Health-Coaching für Führungskräfte: Warum Selbstfürsorge ein Business-KPI ist
Selbstfürsorge ist kein Luxus: Health-Coaching macht Führungskräfte resilient und spart Unternehmen Millionen.
Führungskräfte leiden häufiger unter Burnout und anderen psychischen Krankheiten. Wie sie besser auf sich aufpassen, erklärt Expertin Kara Pientka.
06.10.2025 das Interview führte Thorsten Giersch für Markt und Mittelstand
Wieso haben Sie sich mit Health-Coaching für Führungskräfte selbstständig gemacht?
- Kara Pientka: Als ich vor 25 Jahren anfing, mit Führungskräften zu arbeiten, war Gesundheit noch gar kein explizites Thema. Vor rund zehn Jahren ist mir aufgefallen, dass der Umgang mit der eigenen Energie, dem eigenen Wohlbefinden, zum Thema wurde. Einige haben Angst vor einem Burnout oder auch Erfahrung damit, andere klagen über psychosomatische Beschwerden, dauerhafte Kopf- oder Rückenschmerzen. Und Health-Coaching in dem Sinne, wie ich es verstehe, gab es im deutschsprachigen Raum noch nicht.
Machen Männer da mehr mit als früher?
- Kara Pientka: Wir kommen aus dem Sportcoaching, also aus dem Leistungskontext, und da können auch sehr viele Männer anknüpfen.
Warum ist Selbstfürsorge kein Selbstläufer?
- Kara Pientka: Viele in unserem Wirtschaftssystem denken, sie seien Dauerfunktionierer oder Superhelden. Die Menschen, die überdurchschnittlich viel arbeiten, haben ein Selbstbild, das etwas von unkaputtbar hat: Ich hab keine Grenzen, leg mir noch die 112. Aufgabe hin, die schaffe ich auch noch.
Und das in Zeiten der Polykrisen und technologischen Revolutionen.
- Kara Pientka: Wir sprechen von einer maximalen Beschleunigung der Wirtschaftszyklen. Da wird dieses „Ich nehme immer mehr auf meine Schultern“ schnell zu einer Überforderung, die ich mir dann aber nicht eingestehe. So entstehen Schieflagen.
Wir haben Führungskräftemangel. Mittelmanager könnten also Stopp rufen und Grenzen aufzeigen oder bei andauernder Ausbeutung wechseln.
- Kara Pientka: Ja, aber die meisten sind unfähig, eigene Grenzen für sich überhaupt zuzulassen. Sehr viele Manager sind unfähig zur Eigenempathie, in sich selbst richtig hineinzuhören. Dann nehmen sie ihre Grenzen auch nicht wahr. Niemand muss ihnen viel abverlangen, sie beuten sich schon selbst aus. Das macht das Thema so anspruchsvoll, da es einen inneren Systemwechsel benötigt.
Sportler sprechen viel offener als früher über Gefühle und Grenzen. Warum nicht Führungskräfte?
- Kara Pientka: Topsportler haben seit Jahren Mental-Coaches als Support. Mit meiner Arbeit möchte ich dafür werben, dass wir „Kopfarbeitende“ auch erkennen, dass es zu einer gesunden Leistungsfähigkeit körperliche und mentale Fitness und vor allem Selfcare-Kompetenz braucht. Denn Selbstfürsorge ist kein „nice to have“, sondern von wirtschaftlicher Relevanz. Studien sagen: Wenn wir zehn Führungskräfte dazu bringen, gut für sich zu sorgen, sind sie Vorbilder für ihre Teams und sparen dem Unternehmen eine Viertelmillion Euro pro Jahr. Selfcare ist nicht Schaumbad oder Glückstee, es ist ein KPI. Umso ärgerlicher ist, dass der Anspruch, eine Maschine zu sein, so tief sitzt. Aber es hat sich wunderbar viel getan und wir sind auf dem Weg der Besserung.
Was unterscheidet die, die auf dem Weg der Besserung sind, von den anderen?
- Kara Pientka: Das ist eine Frage der Haltung. Wie begegnen wir uns selbst? Die einen gehen mit sich um wie mit einem lieben Freund, wohlwollend. Die anderen sind sehr streng mit sich, eher abwertend. Viele Führungskräfte, bei denen irgendwelche Schmerzen auftreten, sprechen mit einer unglaublichen Härte über sich und diese Symptome. Man hat einfach zu funktionieren, lautet der maschinelle Anspruch. Es ist also die Selbstbeziehung, die jeder von uns in den Blick nehmen sollte.
Was steckt dahinter?
- Kara Pientka: Streng und abwertend mit sich zu sein, ist Folge einer Stresshaltung, die sich einstellt, wenn der Druck zunimmt. Das macht der Kopf automatisch. Es ist in autoritären Zeiten auch Kultur gewesen, die „man richtig fand“. „Nur die Harten kommen in den Garten.“ Aber in der heutigen Zeit gilt das nicht mehr. Nicht-autoritäre Führung braucht den guten Kontakt des Menschen mit sich selbst. Nur durch diesen Kontakt kann ich mich und mein Team gesund führen. Selbstfürsorge heißt, dass ich meine Haltung überprüfe und mich selbst wieder regulieren kann.
Aufbrausen ist also ein Teil meiner Natur und okay?
- Kara Pientka: Ja, dass wir uns triggern lassen im Alltagstrubel ist nicht zu vermeiden. Wir kochen dann hoch und kommen in einen überhitzten Zustand, den ich Drama-Self nenne, weil unsere Wahrnehmung dann verzerrt ist. Selbstfürsorglich ist es, wenn ich es schaffe, mich selbst aus dem Stressmuster rauszuführen. Gesund ist, wenn ich mich selbst beobachte und erkenne, dass etwas passiert, was mit der Realität und mir eigentlich gar nichts zu tun hat. Dass ich gerade streng mit mir oder mit meinen Mitarbeitenden bin oder dass ich Dramen sehe, die es gar nicht gibt.
Dann gilt es, sich da rauszunehmen?
- Kara Pientka: Ja, Selbstführung ist jedem Menschen charakterunabhängig möglich. Das können Introvertierte, Extrovertierte, das können sogar schon kleine Kinder. Im Grundschulalter lernen wir, unseren Zustand zu managen. Manchmal vergessen wir nur, dass wir immer am Hebel unseres Zustands sitzen. Und man kann es (wieder) lernen.
Kann man diese Selbstführung am besten über Selbstreflexion?
- Kara Pientka: Selbstreflexion ist immer ein wertvoller Schritt, manchmal kann man sich allerdings auch mit übertriebenen Ansprüchen stressen. Wenn übertriebene Selbstreflexion mehr Stress auslöst, als es Ruhe ins System bringt. Dann lieber externe Hilfe suchen. Jede und jeder sollte schauen, ob Selbstreflexion hilft, wirklich besser mit sich und den Mitarbeitenden umzugehen – oder ob sie stört. Ansonsten ist es professionell, sich Hilfe zu suchen.
Gibt es mehr Supermen oder mehr Wonderwomen?
- Kara Pientka: Das ist tatsächlich bei Männern und Frauen gleich. Es macht sich nur manchmal an unterschiedlichen Facetten des Lebens bemerkbar. Etwa an den Geschlechterrollen-Stereotypen. Frauen betonen in der Regel stärker die Ansprüche in ihren Familientätigkeiten, Männer die Leistungsaspekte als Ernährer der Familie. Aber auch hier nehme ich wahr, dass sich das verändert.
Kommen mehr ältere Führungskräfte in Ihre Coachingpraxis als jüngere?
- Kara Pientka: Das kann man so nicht sagen. Ich habe Kontakt zu verschiedenen Generationen und alle haben Herausforderungen mit dem Thema Gesundheit. Natürlich steigt die Wahrscheinlichkeit, wenn ich neben einem anspruchsvollen Job noch eine Familie (Kinder oder pflegebedürftige Eltern) habe oder älter werde. Aber tatsächlich können sich auch junge Menschen unglaublich stressen, gerade weil soziale Medien verstärkt die Perfektionsansprüche nach oben treiben.
Alle Führungskräfte sollen authentisch sein. Was halten Sie davon?
- Kara Pientka: Grundsätzlich ist gegen Authentizität nichts zu sagen. Aber gerade im beruflichen Kontext greift das oft zu kurz. Ich spreche lieber von Selbsttreue. Wenn ich in einer Stresshaltung jemanden anherrsche und Druck mache, dann bin ich subjektiv authentisch, weil ich das ja in dem Moment denke. Aber es entspricht nicht meiner Aufgabe, weil ich ja Porzellan zerschlage, das ich nur sehr mühselig, wenn überhaupt, wieder kitten kann. Da ist Selbsttreue der bessere Weg.
Wo ist der Unterschied?
- Kara Pientka: Bei Selbsttreue mache ich mir bewusst, welche Art der Führungskraft ich sein möchte. Und unterlege das mit Werten, die mit mir persönlich im Einklang stehen.
Sie haben den Begriff Gardening in Abgrenzung zum Controlling etabliert. Was steckt dahinter?
- Kara Pientka: Controlling ist die Welt der autoritären Führung: Ich gebe Aufgaben rein, baue möglichst viel Druck auf und kontrolliere dann, ob die Aufgaben auch richtig gemacht sind. Das passte in einer linearen Welt mit einfachen Aufgaben und sehr vielen Menschen, die man unter Druck setzen konnte, und hat uns zu viel Wohlstand gebracht.
Diese Welt gibt es aber nicht mehr.
- Kara Pientka: Wir haben komplexere Aufgaben und uns zum Glück kulturell gewandelt. Gardening bedeutet, wie ein Gärtner auf seine Mitarbeitenden zu schauen: Was braucht mein Team, um zum produktiven Blühen zu kommen? Dazu brauche ich aber einen gewissen Blick. Manchmal muss ich düngen. Vielleicht muss ich auch mal ein bisschen Unkraut zupfen, damit das Gesamtsystem besser funktioniert. <<
Selbstfürsorge ist kein Schaumbad oder Glückstee – sie ist ein KPI und entscheidet über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit.
Kara Pientka, Sozialwissenschaftlerin und Gründerin des Inhesa Instituts für Health & Selfcare
Faktenbox: Health-Coaching für Führungskräfte
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Trendthema: Gesundheit war vor 25 Jahren in der Führung kaum Thema – heute ist sie ein entscheidender Erfolgsfaktor.
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Burnout-Risiko: Viele Manager ignorieren ihre Grenzen, psychosomatische Beschwerden nehmen zu.
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Selfcare als KPI: Selbstfürsorge spart Unternehmen nach Studien bis zu 250.000 € pro Jahr.
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Mentalität: Topsportler haben Coaches – Führungskräfte brauchen ebenfalls Unterstützung.
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Neue Führung: Weg vom „Controlling“, hin zum „Gardening“ – Teams gesund zum Blühen bringen.
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