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Urteile & Verordnungen > Urteil der Woche

Grundsatzurteil zu Equal Pay: Frauen können auf Spitzengehalt klagen

| Silke Haars | Lesezeit: 4 Min.

Das BAG erlaubt Frauen, bei gleicher Arbeit auf Männer-Spitzengehälter zu klagen – ein Urteil mit Sprengkraft für Arbeitgeber.

Illustration Gerechtigkeitssymbole
Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt stärkt das Recht auf gleiche Bezahlung – Frauen können nun das Spitzengehalt männlicher Kollegen einklagen. (Foto: MuM/ki-generiert)

Männer und Frauen in gleicher oder gleichwertiger Position müssen grundsätzlich gleich entlohnt werden. Dies hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) jetzt in einem Grundsatzurteil bestätigt.

Ob die Klägerin im konkreten Fall verlangen kann, dass ihr die Differenz bis zum Spitzengehalt eines männlichen Kollegen gezahlt wird, muss nun das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg entscheiden, an das das BAG die Sache zurückverwiesen hat. Warum das Urteil aus Erfurt trotzdem bemerkenswert ist und was es für Arbeitgeber bedeutet, erklärt der Arbeitsrechtler Philipp Schäuble von der Kanzlei Morgan Lewis. 

 

Was haben die Bundesrichter in Erfurt entschieden?

  • Das BAG bestätigt zunächst, dass Männer und Frauen für gleiche oder gleichwertige Arbeit auch gleich bezahlt werden müssen. Um dieses Gebot effektiv durchzusetzen, gilt bereits nach bisheriger Rechtsprechung eine Beweiserleichterung. Das heißt: Legt eine Arbeitnehmerin dar, dass ihr Entgelt geringer ist als das eines männlichen Kollegen mit gleicher oder gleichwertiger Arbeit, wird grundsätzlich vermutet, dass die Entgeltdifferenz „wegen des Geschlechts“ besteht. Kann der Arbeitgeber diese Vermutung nicht widerlegen, muss er der Arbeitnehmerin das gleiche Entgelt zahlen, das er dem männlichen Kollegen gezahlt hat.  

    Diese Beweiserleichterung hat das BAG nun konkretisiert und bekräftigt: Entgegen der Annahme der Vorinstanz muss keine „überwiegende“ Wahrscheinlichkeit für eine geschlechtsbedingte Benachteiligung bestehen. Für eine sogenannte Entgeltgleichheitsklage reicht es aus, dass die Frau, die auf eine Gehaltsanhebung klagt, darlegt, dass ihr Arbeitgeber einem einzelnen männlichen Kollegen für gleiche oder gleichwertige Arbeit ein höheres Entgelt zahlt. Schon dann wird regelmäßig eine Benachteiligung wegen des Geschlechts vermutet.

    Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg in der Vorinstanz hatte eine solche Vermutung hingegen abgelehnt, weil der zum Vergleich herangezogene Kollege deutlich mehr verdiente als der Durchschnitt vergleichbarer Kollegen. Und weil das Entgelt der Klägerin unter dem Durchschnitt vergleichbarer Kolleginnen lag.

    Bemerkenswert an der Entscheidung des BAG ist, dass das Gericht trotz einer Vielzahl an vergleichbaren Kollegen auf den „Paarvergleich“ abstellt und nicht auf die Differenz zum durchschnittlichen Entgelt des jeweils anderen Geschlechts.  

Warum ist das ein gewichtiger Unterschied?

  • Kurz gesagt können Frauen nun Spitzenverdiener zum Vergleich heranziehen und im besten Fall auf das Spitzengehalt von Männern in gleicher oder vergleichbarer Position klagen.

    Das Landesarbeitsgericht hat auf die Differenz zwischen dem durchschnittlichen Entgelt der Frauen und Männer in jeweils vergleichbarer Position abgestellt. Es hat also nur insoweit eine Entgeltungleichbehandlung „wegen des Geschlechts“ vermutet. Das LAG sprach der klagenden Arbeitnehmerin weder das gleiche Entgelt wie dem benannten männlichen Kollegen noch das gleiche Entgelt wie der männlichen Vergleichsgruppe zu, sondern nur die Differenz zwischen dem sogenannten Mediangehalt der weiblichen und der männlichen Vergleichsgruppe. Gefordert hatte die Klägerin aber die Entgeltdifferenz zum Spitzengehalt eines von ihr benannten männlichen Kollegen.

    Anhand dieses Falls hat das BAG nun grundsätzlich festgestellt, dass eine Entgeltgleichheitsklage auf einen Paarvergleich gestützt werden kann. Für die Vermutung einer Benachteiligung wegen des Geschlechts reicht die Entgeltdifferenz zu einem einzelnen Kollegen mit gleicher oder gleichwertiger Arbeit aus. Die Anzahl an männlichen Vergleichspersonen und die Höhe der Medianentgelte beider Geschlechter sind für die Vermutung ohne Bedeutung.

Was muss das Landesarbeitsgericht nun prüfen?

  • Das Landesarbeitsgericht muss nun prüfen, ob die beklagte Arbeitgeberin die Vermutung einer Benachteiligung wegen des Geschlechts widerlegt hat. Hierfür müssen im Einzelnen objektive und geschlechtsneutrale Umstände bestehen, die den Entgeltunterschied zwischen der Klägerin und dem von ihr benannten Spitzenverdiener rechtfertigen.

    Die Hürden hierfür sind grundsätzlich hoch. Denn der Arbeitgeber muss den Entgeltunterschied nicht nur durch objektive, geschlechtsneutrale Umstände erklären. Er muss auch darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass der Entgeltunterschied ausschließlich auf solchen geschlechtsneutralen Gründen beruht.

    Im Übrigen hat das BAG bereits vorgegeben, dass der Arbeitgeber, wenn er die aus dem Paarvergleich folgende Vermutung einer Benachteiligung wegen des Geschlechts nicht widerlegen kann, der Arbeitnehmerin das absolut gleiche Gehalt wie dem zum Vergleich herangezogenen männlichen Kollegen zahlen muss. Diese Beweislastumkehr zu Lasten des Arbeitgebers gibt – so das BAG – die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vor.

Folgt aus dem Urteil damit, dass Arbeitgeber praktisch gar keine Gehaltsunterschiede mehr machen dürfen?

  • Nein. Entscheidend ist, dass Gehaltsunterschiede zwischen Frauen und Männern in vergleichbarer Position mit objektiven und geschlechtsneutralen Umständen begründet werden können.

    Im konkreten Fall hatte die Arbeitgeberin vorgetragen, die geringere Bezahlung der Arbeitnehmerin beruhe auf unterdurchschnittlicher Leistung; deshalb verdiene sie nicht nur weniger als die männlichen, sondern auch als ihre weiblichen Kollegen. Ob dieser Vortrag die Vermutung einer Benachteiligung wegen des Geschlechts widerlegen kann, wird sich in der anstehenden Entscheidung des Landesarbeitsgerichts zeigen.

    Auch in Zukunft können Arbeitgeber Gehaltsunterschiede – übrigens egal ob zulasten von Frauen oder Männern – mit höherer Qualifikation, mehr Erfahrung oder höherer Verantwortung rechtfertigen. Daneben ist als möglicher Rechtfertigungsgrund auch ein angespannter Arbeitsmarkt anerkannt, in dem ein höheres Entgelt erforderlich ist, um eine offene Stelle mit einer geeigneten Person zu besetzen.

    Entscheidend bleibt, dass Arbeitgeber die Gründe für Entgeltunterschiede tatsächlich dokumentieren und belegen können.

Rechnen Sie damit, dass es zu mehr Klagen auf Gehaltsausgleich kommt, wenn nun auf das Spitzengehalt einer Positionsebene geklagt werden kann?

  • Zunächst muss man sagen, dass nach dem Entgelttransparenzgesetz Arbeitnehmer in Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten schon seit 2017 Auskunft über das Bruttoentgelt von Kollegen des anderen Geschlechts mit gleicher oder gleichwertiger Tätigkeit in vergleichbarer Position verlangen können. Eine Klagewelle hat dies soweit ersichtlich nicht ausgelöst, aber einzelne Grundsatzentscheidungen, die teils erhebliche Aufmerksamkeit in der Bevölkerung erhalten.

    Das aktuelle BAG-Urteil könnte nun tatsächlich zu einem Zuwachs an Entgeltdifferenzklagen führen, weil bei einer Entgeltdifferenz zwischen zwei Personen unterschiedlichen Geschlechts, aber mit gleicher oder gleichwertiger Tätigkeit nun grundsätzlich der Arbeitgeber konkret darlegen und beweisen muss, dass die höhere Entlohnung eines männlichen gegenüber einer weiblichen Beschäftigten (oder andersherum) gerechtfertigt ist.

Was raten Sie Arbeitgebern?

  • Arbeitgebern ist nachdrücklich zu empfehlen, ein transparentes Vergütungssystem zu haben, anhand dessen sie im Einzelfall belegen können, auf welchen objektiven und geschlechtsneutralen Kriterien die Gehälter beruhen. Dies gilt besonders mit Blick auf die EU-Entgelttransparenzrichtlinie, die im kommenden Jahr umzusetzen ist und die Pflichten für Arbeitgeber erheblich verschärft.

    So bestehen Auskunftsrechte der Arbeitnehmer künftig unabhängig von der Unternehmensgröße und Arbeitgeber mit mindestens 100 Beschäftigten werden zur regelmäßigen Berichterstattung über das geschlechterspezifische Entgeltgefälle verpflichtet. Diesen gestiegenen Anforderungen an die Entgelttransparenz lässt sich schon organisatorisch nur mit einem objektiven und geschlechtsneutralen Vergütungssystem nachkommen.

    Arbeitgeber sollten deshalb bereits jetzt bestehende Vergütungssysteme und etwaige Entgeltgefälle im Unternehmen prüfen. Bestehen innerhalb von Jobprofilen oder bei identischen Tätigkeiten erhebliche Entgeltdifferenzen zwischen Männern und Frauen, die sich nicht durch sachliche Kriterien begründen lassen, sollten Arbeitgeber die Zeit bis Mitte nächsten Jahres nutzen, um individuelle und strukturelle Entgeltdifferenzen zu korrigieren.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23. Oktober 2025, Az. 8 AZR 300/24

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