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Führung & HR > Kommentar zum Karenztag-Comeback

Kein Geld wenn krank? Deutschland streitet übers Blaumachen

Oliver Bäte, Chef der Allianz, hat eine spannende Diskussion losgetreten: Sollten Beschäftigte, die sich arbeitsunfähig melden, am ersten Tag keinen Lohn bekommen?

Karenztag-Comeback: Lösung oder Luftnummer im Kampf gegen Rekord-Krankenstand? (Foto: picture alliance)

von Thorsten Giersch

Oliver Bäte hat eine spannende Diskussion losgetreten, die im Kern von der heutigen Arbeitsmoral der Deutschen handelt. Im Wortlaut sagte der Allianz-Chef: "Ich schlage vor, den Karenztag wieder einzuführen. Damit würden die Arbeitnehmer die Kosten für den ersten Krankheitstag selbst tragen."

Bäte verwies auf Länder wie Spanien, Griechenland oder Schweden, wo diese Regelung noch gilt. Verschwiegen hat er, dass diese Länder damit die Ausnahme bilden. Auch in Deutschland wurde sie 1970 abgeschafft und lange auch nicht vermisst.

Reaktionen und Hintergründe: Ein polarisierender Vorschlag

Die Reaktionen waren erwartbar: Die CDU kann sich damit durchaus anfreunden, SPD und Gewerkschaften laufen Sturm. Unterstellt Bäte, genau wie alle anderen, die die Idee prüfen wollen, dass sich viele Menschen als krank ausgeben, obwohl sie arbeiten könnten - umgangssprachlich Blaumachen gemeint? Natürlich! Und wer ein bisschen Realität zulässt, weiß auch, dass solcherlei passiert. Der erste Impuls ist bei vielen zudem: Wer wirklich krank ist, kann nach einem Tag nicht wieder gesund zur Arbeit kommen.

Bätes Vorschlag kommt nicht aus dem nichts: Im Jahr 2023 haben die Arbeitgeber die Rekordsumme von fast 77 Milliarden Euro an erkrankte Mitarbeiter gezahlt (wir berichteten über immer höhere Kosten durch Krankmeldungen). Die Deutschen haben sich häufiger arbeitsunfähig gemeldet als je zuvor. Rein rechnerisch wäre Deutschland 2023 mit einem Krankenstand in der historisch betrachtet üblichen Höhe nicht in die Rezession gerutscht.

Vorsicht bei der Interpretation: Statistische Effekte und Hintergründe

Diese Zahlen – so oft man sie im Moment auch hört - sind mit hoher Vorsicht zu genießen. Der Rückschluss, dass die Deutschen immer häufiger Blaumachen nicht zuletzt aufgrund der Möglichkeit, sich per Telefon beim Arzt einen Gelben Schein zu besorgen, ist voreilig und unpräzise:

Die steigenden Zahlen an Krankmeldungen ist zum Großteil auf einen rein statistischen Effekt zurückzuführen: Gemessen wird das auf Grundlage der Daten von Krankenkassen, doch die haben jahrelang nur einen Teil der Krankmeldungen angezeigt bekommen. Erst seit Anfang 2023 melden die Praxen digital jede Krankmeldung an die TK, Barmer, DAK und Co. So verschwindet die Dunkelziffer und plötzlich sind die Deutschen häufiger arbeitsunfähig.

Tatsächlich melden sich Beschäftigte in Zeiten voller Auftragsbücher tendenziell seltener krank als in Krisenzeiten. Das erstaunt all jene, die glauben, dass gerade dann die Leute mit allen Mitteln um ihren Job kämpfen. Im Gegenteil handeln allem Anschein nach mehr Menschen im Sinne ihrer Arbeitgeber: Ist viel zu tun, geht man auch angeschlagen zur Arbeit.

Differenzierung notwendig: Krank vs. Arbeitsunfähig

Oft werden die Worte krank und arbeitsunfähig synonym verwendet: In vielen Berufen beziehungsweise bei vielen Tätigkeiten mag das zwar dasselbe sein: Ärzte, Piloten, aber auch Mitarbeiter in Callcentern, an der Kasse im Supermarkt oder in körperlich anstrengenden Jobs können schlecht sagen: Ich fühle mich nicht bei 100 Prozent, ich kann was leisten, aber heute nur die Hälfte. Aber es gibt auf der anderen Seite viele Tätigkeiten, wo bei einer gewissen Kränklichkeit vielleicht nicht acht Stunden Volldampf möglich sind, aber vielleicht vier Stunden im Homeoffice – und auch das bringt dem Arbeitgeber etwas. Man ist nicht ganz gesund, aber bei weitem nicht arbeitsunfähig für seine Tätigkeit.

Kritische Betrachtung: Schwachstellen und Alternativen

Nun hat Bätes Vorschlag aber einige weitere Pferdefüße: Es ist kaum vorstellbar, dass sich Gewerkschaften da in Tarifverhandlungen unterbuttern lassen – das ganze Thema also real wirklich kommen kann. Dafür nimmt es Zeit und Energie, um die wirklich wichtigen und machbaren Probleme zum Beispiel in der Gesundheitsbranche zu diskutieren. Das Argument hört man dieser Tage auch oft von Fachleuten aus dem Bereich.

Zweitens werden viele Menschen, wenn sie bei Krankmeldung auf fünf Prozent des Monatslohns verzichten müssen, doch zur Arbeit kommen. Sie machen es für sich schlimmer und stecken dann andere an – was zu einer höheren Zahl an Kranktagen für das Unternehmen führt.

Es gibt eine bessere Methode, um Blaumacher zur Räson zu bringen:

Die Begrenzung der Lohnfortzahlung auf 80 Prozent des Lohnes. Ohnehin ist die deutsche Regelung im internationalen Vergleich äußerst großzügig. Bisher fallen Arbeitsunfähige erst ab der siebten Woche auf 80 Prozent. Das sollte man zumindest die ersten zwei Tage oder die erste Woche anwenden.

1996 wurde das schonmal gemacht - übrigens auch in einer wirtschaftlich schwierigen Lage. Aber zwei Jahre später wieder kassiert. Diese Debatte inklusive einer für optimale Prävention und der generellen Sanierung des Gesundheitssystems – die würde es sich lohnen zu führen.

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