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Rankings > Die 100 besten Mittelständler

Grenzenloses Wachstum

Die 100 wichtigsten Mittelständler haben weltmeisterlich zugelegt. Doch liegt das überhaupt noch im Trend? Worauf es bei Unternehmen ankommt.

Widersprüchliche Ansichten über Wachstum prägen aktuelle Debatten und Praktiken in Unternehmen. Bild: Shutterstock

Wachstum hat derzeit keinen guten Ruf. Die Degrowth-Debatte ist wie ein Zombie, der nie ganz totzukriegen ist. Und zurzeit gibt es sehr viele dieser Untoten. Es wirkt, als könnten Manager ihre Beliebtheit eher durch die Aussage steigern, dass sie gern Welpen treten, als dass sie öffentlich zugeben, ihr Unternehmen wachsen zu lassen. Immer mehr Menschen glauben, dass Wirtschaftswachstum und Klimaschutz nicht zusammenpassen. Auch im viel beachteten IPCC-Bericht der UN steht, dass „nur ein Postwachstumsansatz eine Klimastabilisierung unter zwei Grad ermöglicht“. Der Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ der Denkfabrik Club of Rome von 1972 scheint aktueller denn je zu sein. Die Realität sieht anders aus.

Da ist zum Beispiel das Tempo. Deutschland hat viele Tausend Hidden Champions hervorgebracht. Wer ihre Geschichte genau verfolgt, merkt: Schnelles Wachstum ist nicht ihr Ding. Das Geheimnis ist eher, langsam in einer Nische zu internationalisieren. Das zeigt auch ein Blick auf die Liste der 100 wichtigsten Mittelständler. Und dann ist da Wachstum an sich, das nicht unbedingt bedeutet, immer mehr vom Bestehenden zu produzieren mit immer mehr Ressourcenverbrauch. Klar ist nur: Ohne Wachstum und Veränderung geht es nicht.

Die Frage, wie man optimal wächst, treibt Guido Quelle seit Jahrzehnten um. Er ist wohl der Mann, der sich hierzulande am besten mit Wachstum in mittelständischen Unternehmen auskennt. Als geschäftsführender Gesellschafter der Managementberatung Mandat hat er sich darauf spezialisiert. Für ihn ist Degrowth „Quatsch“. Wachstum habe sich vom Ressourcenverbrauch weitgehend entkoppelt, deswegen sei das Klimaargument nur noch sehr bedingt zutreffend. „Gesundes Wachstum kann grundsätzlich unbegrenzt stattfinden, weil es über Innovationen entsteht. Heute besonders auch über digitale Elemente wie Software“, sagt er. „Im Produktbereich ist Wachstum ebenfalls unendlich. Als Beispiel: Ein Grammofon hat niemand mehr, Musik hören wir aber alle noch. Das Mobiltelefon ist überholt, heute hat fast jeder ein Smartphone.“

Nach Quelles Erfahrungen machen Betriebe immer wieder dieselben Fehler, weswegen sie Wachstum falsch interpretieren. „Wachstum ist nicht das Fortschreiben des Bestehenden.“ Und Führungskräfte nehmen die Vergangenheit viel zu häufig als Blaupause für Entscheidungen, die die Zukunft betreffen. Für ihn gehen mangelnde Wachstumsperspektive und Personalmangel Hand in Hand. „Menschen kaufen Zukunft, wenn sie sich bewerben. Sie müssen dem Unternehmen vertrauen, dass es dort vorangeht“, sagt der Experte. Wachstumsbremse Nummer eins ist für ihn die Annahme bei Führungskräften, man könne einfach so weitermachen wie bisher, also den aktuellen Erfolg fortschreiben, um auch künftig Erfolg zu haben – womit  durchaus auch die Geschäftsleitung gemeint ist. Vielmehr müssen sie mit einer „Ehrlichkeitskultur“ ihre Leute begeistern können, die richtigen Ziele festlegen und Zukunft aktiv entwickeln. All das werde ohne Vertrauen und Verbindlichkeit nicht funktionieren, sagt Quelle.

„Geschäftsführer innen und Geschäftsführer fühlen sich gerade wie die Kugeln in einem Flipperautomaten“, berichtet der Berater aus seinem Alltag. Für ihn gibt es außerhalb des eigenen Gestaltungsspielraums vor allem zwei Dinge, die Wachstum behindern: Wegen der Wankelmütigkeit der Ampelregierung lässt sich nicht sicher planen. Und überbordende Bürokratie erzeugt enormen Aufwand, der nicht sein müsste. „Man hat das Gefühl, dass Juristen mehr und mehr das Ruder übernehmen“, sagt Quelle. „Viele Mittelständler fühlen sich ausgebremst.“ Widrigkeiten seien Unternehmensleitungen gewohnt, aber inzwischen herrsche das Gefühl von „Willkür und Unvorhersehbarkeit“. Dazu kämen geopolitische Entwicklungen und globale Wirtschaftsrisiken sowie die Überalterung der deutschen Gesellschaft nebst Personalmangel. „Da fragen sich viele schon, ob sie sich das noch antun müssen“, sagt der Experte. Umso wichtiger sei es, dass sich Unternehmen nicht daran abarbeiteten, was außerhalb ihres Gestaltungsspielraums liege, sondern  festlegten, was ihr Spielfeld sei, wo sie etwas verändern und weiterentwickeln könnten. „Dazu ist eine klare Standortbestimmung erforderlich, mit Ableitung von Maßnahmen. Das muss die Unternehmensführung unterstützen und fordern. Fortwährendes Lamentieren ohne Handeln führt bestenfalls in die Irre, schlimmstenfalls in die Insolvenz.“

Bleibt die Frage, wie die beste Führungsstruktur aussieht, um sich gut für die Zukunft aufzustellen. Guido Quelle ist da offen. „Der althergebrachte patriarchalische Führungsstil ist gerade nicht im Trend und man kann da auch einiges kritisieren, aber vielen gibt er Sicherheit.“ Das, was die moderne Managementtheorie fordert, nämlich Verantwortung zu delegieren, loszulassen, erfordert ja auch Menschen, die damit zurechtkommen. Und hier sieht Quelle ein Problem: „Es gibt in vielen Unternehmen einen Engpass bei der Entscheidungsfreude.“ Das liegt zum Teil an den Menschen selbst, die mehr Verantwortung aus Gewohnheit oder Unlust nicht übernehmen wollen. Aber vor allem an den Strukturen innerhalb der Betriebe.

„Selbst die besten Führungskräfte im Mittelmanagement brauchen einen Rahmen, wenn sie Entscheidungsfreude entwickeln sollen.“ Damit meint Quelle eine Methode, um Neues zu entwickeln und damit einhergehende Verfahren. Er vergleicht es mit einem Mobile, das Babys auch nur dann Spaß macht, wenn es richtig aufgehängt wurde. Chaos entsteht, wenn jeder und jede eigene Prioritäten setzt und Themen keine Hierarchie haben. Das typische Beispiel ist, wie knappe IT-Ressourcen genutzt werden. In einigen Unternehmen gibt es glasklare Strukturen, wer mit welchen Themen auf die IT zugreifen kann. In anderen gewinnt die Abteilung mit dem cleversten oder mächtigsten Leitenden. „Strukturen verhindern Management by Machtspiel“, sagt Quelle.

Zum Instrumentenkasten der Wachstumsmethodiken gehört dem Experten zufolge auch, Kunden, Projekte oder schnöde Gewohnheiten loszulassen. „Meistens kann sich ein Betrieb von 20 bis 30 Prozent seines Sortiments trennen, man traut sich das aber oft nicht.“ Es werde zu selten nach dem zwingenden Nutzen gesucht. „Und wenn Kunden schon nicht profitabel sind, dann sollten sie zumindest Multiplikatorwirkung haben.“ Damit ist gemeint, dass der Kunde sich exzellent in der eigenen Referenzliste macht, neue Kunden anzieht oder sogar einen weiterempfiehlt, ohne eine Gegenleistung zu verlangen. Ein Vorteil, selbst wenn der Kunde kaum oder kein Geld bringt. Ohne diese Multiplikatorwirkung ist er fürs Unternehmen nur Verlustbringer und die Geschäftsbeziehung sollte womöglich beendet werden. Schließlich binden solche Kunden gute Leute, was in Zeiten des Personalmangels und Kostendrucks besonders weh tut.

„Dinge weglassen“

Wegen der engen Beziehung tun sich viele Mittelständler schwer, von sich aus Beziehungen zu beenden. Da spielen Gewohnheit und eine gewisse Treue eine große Rolle. Gerade wenn man wahnsinnig viel Energie investieren müsste, fällt es nicht leicht, gewissermaßen „aufzugeben“ und das Risiko einzugehen, den Kunden durch eine entsprechende Entweder-oder-Forderungen zu verlieren. Aber der Berater sagt: „Wachstum besteht auch darin, Dinge wegzulassen. Und damit auch, Kunden loszuwerden.“

Wachstum kommt nicht nur aus dem Vertrieb. Gesundes, intelligentes Wachstum beginnt an drei Stellen, sagt Quelle: „Im Kopf, ganz oben in der Unternehmensführung und ganz oben in der GuV.“ Es gehe darum, interne Bremsen zu lösen, also vor allem das Zusammenspiel der Abteilungen. In den Schnittstellen liegen die Millionen. Sich hier aufzureiben, führt oft dazu, dem Kunden nur das Zweitbeste zu bieten. „Wenn man sich mal anschaut, wie viele Produkte und Leistungen am Kunden vorbeigehen und wie vergleichsweise wenig Innovationen es gibt, die wirklich erfolgreich sind, kann man sich schon die Frage stellen, ob das Kundenbedürfnis immer im Vordergrund steht“, sagt Berater Quelle.

Ungeachtet all dessen: Wenn starkes Wachstum eine Krankheit wäre, dann leidet Deutschland derzeit unter keinen nennenswerten Symptomen. Nach der vierteljährlichen Umfrage des Ifo-Instituts und des Instituts für Schweizer Wirtschaftspolitik erwarten Fachleute 2024 für die Weltwirtschaft eine Wachstumsrate von durchschnittlich 2,6 Prozent, für die Euro-Zone von 1,5 Prozent und für Deutschland von 0,6 Prozent. Über zu viel Wachstum klagen hierzulande derzeit nur die allerwenigsten.
 

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