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Studien & Forschung > Dramatischer Jobverlust in der Industrie

Industriekrise in Deutschland: 70.000 Jobs schon weg

Dramatischer Stellenabbau in der deutschen Industrie setzt sich fort - Experten warnen vor weiteren Verlusten und fordern politisches Handeln.

Menschenmassen vor Industriegebäuden
Besonders stark gesunken ist die Zahl der Jobs in der Textil- und Bekleidungsindustrie – um gut vier Prozent –, sowie bei Produzenten von Gummi- und Kunststoffwaren und der Automobilindustrie (um jeweils 2,4 Prozent). In absoluten Zahlen verzeichneten die Elektroindustrie (minus 15.700 Stellen) und die Autoindustrie (minus 18.800 Stellen) den größten Stellenabbau. (Foto: KI-generiert Markt und Mittelstand)

Dramatischer Umsatzeinbruch trifft Industriebranchen

Von Andreas Kempf

In der deutschen Industrie sind im vergangenen Jahr 70.000 Arbeitsplätze verloren gegangen – Tendenz schnell steigend. In diesem Jahr könnten weitere 100.000 Stellen wegfallen. Das ist die dramatische Folge einer Rezession, in der die Unternehmen im Schnitt 3,8 Prozent weniger umgesetzt haben als im Vorjahr. Somit wurden 83,6 Milliarden Euro weniger erwirtschaftet als 2023. Das geht aus einer Analyse der Beratungsgesellschaft EY in Stuttgart hervor. Besonders schwach entwickelte sich demnach die Elektrotechnikbranche, deren Umsatz um 7,5 Prozent einbrach. Die Metallbetriebe verzeichnete einen Rückgang um 5,1 Prozent, die Autoindustrie um 5,0 Prozent.

Prognose: Weitere 100.000 Stellen in Gefahr

Der Stellenabbau in der deutschen Industrie wird immer größer: Lag die Zahl der Beschäftigten im ersten Halbjahr nur 0,4 Prozent unter Vorjahr, verstärkte sich das Minus Ende 2024 auf 1,2 Prozent. Seit dem Vor-Pandemie-Jahr 2019 schrumpfte die Zahl der Beschäftigten unterm Strich um 141.400. Besonders stark gesunken ist die Zahl der Jobs in der Textil- und Bekleidungsindustrie – um gut vier Prozent –, sowie bei Produzenten von Gummi- und Kunststoffwaren und der Automobilindustrie (um jeweils 2,4 Prozent). In absoluten Zahlen verzeichneten die Elektroindustrie (minus 15.700 Stellen) und die Autoindustrie (minus 18.800 Stellen) den größten Stellenabbau.

„Die Beschäftigungsentwicklung reagiert mit Verzögerung auf die schwache Umsatzentwicklung, denn die Unternehmen versuchen, möglichst lang ohne einen Stellenkürzungen auszukommen. Aber inzwischen hat sich die Krise der deutschen Industrie in einem Maß verfestigt, dass klar wird: Ohne eine deutliche Reduzierung geht es nicht", erklärt Jan Brorhilker, Managing Partner bei EY. Er rechnet mit einem weiteren Abbau von Industriearbeitsplätzen Die Kapazitäten müssten an das schwache Nachfrageniveau angepasst werden. Und diese Entwicklung habe gerade erst begonnen. „Die Stellenstreichungen, die von den großen Industrieunternehmen angekündigt wurden, werden in der Statistik erst im Laufe dieses Jahres sichtbar. Bis zum Jahresende dürften daher weitere 100.000 Industriearbeitsplätze verloren gehen", so Brorhilker.

Automobilindustrie als Schlüsselsektor unter Druck

Auch die Verlagerung von Produktion wird sich nach Ansicht des EY-Experten auf die Beschäftigungslage auswirken. „Angesichts der massiven Probleme, mit denen sich Industrieunternehmen am Standort Deutschland konfrontiert sehen, erfolgen gerade Neuinvestitionen zunehmend im Ausland. Hinzu kommt das steigende Risiko von Handelskriegen, worauf große Industrieunternehmen mit der Ansiedlung von Produktion im Ausland reagieren." Brorhilker rechnet nicht mit einer Trendwende im laufenden Jahr: „Von einem Aufschwung ist weit und breit nichts zu sehen. Die geopolitischen Risiken sind weiter sehr hoch, die Konjunktur kommt nicht in Gang. Für die Industrieunternehmen heißt es jetzt: Kosten senken, Flexibilität erhöhen, Wettbewerbsfähigkeit steigern."

Der EY-Experte mahnt schnelle Maßnahmen der Politik an. Gerade die Binnennachfrage müsse gestärkt werden. „Seit Jahren ist die Nachfrage aus dem Inland schwach – was uns immer geholfen hat, war der Export." Auch im vergangenen Jahr schrumpften die Ausfuhren der Industrieunternehmen „nur" um 2,8 Prozent, während die Inlandsnachfrage um 4,8 Prozent zurückging. Noch am besten entwickelten sich die Geschäfte mit Abnehmern außerhalb der Eurozone, die um 2,6 Prozent sanken. Die schwache Inlandsnachfrage sei auf die anhaltende Investitionsschwäche, die unzureichend ausgelasteten Produktionskapazitäten, die gestiegenen Finanzierungskosten und die politischen Unsicherheiten zurückzuführen. Auch die Konsumenten würden sich in diesen unsicheren Zeiten merklich zurückhalten.

Ursachen der Krise: Schwache Nachfrage und globale Risiken

Eine entscheidende Bedeutung komme aktuell der Automobilindustrie mit ihren 760.000 Beschäftigten zu, meint Brorhilker. „Zuletzt hat sich der Umsatzrückgang noch beschleunigt – im vierten Quartal lag der Umsatz 6,5 Prozent unter dem Vorjahresniveau." Im Gesamtjahr 2024 brach der Umsatz um 28 Milliarden Euro ein. Das könne die Branche auf Dauer nicht aushalten. „Wir sehen zwar bei fast allen Branchenunternehmen erhebliche Umbaumaßnahmen, um wettbewerbsfähiger zu werden. Ob dieser Transformationsprozess aber gelingt, ist noch nicht ausgemacht." Angesichts der schwächelnden Weltkonjunktur, drohender neuer Handelskriege und der geringen Nachfrage in China seien die Probleme der Branche in den vergangenen Monaten eher größer als kleiner geworden. Doch der Experte sieht auch einen Hoffnungsschimmer: „Schaffen es die Hersteller zurück auf den Wachstumspfad, kann dies auch positive Impulse für die gesamte deutsche Industrie bringen."

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