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Ratgeber für den Alltag > Arbeitszeit-Reform

Abschied vom Achtstundentag? Was die neue Arbeitszeitreform wirklich bedeutet

Die neue Regierung plant, die tägliche Höchstarbeitszeit durch eine wöchentliche zu ersetzen. Was pragmatisch, logisch und machbar klingt, wird nicht so einfach umzusetzen sein. Was die neue Regelung für alle bedeuten würde.

(Foto: Shutterstock)

Die Koalition aus Union und SPD plant eine grundlegende Reform des Arbeitszeitgesetzes: Die tägliche Höchstarbeitszeit soll durch eine wöchentliche Grenze von 48 Stunden ersetzt werden. Diese Änderung würde Unternehmen mehr Flexibilität bei der Arbeitszeitgestaltung ermöglichen und könnte besonders für Branchen mit schwankendem Arbeitsaufkommen Vorteile bringen.

Die geplante Reform orientiert sich an der EU-Arbeitszeitrichtlinie, die keine genaue tägliche Obergrenze vorschreibt. Neben der flexibleren Verteilung der Arbeitszeit sollen auch Überstundenzuschläge steuerfrei gestellt werden – eine Maßnahme, die Anreize für Mehrarbeit schaffen könnte.

Kernpunkte der geplanten Neuregelung

Die vertragliche Arbeitszeit der Beschäftigten bleibt durch die Reform unverändert. Neu ist lediglich, wie die vereinbarten Stunden über die Woche verteilt werden können. Künftig wäre es möglich, dass Mitarbeiter beispielsweise an vier Tagen jeweils zehn Stunden arbeiten und dafür drei Tage frei haben.

Die gesetzlichen Ruhezeiten von elf Stunden zwischen zwei Arbeitstagen sowie die vorgeschriebenen Pausen (insgesamt 45 Minuten bei mehr als neun Stunden Arbeit) bleiben bestehen. Daraus ergibt sich eine maximale tägliche Arbeitszeit von etwa zwölf Stunden, wie Michael Fuhlrott, Fachanwalt für Arbeitsrecht, erläutert. Theoretisch könnten Mitarbeiter so ihre Wochenarbeitszeit von beispielsweise 36 Stunden an nur drei Tagen mit jeweils bis zu 12 Stunden ableisten.

Offen ist noch, ob die Neuregelung für alle Beschäftigten gelten soll oder nur für jene mit Tarifvertrag oder Betriebsrat. Hier zeichnet sich ein Konflikt zwischen den Koalitionspartnern ab: Während die Union die Regelung für alle Betriebe wünscht, möchte die SPD sie nur in Ausnahmefällen und bei Tarifbindung zulassen.

Branchenspezifische Vorteile der Flexibilisierung

Von der geplanten Flexibilisierung würden vor allem Branchen mit wechselndem Arbeitsanfall oder Schichtbetrieb profitieren. Dazu zählen insbesondere:

  • Baugewerbe
  • Einzelhandel
  • Gastronomie
  • Projektarbeit

In diesen Bereichen könnten Belastungsspitzen durch ruhigere Tage ausgeglichen werden. Wo Anwesenheitspflicht besteht – etwa im Supermarkt oder in der Produktion – könnten sowohl Mitarbeiter als auch Unternehmen von der größeren Flexibilität profitieren.

Für Bürojobs mit regelmäßiger Fünf-Tage-Woche dürfte die Neuregelung hingegen weniger Auswirkungen haben. Zudem gibt es bereits heute zahlreiche Ausnahmen von der Achtstundengrenze, etwa für Führungskräfte, durch tarifvertragliche oder betriebliche Vereinbarungen sowie für bestimmte Berufsgruppen wie Pflegekräfte, Polizei oder Landwirte.

Steuerfreie Überstundenzuschläge als Anreiz

Ein weiterer Baustein der geplanten Reform sind steuerfreie Überstundenzuschläge. Diese sollen für Mehrarbeit gelten, die über die tariflich vereinbarte oder an Tarifverträgen orientierte Vollzeitarbeit hinausgeht.

  • Wichtig zu beachten: Es gibt keinen allgemeinen gesetzlichen Anspruch auf Zuschläge für Überstunden, solange keine tarifvertragliche oder arbeitsvertragliche Regelung besteht. Die Steuerfreiheit schafft also keinen Anspruch auf Zuschläge. Unternehmen können weiterhin festlegen, dass Mehrarbeit über das normale Gehalt abgegolten ist oder durch Freizeitausgleich kompensiert wird.

Im Rahmen von Tarifverträgen sind solche Zuschläge üblich, besonders im öffentlichen Dienst. Nach dem TVöD beträgt der Zuschlag zwischen 15 und 35 Prozent des Stundenlohns. Bislang sind diese Zuschläge mit wenigen Ausnahmen steuerpflichtig.

Chancen und Risiken

Die geplante Reform des Arbeitszeitgesetzes bietet sowohl Chancen als auch Risiken für Unternehmen und Beschäftigte. Hier ein Überblick über die wichtigsten Aspekte:

Chancen:

  • Bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch flexiblere Arbeitszeitmodelle. Mitarbeiter könnten beispielsweise an vier Tagen länger arbeiten und dafür drei Tage frei haben.
  • Effizientere Bewältigung von Auftragsspitzen und saisonalen Schwankungen. Unternehmen können Personal gezielter einsetzen und müssen weniger auf externe Dienstleister zurückgreifen.
  • Stärkere Anreize für Mehrarbeit durch steuerfreie Überstundenzuschläge. Dies könnte dem Fachkräftemangel entgegenwirken und die Produktivität steigern.

Risiken:

  • Höhere gesundheitliche Belastung durch längere Arbeitstage. Die Gefahr von Unfällen nach langer Arbeit steigt, auch für Büroangestellte auf dem Heimweg.
  • Möglicher Missbrauch der steuerfreien Überstundenzuschläge. Arbeitgeberverbände warnen, dass Gewerkschaften Vereinbarungen zu Arbeitszeitkonten aufkündigen könnten, um stattdessen steuerfreie Zuschläge zu nutzen.
  • Benachteiligung von Kleinbetrieben oder Unternehmen ohne Betriebsrat, falls die Neuregelung nur bei Tarifbindung gelten sollte. Dies könnte zu Wettbewerbsverzerrungen führen.

Die Geschichte der Arbeitszeitregelung

Die Regulierung der Arbeitszeit hat eine lange Geschichte, die eng mit der Industrialisierung verknüpft ist. 

  • Im 19. Jahrhundert waren Arbeitszeiten von 14 bis 16 Stunden täglich keine Seltenheit. Der Kampf um den Achtstundentag wurde zu einem zentralen Anliegen der Arbeiterbewegung.
  • Ein entscheidender Durchbruch gelang 1918/19, als in Deutschland der Achtstundentag gesetzlich verankert wurde. Diese Regelung überstand jedoch nicht die Weltwirtschaftskrise – erst 1938 wurde der Achtstundentag wieder eingeführt, allerdings mit zahlreichen Ausnahmeregelungen.
  • Das heute gültige Arbeitszeitgesetz trat 1994 in Kraft und setzt die EU-Arbeitszeitrichtlinie von 1993 um. Es schreibt grundsätzlich eine tägliche Höchstarbeitszeit von acht Stunden vor, erlaubt aber unter bestimmten Bedingungen eine Verlängerung auf bis zu zehn Stunden.

Arbeitszeit im Spannungsfeld zwischen Freiheit und Regulierung

Die Debatte um die Flexibilisierung der Arbeitszeit berührt fundamentale wirtschaftsphilosophische Fragen: Wie viel Regulierung braucht der Arbeitsmarkt? Wo endet der notwendige Schutz und beginnt die Bevormundung? Die geplante Reform navigiert in diesem Spannungsfeld zwischen Liberalisierung und Arbeitnehmerschutz.

Der Wunsch nach mehr Flexibilität entspringt nicht nur ökonomischen Überlegungen, sondern auch einem veränderten Verständnis von Arbeit und Lebensqualität. Die strikte Trennung von Arbeits- und Freizeit, wie sie der industriellen Logik des 20. Jahrhunderts entsprach, weicht zunehmend einem integrierten Konzept von Work-Life-Balance.

Bemerkenswert ist dabei die Verschiebung der Perspektive: Während der Achtstundentag historisch als Errungenschaft des Arbeitnehmerschutzes galt, wird Flexibilität heute sowohl von Arbeitgebern als auch von vielen Arbeitnehmern als Gewinn an Freiheit und Selbstbestimmung verstanden. Diese Konvergenz der Interessen könnte den Weg zu neuen, kooperativen Modellen der Arbeitszeitgestaltung ebnen.

 

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