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Geld & Vorsorge > Erbschaftslücke: Männer erben mehr

Erben ist Männersache? Die versteckte Vermögenslücke in Deutschlands Chefetagen

Studie: Frauen erben weniger und zahlen mehr Steuern. Wie Tradition und Steuerrecht die Vermögensungleichheit zwischen den Geschlechtern zementieren.

Stellen Sie sich vor, Sie erben ein Milliardenvermögen - aber nur, weil Sie zufällig als Mann geboren wurden. Eine Studie des Max-Planck-Instituts wirft ein Schlaglicht auf die Erbpraktiken deutscher Vermögen und offenbart überraschende Muster. In Zeiten, in denen Gleichberechtigung in aller Munde ist, zeigt sich in den obersten Etagen der Vermögenspyramide ein anderes Bild. Tauchen wir ein in die Welt der Nachfolgeregelungen.

Die Erbschafts- und Schenkungslücke: Ein unerwartetes Gender Gap

Die Zahlen sind beeindruckend und zugleich beunruhigend: Frauen erben im Durchschnitt 13 Prozent weniger als Männer. Bei Schenkungen, also Vermögensübertragungen zu Lebzeiten, klafft die Lücke sogar um 37 Prozent auseinander. Diese Diskrepanz fügt sich nahtlos in die Reihe bekannter Ungleichheiten wie Lohnlücke, Rentenlücke und Einkommenslücke ein. Doch während diese Themen breit diskutiert werden, blieb die Erbschafts- und Schenkungslücke bisher weitgehend unbeachtet.

Ein zentraler Faktor für die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei Erbschaften liegt im Steuerrecht. Das deutsche Erbschaftsteuergesetz sieht unter bestimmten Voraussetzungen eine vollständige Befreiung von der Erbschaftsteuer für Betriebsvermögen vor. Diese Regelung zielt darauf ab, die Fortführung von Familienunternehmen zu erleichtern. In der Praxis führt dies jedoch oft zu einer indirekten Benachteiligung von Frauen.

Besonders frappierend ist die Erkenntnis, dass Frauen trotz geringerer Erbschaften und Schenkungen etwas mehr Erbschaftsteuer zahlen als Männer. Wie lässt sich dieses Paradoxon erklären? Die Antwort liegt im komplexen Geflecht des deutschen Steuerrechts und traditioneller Unternehmensstrukturen.

Steuerrecht und Tradition: Die Wurzeln der Ungleichheit

Das deutsche Erbschaftsteuerrecht begünstigt vor allem die Erben von Betriebsvermögen. Da der Familienbetrieb offenbar noch immer häufiger von Söhnen als von Töchtern weitergeführt wird, kommen die männlichen Erben hier entsprechend häufiger in den Genuss dieser Steuerbefreiung.

Ein typisches Szenario: Der Sohn erbt den Familienbetrieb, die Tochter ein Aktien-Portfolio. Der Betrieb wird übergeben, wenn der Vater in den Ruhestand geht, oft Jahre vor seinem Ableben. Ab diesem Zeitpunkt hat der Sohn die Möglichkeit, sein Erbe zu vermehren. Dieser Betrieb mit all seinen zukünftigen Einnahmen ist ungleich mehr wert und muss noch dazu wenig bis gar nicht versteuert werden. Das Aktien-Portfolio hingegen, das beim Tod der Eltern an die Tochter geht, unterliegt der vollen Besteuerung. Das Resultat: Selbst bei nominell gleichen Erbbeträgen fällt der reale Vermögenszuwachs für Frauen oft geringer aus.

Besonders ausgeprägt zeigt sich die Geschlechterkluft bei der Nachfolgeregelung in Milliardärsfamilien. Eine Studie von Oxfam und dem Netzwerk Steuergerechtigkeit offenbart: Bei rund zehn Prozent der untersuchten Milliardenvermögen werden männliche Nachkommen bei der Vermögensübertragung explizit bevorzugt. Diese Praxis steht im Widerspruch zu modernen Vorstellungen von Gleichberechtigung. Dabei wird deutlich: Die Bevorzugung männlicher Erben in Spitzenpositionen der Wirtschaft hat weitreichende Konsequenzen sogar auf das Erbrecht.

Historischer Kontext: Warum die Tradition der männlichen Erbfolge so lange hielt

Die Bevorzugung männlicher Erben hat tiefe historische Wurzeln. Im deutschen Recht war bis ins 20. Jahrhundert hinein das Prinzip der Primogenitur (Erstgeburtsrecht) verbreitet, das insbesondere in Adelsfamilien und landwirtschaftlichen Betrieben zur Anwendung kam. Dieses Prinzip sah vor, dass der erstgeborene Sohn das gesamte Familienvermögen übernimmt, um eine Zersplitterung zu verhindern. Auch nach der gesetzlichen Gleichstellung von Männern und Frauen in Erbschaftsfragen haben sich viele dieser traditionellen Muster gehalten, insbesondere in Unternehmerfamilien.

 

Immobilien als Sonderfall: Das Familienheim

Ein ähnliches Muster zeigt sich bei der Vererbung von Immobilien. Das sogenannte Familienheim genießt eine Sonderstellung im Erbschaftsteuerrecht. Erben, die die elterliche Immobilie mindestens zehn Jahre lang selbst bewohnen, können von einer Steuerbefreiung profitieren. Auch hier lässt sich eine geschlechtsspezifische Tendenz beobachten: Häufig sind es die Söhne, die im Elternhaus wohnen bleiben, während Töchter ausziehen – oft bedingt durch traditionelle Rollenbilder oder berufliche Mobilität.

Kulturelle Unterschiede: Vom Umgang mit Reichtum und Erbe

Interessanterweise zeigen sich auch kulturelle Unterschiede im Umgang mit Vermögen und Erbe. Während in den USA Reichtum oft zur Schau gestellt und ein Großteil des Erbes bereits zu Lebzeiten an Nachkommen vererbt oder gespendet wird, herrscht in Deutschland eher die Devise "Über Geld spricht man nicht". Vermögen wird bis ans Lebensende zusammengehalten und kommt manchmal sogar erst mit der Testamentseröffnung ans Tageslicht.

In skandinavischen Ländern ist die Erbschaftssteuer progressiver gestaltet, und Unternehmen werden häufig unabhängig vom Geschlecht der Nachkommen veräußert, anstatt innerhalb der Familie weitergegeben zu werden. In Frankreich gibt es strenge gesetzliche Regelungen zur gleichmäßigen Aufteilung von Erbschaften unter allen Nachkommen. Diese Mechanismen führen dazu, dass Frauen dort deutlich häufiger gleichwertige Vermögensanteile erben.

Diese unterschiedlichen Ansätze haben weitreichende Folgen für die Vermögensverteilung und -entwicklung in den jeweiligen Gesellschaften. Sie beeinflussen nicht nur individuelle Lebensläufe, sondern prägen auch die wirtschaftliche Landschaft ganzer Nationen. Festzuhalten bleibt: Die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei Erbschaften und Schenkungen offenbaren tiefsitzende strukturelle Ungleichheiten in der deutschen Wirtschaft. Während das Erbrecht formal Gleichberechtigung vorsieht, führen steuerliche Regelungen und traditionelle Nachfolgestrukturen zu einer de facto Benachteiligung von Frauen.

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