IFA: Der Reiz einer Hundertjährigen
Radikale Frischzellenkur in Berlin: Mit welchen Mitteln Geschäftsführer Leif Lindner die traditionsreiche Internationale Funkaustellung wiederbelebt hat.
Von Björn Hartmann
Berlin-Mitte, 14. Stock, Rocket-Internet-Tower: In den hippen Büros des Start-up-Entwicklers residiert das Unternehmen, das die IFA neu erfunden hat, eine der traditionsreichsten Messen Deutschlands. Maßgeblich verantwortlich ist Geschäftsführer Leif Lindner, der im engen Konferenzraum erklärt, wie radikal man vorgehen muss – und wo eher Zurückhaltung gefragt ist. Denn was nützt ein hippes Konzept, wenn es nur Aussteller oder nur Besucher interessiert? Im schlimmsten Fall droht das Aus.
Auf der Messe in Berlin wurde Rundfunkgeschichte geschrieben, das Farbfernsehen eingeschaltet, die CD als Medium vorgestellt. Die Welt traf sich hier, um die neuesten Technologien zu zeigen. Das ZDF sendete „Wetten, dass..?“ von der Messe, die größte Samstagabend-Show des deutschen Fernsehens. Wobei das zugegeben eher die Bundesbürger elektrisierte, aber weniger die ausländischen Fachbesucher. Doch die Hallen waren voll. Dann allerdings verlor die IFA allmählich ihren Reiz. Die Telekomfirmen etwa fanden andere Messen spannender. Und Kühlschränke mit künstlicher Intelligenz, die automatisch Joghurt nachbestellten? Irgendwie ging die Coolness verloren.
Lindner hat das alles hautnah erlebt. Der Großhandelskaufmann arbeitete lange auf Herstellerseite, bei Sony, dann 15 Jahre bei Samsung, zuletzt als Vizepräsident für Unterhaltungselektronik. Und er saß in den Gremien der GFU, jenes Verbands, der die Namensrechte an der IFA hielt. „Die Messe kam in die Jahre. Das Risiko bestand, dass sich relevante Hersteller zurückziehen, wenn nichts passiert“, sagt er. „Wir haben Druck gemacht.“ Lindner ist heute Geschäftsführer der IFA Management, die die Messe seit 2023 ausrichtet. Er spricht von Frischzellenkur und dass die Zeit vorbei sei, in der er sich nur beschwert habe. „Jetzt sitze ich im Driverseat, um die Dinge auch zu verändern.“
Zum Beispiel die Organisationsstruktur. Bis 2022 richtete die Messe Berlin die IFA aus, einen richtig neuen Ansatz bekam sie aber nicht hin. Nach langen harten Verhandlungen übernahm dann die neu gegründete IFA Management die Messe. Sie gehört zu 51 Prozent der britischen Clarion Events, dem drittgrößten Messeveranstalter der Welt. Die restlichen Anteile hält die GFU, in der zwölf Hersteller von Unterhaltungselektronik und weißer Ware organisiert sind. Die Messe Berlin vermietet heute nur noch die Hallen. Die Zeit drängte: 2024 feierte die IFA den 100. Geburtstag. Da sollte eine spektakuläre Schau Besucher und Hersteller locken.
Nur ein neuer Veranstalter reicht dafür nicht. „Als Erstes haben wir die Lage schonungslos analysiert“, sagt Lindner. „Dann haben wir festgelegt, an welchen Projekten wir sofort arbeiten müssen.“ Eines der ersten sei gewesen, die gesamte Bildsprache zu ändern, überall. Die IFA musste an den Zeitgeist angepasst werden. „Wir haben die Farben und das Logo geändert, grelle Farben, gelb, lila, schwarz, hellblau, grün, rot, inspiriert vom ehemaligen TV-Testbild, dazu die 100. Es soll junge Zielgruppen ansprechen. Bisher waren wir vor allem rot weiß.“
Agentur aus Fashionbereich
Auch der Name passte nicht mehr so recht. Internationale Funkausstellung klang doch arg gestrig, vor allem ausländische Gäste kommen mit den langen deutschen Worten nur schlecht klar. Für Lindner passte der Name schon seit Jahren nicht mehr. „Deswegen heißt die IFA jetzt Innovation for all oder Innovation für alle“, sagt Lindner. „Passt auf die Buchstaben in Deutsch und Englisch und unterstreicht, dass die IFA schon lange einen wesentlichen Fokus auf den Bereich Haushalts- und Großgeräte sowie Futuretech hat.“
Um frische Ideen zu bekommen, suchte IFA Management besondere Partner: „Wir haben bewusst mit einer Agentur gearbeitet, die aus dem Fashionbereich kommt, die aber auch Transformation zum Beispiel bei Gucci und Moncler begleitet hat“, sagt Lindner. „Es war wichtig, den Staub runterzupusten und die Messe neu zu beleben.“
Dafür war Lindner ziemlich viel unterwegs, vor allem in Asien, wo viele Unterhaltungselektronikhersteller sitzen. „Die IFA musste noch klarer international ausgerichtet werden. Dafür waren sehr viele Gespräche nötig“, sagt er. „Ich bin also viel gereist, um mit Journalisten und Unternehmen zu sprechen. Im Nachhinein war ein Schlüssel zum Erfolg, dass wir die direkte, offene Kommunikation gesucht haben.“
Ganz so radikal, wie sich das alles anhört, gingen die neuen Veranstalter nicht vor. „Große Firmen werfen bei Veränderungen gern alles Alte raus, auch das Personal. Begründung: Die Leute haben vom Kopf her Probleme mit dem Wandel“, sagt der Messe-Chef. „Der Ansatz war, möglichst viele Kollegen der Messe Berlin zu übernehmen, die für die IFA zuständig waren.“ Allerdings seien nur wenige mitgekommen. „Die IFA musste dann 2023 binnen ein paar Monaten 30 bis 40 Leute einstellen“, sagt Lindner, der damals noch nicht dabei war. „Es ging darum, die erste IFA unter neuer Ägide umzusetzen – in acht Monaten und mit Leuten, die die Messe nicht kannten. Da kam zwar neue Inspiration rein, aber es konnte nicht alles erfüllt werden, was Kunden erwartet hatten.“ Trotzdem lief es überraschend gut.
Lindner kam im Sommer 2023 dazu, da war die Organisation weitgehend abgeschlossen. „Mich sprach man für den Geschäftsführerposten an, weil ich die Branche, die Messekunden kenne“, sagt er. Und vielleicht auch, weil er schon lange gefordert hatte, dass sich etwas ändern müsse. Für ihn selbst war das Angebot höchst attraktiv. Lindner stammt aus dem Berliner Stadtteil Neukölln. „Wenn du als Berliner, der die IFA von der Pike auf kennt, die Chance hast, die Messe zu organisieren zum 100. Geburtstag, musst du zugreifen.“
Dieser Geburtstag war aus seiner Sicht auch eine Riesenchance. „Alle Augen waren auf uns gerichtet, teilweise durchaus kritisch, aber vor allem voller Erwartung. Wir wussten, wir müssen jetzt liefern!“ Und offenbar haben sie geliefert. 215.000 Besucher kamen, 33.000 mehr als ein Jahr zuvor. 60 Prozent waren internationale Fachbesucher, wichtig für die Aussteller, die auch größere Aufträge abschlossen.
„Es hätte auch schiefgehen können, dann wäre die 101. Version dieses Jahr wesentlich schwerer geworden“, sagt Lindner. „Das kann eine negative Kettenreaktion geben wie bei der Cebit, und dann ist die Messe verschwunden. Ich glaube, dass wir nicht alles, aber vieles richtig gemacht haben, deshalb ist das Gegenteil passiert.“ Die Cebit in Hannover, einst die größte Computermesse der Welt, verschwand 2018 nach 32 Jahren, weil die Hannovermesse das Konzept nicht modernisieren konnte.
Deutschrapperin legt los
Lindner jedenfalls hat derzeit „keinerlei Sorge, dass einer der Top-30-Hersteller nicht zur IFA kommt. Eher haben noch andere angefragt, die gern wiederkommen oder überhaupt kommen wollen.“ Für die nächste IFA arbeiten sie daran, die Zielgruppe der IFA zu verbreitern, noch mehr jüngeres Publikum anzusprechen. „Das Durchschnittsalter war etwas über 50 Jahre, vor allem Männer kamen. Wir müssen in vielen Bereichen attraktiver werden, auf verschiedenen Bühnen mehr Programm anbieten, um ein diverseres Publikum anzuziehen.“ Schon die Geburtstagsausgabe war nach seinen Angaben deutlich jünger.
„Geholfen hat, dass wir Entertainment zurückgebracht haben. Der Sommergarten in der Mitte der Messe bietet eine einmalige Möglichkeit“, sagt Lindner. So spielte der kanadische Rocker Bryan Adams ein Konzert. Für 2025 ist ein Open-Air-Konzert der Deutschrapperin Ikkimel angekündigt. Neben den vielen Produktneuheiten will der Chef die Messe wieder stärker zum kulturellen Event machen. Die Messe müsse in der ganzen Stadt spürbar sein. Lindner, das wird im kleinen Konferenzraum klar, brennt für die IFA.
Und wo geht es jetzt hin mit der Messe? „Wir wollen alle Bereiche abdecken, die mit Elektronik zu tun haben und natürlich andere Schwerpunkte setzen – Gaming, Mobility, Content Creation, aber auch Mobilfunk. Aber nie so tief wie die Spezialmessen, etwa die Gamescom“, sagt Lindner. Da könnte es noch die ein oder andere Überraschung geben. „Wir sprechen mit den großen Anbietern, um Mobilfunk wieder zurückzuholen. Die Tür ist zumindest mal einen Spalt aufgegangen, nachdem sie jetzt gesehen haben, dass wir eine ganz andere Fokussierung haben.“ <<