markt und Mittelstand, wo die Grenze nach oben offen ist. Wer gehörte dazu?
Beispielsweise Harting, ein Hersteller von Steckverbindungen. Die sind im Zuge der Digitalisierung für Serverfarmen und Datenzentren gefragt. Oder Rational, ein Ausstatter für Großküchen, der besonders im Auslandsgeschäft zulegen konnte. Beide haben 2022 die Milliarden-Umsatz-Marke überschreiten können.

Welche Auffälligkeiten haben Sie festgestellt?
Das Thema Ausland und Export fällt ins Auge. Die Weltmarktführer unter den Topmittelständlern gehören überproportional zu den Umsatzgewinnern. Außerdem können die Großen besonders stark wachsen: Die Unternehmen im Bereich 500 Millionen bis eine Milliarde Euro Umsatz legten 2022 zu 2021 um fast 32 Prozent zu. Nach Branchen gehören nach jetzigem Stand die Textil- und die Nahrungsmittelindustrie zu den Verlierern, Energie liegt ganz vorne beim Umsatzwachstum, gefolgt von den Automobilzulieferern, Transport und Logistik, Gebäudetechnik- und Luftfahrtindustrie.

Sie haben viel Kontakt mit Mittelständlern. Ist die Verlagerung von Produktion ins Ausland oder gar der Wegzug ein Thema?
Auslandsaktivitäten sind immer schon wichtig beim deutschen Mittelstand. Deshalb sind wir ja auch Weltmeister unter den Weltmarktführern. Aber nach meiner Beobachtung haben sich Vorzeichen geändert.

Inwiefern?
In früheren Jahrzehnten hat man im Ausland Wachstumschancen gesucht. Heute sucht man eher das Weite vor den sich verschlechternden Standortbedingungen in Deutschland. Mit Energiekosten, Steuern, Fachkräften und Regulierungen seien hier nur einige Mankos genannt. Und: Früher hat die Politik Auslandsaktivitäten strategisch unterstützt, heute wird die Verlagerung ganzer Industriezweige politisch in Kauf genommen. Das ist ein Dilemma für den Standort Deutschland und für die traditionell regional verwurzelten Mittelständler. Und zwar mental, weil sie in der Regel sehr heimatverbunden sind, aber auch existentiell, weil kleineren Unternehmen die Verlagerung schlichtweg nicht möglich ist.  

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