KI in Deutschland: Warum jetzt das Gaspedal durchgedrückt werden muss
Deutschland hat KI-Potenzial – doch Bürokratie und Regulierung bremsen. Experten fordern: weniger zögern, mehr Geschwindigkeit.

Von Midia Nuri
Deutschland ist bei Künstlicher Intelligenz und Quantentechnologie sehr gut, nutzt seine Stärke aber nicht ausreichend. „Wir brauchen Speed“, fordert Christine Rupp, Geschäftsführerin von IBM Deutschland auf dem Ludwig-Erhard-Gipfel am Tegernsee. Ein wichtiger Punkt, an dem es hakt, ist aus Sicht aller, die das Thema auf der Bühne diskutieren, die Regulierung.
„Diese muss innovationsfördernd, fair und einfach verständlich sein“, fordert Angelika Gifford, Senior Advisor to the COO bei Meta. „Wir müssen besonders dafür sorgen, dass Unternehmen KI-Regulierung auch verstehen können“, pflichtet Svenja Hahn bei, Abgeordnete im Europäischen Parlament und Präsidentin der Allianz der Liberalen Demokraten für Europa. Oft höre sie: ‚Ich mache lieber nichts mit KI, weil ich nicht genau weiß, wie‘“, berichtet Hahn. Das führe dazu, dass KI-Projekte außerhalb Deutschlands liefen oder eben nicht in Deutschland ausgerollt würden. „Ich habe dem AI Act nicht zugestimmt“, sagt Hahn – und hebt hervor, dass das nicht unbedingt üblich sei. Für sie enthält die EU-Gesetzgebung zur KI zu viel Regulierung. Auch werde Übergriffigkeit zu wenig ein Riegel vorgeschoben.
Philipp Justus, Vice President Central Europe Google, beobachtet viel Interesse im Mittelstand. Es bekomme aber einen Dämpfer. „Die Unsicherheit ist groß“, beobachtet auch er. „Die KI-Regulierung wird oft mit der DSGVO-Einführung verglichen“ – der Datenschutzgrundverordnung in der EU. Gut gemeint, aber erst einmal hätten über Jahre hinweg Beratungsfirmen Unternehmen fitmachen müssen. Das sei zu viel. „Schätzungen zufolge haben wir im Mittelstand ein Potenzial von 330 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung, die wir mit KI heben könnten“, sagt Justus. „Das ist ein gigantisches Potenzial und wir sollten alles dafür tun, dass es in jedem Unternehmen eingesetzt werden kann.“
Gerade bei KI-Anwendungen sei so viel Potenzial da – „für Innovationskraft, im Bereich Gesundheit und Pharma, Auto, alle Bereiche“, ist IBM-Geschäftsführerin Rupp überzeugt. Deutschland könne es sich gar nicht leisten, einfach zuzuschauen statt Dinge zu ermöglichen. „Es braucht Speed“, hält sie abermals fest, „die Welt wartet nicht.“ Zwei Drittel der für eine IBM-Studie befragten CEO arbeiten ihr zufolge mit KI, berichtet sie. „Da werden Rollen eingestellt, die es vor zwei Jahren noch gar nicht gab“, sagt sie.
„KI bietet heute nicht mehr wegzudenkende Möglichkeiten, von denen wir vor drei Jahren nicht zu träumen gewagt hätten“, berichtet Heidrun Irschik-Hadjieff, Vorsitzende der Geschäftsführung von Sanofi Deutschland. „Wir haben das Potenzial entdeckt und nun müssen wir dafür sorgen, dass Unternehmen es durch verbesserte Regulierung auf die Straße bringen“, fordert sie. Pharmaforschung arbeite viel mit digitalen Zwillingen. Vieles gehe damit schneller und besser. Aber: „Uns fehlt der Zugang zu den Gesundheitsdaten“, stellt Irschik-Hadjieff fest. Dabei stelle Deutschland den größten Gesundheitsdatenraum weltweit. „Wir könnten Daten von 80 Millionen Versicherten auf Knopfdruck bekommen“, sagt sie. Allerdings ist das derzeit gesetzlich nicht möglich.
„Wir haben in der Pandemie gezeigt, dass wir schnell einen Impfstoff entwickeln können“, sagt die Sanofi-Chefin. „Unsere Ambition sind 100 Tage.“ Das sei nur mit KI und auch Quanten zu schaffen. Andere Medikamente benötigen deutlich mehr Zeit. „Die Arzneimittelentwicklung dauert derzeit rund zwölf Jahre“, sagt Irschik-Hadjieff. „Mit KI können wir die Entwicklungsdauer auf neun und mittelfristig sechs Jahre halbieren.“ Wichtig: Die Daten müssten interoperabel bleiben und Datenbanken auch für unterschiedliche Krankheiten einbinden. Der Datenschutz müsse harmonisiert werden. „Wir brauchen auch schnellere Genehmigungen“, sagt die Sanofi-Geschäftsführerin, um wie in Spanien Studien nicht binnen Monaten, sondern binnen Wochen abzuschließen.
Die Bereitschaft KI einzusetzen sei hierzulande da, ist Google-Manager Justus überzeugt. „Wir beobachten bei Google in Deutschland eine große Begeisterung“, sagt er. Neue Tools würden ausprobiert, Nutzer tauschten sich aus. „B2C-Nutzer sind wir alle“, bestätigt IBM-Managerin Rupp und berichtet vom Sohn, der KI bei den Hausaufgaben nutzt und der Tochter, die damit ihre Norwegen-Reise plant. „Diese Begeisterung müssen wir auch in Unternehmen entfesseln“, wünscht sich Justus. „Die Skills lassen sich im Unternehmen oder externen Trainings adressieren.“
Und man solle Deutschland nicht kleinreden, findet Justus. „Wir haben 1500 Entwickler in München“, sagt er. „Es gibt hervorragende Hochschulen und einen guten Talentpool.“ Was fehle, sei die Geschwindigkeit bei der Umsetzung in marktfähige Produkte und Finanzierung. Von einem besonderen Cluster spricht Irschik-Hadjieff. „Seit ich im Silicon Valley gewesen bin, träume ich davon, dass wir vielleicht – wir haben viele schöne Täler in Deutschland – ein Tegern Valley bekommen und die guten Köpfe hierher bringen und all das an Speed gewinnt.“ Der Tegernsee ist Veranstaltungsort des Ludwig-Erhard-Gipfels.
„Wir müssen besser werden, um die Innovationskraft hier zu halten“, pflichtet Gifford bei. Meta setze dafür auf Open Source. „Die USA und China machen die Large Language Models“, sagt sie. „Da gilt für uns: The train has left the station“, der Zug sei abgefahren. Aber: Um Innovationen Made in Germany zu machen, müssten wir Lösungen auf die bestehenden US-Plattformen setzen, die Anwendungsfälle stärken „und auch die Daten in Deutschland und Europa halten“, fordert sie. „Diesen Mut haben wir ein Stück weit verloren und müssen ihn wiederfinden.“ Open Source sei nicht nur besser skalierbar, stellt sie fest. „Es ist auch kostengünstiger, das ist gerade für Mittelständler wichtig.“
Einfach machen, findet IBM-Geschäftsführerin Rupp und erzählt davon, wie ihr Unternehmen sich bei der KI-Nutzung zum Client Zero, also Kunde Null, gemacht hat, nachdem CEO Arvind Krishner die Devise ausgegeben hat, die KI selbst für alles zu verwenden, was möglich ist. „Wir haben also quasi das Gaspedal ganz durchgedrückt“, erinnert sich Rupp. Als einer der sieben übergreifenden Prozesse nennt sie den Personalbereich. „Hier interagieren 96 Prozent mittlerweile ausschließlich mit KI“, sagt sie. Das brachte 25 Millionen Dollar Einsparung. „Als Geschäftsführerin sage ich Ihnen: Es war eine interessante Reise“, sagt sie andeutungsvoll. „Es funktioniert nicht mit dem ersten Schuss, aber wir müssen starten.“
In einem Jahr sollte jedes Unternehmen eine Anwendung auf einem Niveau implementiert haben, das Spaß macht, fordert Justus. „Das kann mehr Umsatz oder eine gute Kostenersparnis oder Produktivitätssteigerung sein“, sagt er.
Gifford empfiehlt Deutschland mehr Storytelling. Darin seien die USA besser als Deutschland. „Seeing is believing“, sagt sie – glauben, was man sieht. „Das braucht es auch hier, um die Menschen mitzunehmen.“ Und die Regierung müsse entbürokratisieren, aber auch mit gutem Beispiel vorangehen. So solle das neue Digitalministerium ruhig mal Anwendungsfälle aus dem eigenen Haus zeigen, damit alle sehen können, was gehe „und sich sagen: ‚Das kann ich auch.‘“
Europaparlamentarierin Hahn will nächstes Jahr „vielleicht wieder aus Straßburg“ anreisen und dann aber auf entschlackte Regulierung verweisen können. „Und vielleicht auch schon einen digitalen Omnibus“, sagt sie, also eine einheitliche, schlanke EU-Regulierung, die alle an Bord hat: Unternehmen, Forschungseinrichtungen, Ministerien.

KI, Quanten und Robotik als Turbotreiber der Transformation
- Angelika Gifford, Senior Advisor to the COO bei Meta & Aufsichtsrätin
- Svenja Hahn, MdEP, Präsidentin der Allianz der Liberalen Demokraten für Europa (ALDE)
- Heidrun Irschik-Hadjieff, Vorsitzende der Geschäftsführung Sanofi Deutschland
- Philipp Justus, Vice President Central Europe Google
- Christine Rupp, General Managerin IBM Consulting DACH und Geschäftsführerin der IBM Deutschland GmbH
- Moderation: Frauke Holzmeier, Ressortleiterin Wirtschaft bei RTL NEWS
10.45 Uhr: Laut Gifford sind die Deutschen „nicht gut im Storytelling“. Es gebe ganz tolle KI-Anwendungen aus Deutschland, dies müsse man nach außen tragen.
10.32 Uhr: Weiteres Problem: „Deutschland ist nicht gut darin zu skalieren und daraus Geld zu machen“, findet Rupp. Dabei gibt es reichlich Potenzial. „Wir in Deutschland sitzen auf dem wahrscheinlich größten industriellen Datenschatz.“ Dies sei die Grundlage, um Geld zu machen. Es gibt zwei Quanten-Rechenzentren: eines in den USA und eines in Deutschland in der Nähe von Stuttgart.
10.23 Uhr: „Mindset alleine tut es nicht“, findet Rupp. Die technologischen Rahmenbedingungen müssen stimmen. Hahn ergänzt: „Jeder muss sich selbst hinterfragen, wie er KI nutzt.“ Auf der einen Seite sage man, man wolle KI nutzen, auf der anderen Seite möchte aber keiner seine Daten hergeben. „Doch wie soll man an die nötigen Daten herankommen?“ Eine demokratisch trainierte KI ist laut Hahn wichtig für Mindset-Wechsel.
10.01 Uhr: Das Technology-Panel „KI, Quanten, Robotics“ beginnt. Auf der Bühne sitzen Angelika Gifford, Senior Advisor to the COO bei Meta & Aufsichtsrätin, Svenja Hahn, Mitglied des Europaparlaments und Präsidentin der Allianz der Liberalen Demokraten in Europa (ALDE), Heidrun Irschik-Hadjieff, Vorsitzende der Geschäftsführung Sanofi Deutschland, Philipp Justus, Vice President Central Europe Google, und Christine Rupp, General Managerin IBM Consulting DACH und Geschäftsführerin der IBM Deutschland.