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Geld & Vorsorge > Pharmazeutische Versorgungskrise

Apothekensterben in Deutschland: Schließungen gefährden die Versorgung

Immer mehr Apotheken geben auf – mit spürbaren Folgen für Patienten. Lieferengpässe, Personalnot und Politikversagen bringen das System ins Wanken.

Die Apothekenlandschaft in Deutschland schrumpft in besorgniserregendem Tempo. Ende September 2024 zählte die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) nur noch 17.187 Apotheken bundesweit – ein Rückgang von 384 Betriebsstätten oder 2,2 Prozent seit Jahresbeginn. 

Diese Entwicklung markiert eine besorgniserregende Beschleunigung des Apothekensterbens im Vergleich zu den Vorjahren, als im gleichen Zeitraum 335 (2023) bzw. 285 (2022) Apotheken schließen mussten.

Die wirtschaftliche Lage vieler Apotheken hat sich dramatisch verschärft. Laut Branchenexperten gab es im vergangenen Jahr bis zu 50 Insolvenzen – eine beunruhigende Zahl für einen Sektor, der traditionell als krisensicher galt. Hinzu kommt eine schwer zu beziffernde Grauzone von Betrieben mit akuten Liquiditätsproblemen.

Ursachen der wirtschaftlichen Schieflage

Die Gründe für das Apothekensterben sind vielschichtig. Im Jahr 2010 gab es noch über 4.000 mehr Apotheken als heute. Die traditionelle Apotheke als inhabergeführter Gesundheitsdienstleister mit lokaler Verankerung war jahrzehntelang ein Stabilitätsfaktor in der Gesundheitsversorgung. Die Erosion dieses Modells begann mit der zunehmenden Konkurrenz durch Online-Apotheken und setzte sich fort durch die mangelnde Anpassung der Vergütungsstrukturen an wirtschaftliche Realitäten.

  • Steigende Personal- und Sachkosten, insbesondere Mieten, belasten die Betriebe erheblich. 
  • Gleichzeitig stagniert das Apothekenhonorar seit elf Jahren, wie ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening kritisiert.
  • Hinzu kommen Lieferengpässe bei wichtigen Medikamenten, die den Arbeitsaufwand erhöhen und Umsatzeinbußen verursachen.
  • Der Fachkräftemangel verschärft die Situation zusätzlich. 
  • Viele Pharmazeuten entscheiden sich für Karrieren in der Industrie oder in Krankenhäusern, was die Nachfolgersuche für bestehende Apotheken erschwert.

Keine Insolvenzantragspflicht für Apotheken

Für Apothekerinnen und Apotheker mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten besteht keine Insolvenzantragspflicht. Dies führt jedoch häufig dazu, dass Betroffene Krisensymptome zu lange ignorieren, statt frühzeitig gegenzusteuern.

Branchenexperte Rohner betont: "Wenn ich solche Krisensymptome erkenne, muss ich schauen, was sind die Ursachen." Eine professionelle Liquiditätsplanung und Gewinn-Verlust-Rechnung seien unerlässlich, um rechtzeitig Maßnahmen ergreifen zu können.

Zu den Hauptgläubigern zählen typischerweise Banken und Großhändler. Während Lieferanten das Warenlager als Sicherheit haben, verlangen Banken häufig Zugriff auf das Privatvermögen des Betriebsinhabers. Besonders kritisch sind Rückstände beim Finanzamt, das "rigoros" seine Forderungen durchsetzt.

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Dramatische Folgen des Apothekensterbens

Die schwindende Apothekenzahl hat direkte Auswirkungen auf die Patientenversorgung. "Jede Apotheke, die schließen muss, verschlechtert die Versorgung für Patientinnen und Patienten, weil die Wege zur nächsten Apotheke dann länger werden", warnt ABDA-Präsidentin Overwiening.

Mit durchschnittlich 21 Apotheken pro 100.000 Einwohner liegt Deutschland deutlich unter dem EU-Durchschnitt von 32. Diese Versorgungsdichte wird sich weiter verschlechtern, da den 559 Schließungen im vergangenen Jahr nur 62 Neueröffnungen gegenüberstanden.

Besonders alarmierend: Die Zahl der Neueröffnungen sinkt weiter. In den ersten drei Quartalen 2024 gab es nur 36 Neueröffnungen, verglichen mit 48 im Vorjahreszeitraum.

Reformvorschläge und politische Forderungen

Die Apothekerverbände fordern ein sofortiges Eingreifen der Politik. Ein vorgeschlagenes Sofortprogramm von 1,5 Milliarden Euro könnte kurzfristig Entlastung bringen. Langfristig müsse das seit elf Jahren stagnierende Apothekenhonorar an die gesamtwirtschaftliche Entwicklung angepasst werden.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach plant eine Apothekenreform, die unter anderem die Gründung neuer Apotheken erleichtern soll. Ein umstrittener Vorschlag: Pharmazeutisch-technische Assistenten (PTA) sollen künftig approbierte Apotheker ersetzen können.

Die ABDA kritisiert diese "Entkernung der Apotheke" scharf. Eine Apotheke ohne Apotheker könne nicht die Lösung sein.

Faktenbox: Apothekensterben in Deutschland

  • Aktueller Stand: Ende September 2024 gab es bundesweit noch 17.187 Apotheken, ein Rückgang von 384 (2,2 Prozent) seit Jahresbeginn.
  • Historische Entwicklung: Im Jahr 2010 existierten noch 21.441 Apotheken in Deutschland – ein Verlust von über 4.000 Betriebsstätten in 14 Jahren.
  • Versorgungsdichte: Mit 21 Apotheken pro 100.000 Einwohner liegt Deutschland deutlich unter dem EU-Durchschnitt von 32.
  • Wirtschaftliche Situation: Im vergangenen Jahr gab es bis zu 50 Insolvenzen von Apotheken, während das Apothekenhonorar seit elf Jahren stagniert.

Kleine Geschichte der Apotheken

  • Antinke:  Systematische Sammlung und Anwendung heilkundlichen Wissens über Pflanzen und Mineralien.

  • Mittelalter:  erste Formen der Apotheke in Europa: Entwicklung aus klösterlichen Kräutergärten und Einfluss medizinischer Schulen, z. B. in Salerno.

  • Im 13. Jahrhundert:  Gesetzliche Trennung von Arzt- und Apothekerberuf, in Deutschland durch Arzneimittelordnungen städtisch geregelt, erste bekannte städtische Apotheke in Trier.

  • Rolle der Apotheken im Laufe der Zeit: Zentrale Einrichtungen zur sicheren Arzneimittelversorgung; Abgabe von Medikamenten, Beratung, Herstellung individueller Rezepturen.

  • Apotheken als lokal verankerte Institutionen und fester Bestandteil des Gemeinwesens, geprägt vom Bild des „Apothekers des Vertrauens“.

Fazit

Das sich aktuell abzeichnende Apothekensterben markiert eine Zäsur von historischer Tragweite in der Entwicklung des deutschen Gesundheitswesens. Es steht sinnbildlich für das schleichende Ende eines bewährten Modells lokaler, inhabergeführter Apotheken, das einst als Fundament einer wohnortnahen, verlässlichen und persönlichen Arzneimittelversorgung galt. 

Was über Generationen hinweg als krisensichere Institution fest im sozialen Gefüge verankert war, gerät zunehmend unter Druck – getrieben von ökonomischen Zwängen, strukturellen Verwerfungen und eines tieferliegenden, gesamtgesellschaftlichen Problems. 

Historisch betrachtet reiht sich diese Entwicklung ein in die großen Transformationsphasen des Gesundheitssektors – stets begleitet von der Frage, wie der Staat seiner Verantwortung für die flächendeckende Versorgung nachzukommen vermag.

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