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Führung & HR > Kommentar

Meinungsvielfalt im Betrieb: Warum Führungskräfte auch mal Geschwätz aushalten müssen

| Thorsten Giersch

Der Streit um Meinungsvielfalt betrifft auch Führungskräfte. Es gibt Vorteile, den Mitarbeitern auch zuzuhören und Diskussion zuzulassen.

Mitarbeiter malt ein Schild um (Pfeil in die andere Richtung)
Meinungsfreiheit im Unternehmen: Wer zuhört, führt besser – und verhindert, dass Diskussionen zum Risiko werden. (foto:shutterstock)

Kommentar von Thorsten Giersch für Markt und Mittelstand

Zugegeben, ich habe als Kind nicht verstanden, was Kienzle und Hauser sich inhaltlich an den Kopf geworfen haben. Aber ich habe es geliebt, neben meinen Eltern zu sitzen und diesem wilden Hin und Her im Fernsehen zuzuschauen. Leider war ich zu jung, um dem Sprachwitz von Friedrich Küppersbusch bei „Zack“ zu begreifen, aber bis heute schaue ich mir die Anmoderationen des „linken Fritz“ immer wieder gern an. Es war eine Zeit, in der im öffentliche-rechtlichen Rundfunk eine enorme Meinungsbreite herrschte vom „schwarzen BR“ bis zum „roten WDR“ und allem Möglichen ­dazwischen.

Wie eng es dagegen heute sein muss, zeigt der Fall Julia Ruhs und der Sendung „Klar“: Zahlreiche hochrangige Leute haben die vermeintlich heiklen Filme vorher gesehen und abgenommen – aber gehen musste am Ende die Moderatorin. Abgesehen davon, dass Wegducken immer noch funktioniert, wenn es um Werte geht, sagt der Fall einiges über die bundesdeutsche Gesellschaft aus, wie sie heute ist. Können wir noch sachlich argumentieren, ohne alles bis ins Extreme zu emotionalisieren und persönlich zu nehmen? Nun mag man einwenden: Wir sind immer noch im Paradies im Vergleich zu den Vereinigten Staaten, wo Präsident Donald Trump mit seinen Schergen die Meinungsfreiheit mit der Kettensäge rasiert. Wollen wir das bald auch in Deutschland so haben? Die Antwort kann nur lauten: Nein. Aber es geht gerade gefährlich in die Richtung. 

Das alles macht am Firmentor und dem Büroeingang nicht halt. Ob Führungskräfte in Betrieben Parteipolitik machen sollten, muss jedes Unternehmen für sich diskutieren und festlegen. Klar sollte allerdings grundsätzlich sein, dass es dabei nicht um verfassungsfeindliche Parteien gehen darf. 

Aber bei all dem, was diskutiert werden kann, darf es eben keine Verbote geben – weder ausgesprochene noch unausgesprochene. Anders als in der amtierenden US-Regierung oder zum Teil auch in öffentlich-rechtlichen Sendern gehören Vielfalt und Mut zum Austausch dazu. Da gilt es für Führungskräfte, bisweilen auch Geschwätz auszuhalten. In der Betriebsversammlung mögen gewisse politische Themen nichts zu suchen haben. Aber im Küchen-Talk-Alltag ist das Mittelmanagement gefragt.  

Meinungsvielfalt ist jedoch viel mehr als ein Gespräch am Küchentresen über Politik. Da sprechen wir teilweise von klaren Vorgaben der Geschäftsführung, die auch Niederschlag finden in Arbeitsverträgen und Betriebsvereinbarungen. Da sprechen wir von Vorgaben der Gesetzgeber, die immer häufiger auch berichtspflichtig sind. Hier gilt, klar „Stopp!“ zu rufen, wenn es um Diskriminierung geht – was viel seltener passiert, als nötig wäre. Dann ist da das Verhalten aller Vorgesetzten und Kollegen im Alltag. Da geht es nicht immer nur um Worte: die kleine Antwort, ein Stirnrunzeln, ein böser Blick, ein schnippischer Kommentar. Und allzu oft denkt besonders das Mittelmanagement über die Wirkung so kleiner Reaktionen zu wenig nach. Es ist operativ wichtig, denn die oft beschworene Firmenkultur drückt sich in Gewohnheiten aus. 

Viele Familienunternehmer verweisen auf ihren Wertekanon, bisweilen auch „Verfassung“ genannt. Wie das Grundgesetz soll der Kanon diese Meinungsvielfalt absichern. Doch das ist schwieriger als viele denken und geht entsprechend häufig schief. Wer für sein Unternehmen Werte aufschreibt, ordnet sie zugleich auch immer. Das bedeutet, dass jene Werte, die nicht im Kanon stehen, nach unten priorisiert werden, was Rückkopplungen auslöst. Ein Beispiel ist der „Kernwert“ Fleiß. Was bedeutet das für die, die Teilzeit arbeiten und um 14 Uhr zur Kindertagesstätte eilen? Sehen Führungskräfte und Kollegen, wenn sie von 19 bis 21 Uhr daheim am Rechner sitzen? Wie offen darf man intern über all das sprechen? 

Arbeitgeber investieren immer mehr Geld in Maßnahmen zur Mitarbeiterbindung, völlig zu Recht. Kostenlos ist hingegen, für den wohl wichtigsten aller Gründe zu sorgen, damit sich Menschen tagsüber bei der Arbeit wohlfühlen: gehört zu werden.

 

Der Beitrag erschien in der November-Ausgabe von Markt und Mittelstand 2025

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