Smudo von Die Fantastischen Vier: „Der Wunsch nach Sicherheit ist illusorisch“
Smudo spricht über den Werdegang der Band, technologischen Wandel in der Musikindustrie und die Bedeutung von Zusammenhalt für den Erfolg.

Smudo von Die Fantastischen Vier über Zusammenhalt und technologische Disruption.
Das Gespräch führte Thorsten Giersch.
Wenn man sich den Gründungsmythos der Fantastischen Vier anschaut, spielte Technologie von Beginn an eine Rolle, oder?
Durchaus. Wir haben schon 1986 Musik gemacht, ursprünglich englischsprachige Rapmusik. Dafür mussten wir nach Vorlage des CT-Computer-Magazins eine Rhythmusmaschine bauen, die wir selbst programmiert haben. Wir haben das Teil Bronze Box genannt und damit unsere Beats gemacht.
Stimmt die Legende, dass du mit Thomas D. nach dem Abi in die USA gereist bist – geplant als Aussteigertrip – und dass dann plötzlich der Einstieg in die Professionalität war?
Thomas und ich sind 1988 für dreieinhalb Monate durch die USA gereist. Erst sind wir getrampt, dann haben wir uns in Colorado ein Auto gekauft und sind damit die Westküste hoch und runter. Dort erkannten wir, dass wir keine englischsprachige Hiphopmusik machen sollten. Wir haben damit kulturell nichts zu tun. Wenn wir wirklich etwas zu sagen haben, dann in der eigenen Sprache. Wir haben unsere Musik seitdem nicht mehr Rap, sondern Sprechgesang genannt und kamen zum deutschen Namen „Die Fantastischen Vier“. Und das war eine richtige Business-Entscheidung.
Wie kam der deutsche Sprechgesang Ende der 80er-Jahre am Markt an?
Ich war 19 und habe nichts vom Business verstanden. Wir wollten nur Musik machen. Wir merkten schnell, wie spannend unsere Business-Entscheidung war, weil in der Musikwelt zu dieser Zeit ein Niedergang der deutschsprachigen Musik angesagt war. Die neue deutsche Welle ging gerade zu Ende. Von einem Monat zum anderen wurden weniger NDW-Produkte gekauft, ganze Labels sind kaputtgegangen. Wir brauchten lange, um ein Plattenlabel zu finden.
Was gab euch Hoffnung?
Wir haben jemanden kennengelernt, der bis jetzt unser Manager ist: Andreas Läsker. Er betrieb damals eher glücklos einen Plattenladen, da waren wir zu Besuch. Er hat unsere Tapes angehört und sich seitdem um uns gekümmert. Er brauchte Geld und versorgte uns entsprechend hoch motiviert immer wieder mit Ideen und Vorschlägen, was wir machen können. Eine weitere wichtige Business-Entscheidung von uns und von ihm. Als ehemaliger DJ hat er uns viel bei seinen ehemaligen Arbeitgebern spielen lassen und so hatten wir die Möglichkeit der Verbreitung.
Seit 35 Jahren seid ihr eine sehr gut funktionierende Einheit als Fantastische Vier. Wie habt ihr das geschafft?
Da kommen viele Punkte zusammen. Wir trafen uns mit 18 Jahren äußerst motiviert. Wir waren Pioniere. Rapmusik als Deutscher war schon einmal selten, dann auch noch in deutscher Sprache! Wir haben uns da gemeinsam durchgebissen, wurden auf der Bühne mal mit Tomaten, mal mit Blumen beworfen. Das stärkt den Zusammenhalt.
Tomaten fliegen vermutlich nicht mehr. Die Branche hat sich sehr gewandelt.
In 35 Jahren ist so viel passiert: Der Tonträger ist plötzlich kein Produkt mehr, was man wirtschaftlich verkaufen kann, sondern ein Marketing-Tool. Musik zu schaffen, hat sich komplett gewandelt. Das alles haben wir gemeinsam erlebt. Jetzt sind wir alle Mitte 50. Wir haben Kinder bekommen, teilweise schon Eltern beerdigt. Wie managt man das mit der Familie und das mit dem Job? Wie ist es, populär zu sein? Die anderen Kinder in der Schule, die drehen durch, wenn ich meine Kleine von der Schule abhole, weil wir gerade bei The Voice im Fernsehen zu sehen waren. Das sind alles Erfahrungen, die ich am besten mit den anderen teilen kann.
Ihr stammt alle aus Stuttgart, seid aber relativ schnell in andere Städte gezogen. Warum?
Wir sind gemeinsam aus Stuttgart weggezogen. In Deutschland konnte man kaum weiter weg leben: Stuttgart, Eifel, Berlin und Hamburg. Das hat uns sehr gutgetan. Diese Ehe in getrennten Betten hat uns geholfen. Wir haben alle eine eigene Perspektive bekommen. Wir haben rund um den 30. Geburtstag das eigene Leben noch einmal neugestaltet, was uns als Persönlichkeiten hat reifen lassen. Thomas zog vor einiger Zeit von der Eifel nach Hamburg, wo ich ja auch lebe. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das gut finde. Wir treffen uns, fahren gemeinsam zu Terminen. Ich fand das immer ganz gut, mal Ruhe zu haben. Mal gucken, wie das wird.
Wie oft trefft ihr euch zu viert?
Immer wieder, und zwar nicht nur für Konzerte und wenn wir Platten machen. Es gibt viele andere Veranstaltungen. Nicht zuletzt bei Werbepartnern wie Bosch, Seat oder Underberg. Da denken wir gemeinsam nach, wie wir die Spots machen. Wie wollen wir dabei aussehen? Welche Ideen gibt es? Wir haben immer miteinander zu tun. Wir sind gedanklich alle miteinander verwandt. Aber es gibt schon Phasen, wo wir uns weniger sehen.
Wie habt ihr die Einnahmen aufgeteilt?
Egal, was wir machen, es wird immer durch fünf geteilt. Also vier Musiker und der Manager. Wenn jeder alles gibt, was er kann, kriegt eben auch jeder das Gleiche. Das haben wir bis heute so durchgehalten. Das ist ein hohes Maß an Solidarität. Als wir schon mit dem zweiten Album 1992, mit „Die da“, einen Breakthrough-Hit hatten, waren wir auch alle mit auf hoher See und populär.
Warum spielten eure Solokarrieren keine trennende Rolle?
Bei uns ist auch dieser Robbie-Williams-Effekt nie aufgetreten: Keiner von uns hat eine Solokarriere gestartet, die dann plötzlich durch die Decke ging – wo er dann die anderen nicht mehr gebraucht hat. Wir brauchen uns immer.
Wie ist eure Führungskultur? Gibt es irgendeine Art von Hierarchie, wenn Entscheidungen getroffen werden?
Ich frage mich manchmal, wie es gewesen wäre, wenn wir eine klassische Band wie Queen wären. Mit einem Frontmann, der sehr viel Aufmerksamkeit genießt und über den die Band identifiziert wird. Das Plenum, in dem wir Sachen diskutieren, sprich Management und wir vier, ist der Grund für unsere Langlebigkeit. Wir hatten bei jeder Entscheidung immer eine gute Streitkultur und eine hohe Solidarität. Gerade beim Thema Werbung war Michi immer der Skeptiker. Aber am Ende haben wir es immer geschafft, uns auf etwas zu einigen.
Du bist sehr an Technologie interessiert. Vieles hat sich in der Musikbranche zum Beispiel durch die Streaming-Plattformen verändert. Wie gehst du mit solchen großen Disruptionen um?
Gerade Streaming ist Fluch und Segen: Auf der einen Seite begrüße ich, dass es große Streamingdienste gibt. Ich habe meine ganze Musik in der Hosentasche. Aber der Fetisch Tonträger ist komplett weg. Dass ich mich mit dem Tonträger, der CD oder der Vinylplatte, zu Hause hinsetze und mich durchs Album durchhöre – das hat mich begeistert für Musik, das hat mich selbst zum Musikschaffenden gemacht. All das ist im Prinzip weg.

Es mag zwar kein Tonträgergeschäft mehr geben, aber das Geschäft mit Musik boomt.
Am Ende ist Unterhaltung auch ein Geschäft mit Gefühlen. Und das ist immer noch das Gleiche wie vor 30 oder 100 Jahren. Nur die Darreichungsform ist anders. In den 90ern habe auch ich gejammert: Oh Gott, oh Gott, die CD wird sterben. Aber jetzt bin ich alt genug zu sehen, dass einer großen Veränderung meistens viele neue interessante Sachen folgen. Und es ist einfach nur ein illusorischer Wunsch nach Sicherheit, zu denken, es bliebe alles so, wie es ist.
Derzeit ändert künstliche Intelligenz wahnsinnig viel. Wie nutzt ihr die Technologie?
In der Musikproduktion gibt es viele kleine KI-Tools, die helfen. Das sogenannte Spurenputzen hat man früher von Hand gemacht, also wenn Störgeräusche aus der Vielspuraufnahme herausgefiltert werden müssen. Dadurch wird vielleicht der eine oder andere Studiopraktikant seinen Job verloren haben. Dennoch glaube ich nicht, dass der Bedarf an Personal nennenswert sinken wird.
Wird KI-Musik die von Menschen erzeugte ersetzen?
Wovor ich keine Angst habe ist, dass uns KI jetzt die supertollen Ideen von morgen präsentieren wird. Kreativität ist die höchste, die göttlichste Eigenschaft des Menschen. Im Moment ist es doch so, als würde das Rad erfunden werden und man sagt: Was ist denn, wenn wir damit in zwei Wochen auf den Mars fliegen? Es ist sicher ein sehr, sehr, langer Weg, bis KI an einen Punkt kommt, wo sie uns in Kreativität schlägt. Vielleicht bin ich zu sehr in meinem Künstler-Elfenbeinturm, aber ich finde, da ist viel mehr Hysterie, als wirklich dran ist.
Eure Fans sind sehr heterogen: Ihr begeistert junge Menschen, aber es gibt auch viele, die mit euch groß geworden sind.
Wir haben eine Reihe von Stammkunden, wenn man so möchte. Die sind ganz grob zwischen 40 und 60 und wollen unsere Konzerte auch mit ihren Kindern erleben. Die wiederum haben uns bei „The Voice" erlebt.
Michi und du, ihr habt bei der TV-Musiksendung The Voice Kids als Coaches für euch begeistert. Wie siehst du die Show?
Am Ende ist es Fernsehunterhaltung. Wichtig ist, dass wir alle, die Talente und wir Trainer, gemeinsam etwas machen wollen, bei dem wir alle gut aussehen und wir das, was jeder gut kann, auch zeigen möchten. Dabei sind Michi und ich wie ein altes Ehepaar. Ich sehe schon am Zucken im Auge, ob ich ihn von einer jungen Sängerin oder Sänger überzeugen muss – oder ob ich jetzt in den roten Bereich komme und er findet es nicht gut. Und das sieht er bei mir auch.
Im Business-Alltag wird viel mit Bauchgefühl entschieden. Wie ist es in der Musik?
Ich kann da kein Verhältnis nennen nach dem Motto: 80 Prozent Technik, 20 Prozent Aura. Aber es gibt schon Handwerkliches und das hört man schnell. Ich habe mal von Niki Lauda gelesen, der auch eine Fluggesellschaft hatte, dass es ihn schon genervt hat, wenn er mit einem jungen Piloten zum Jet gefahren ist und der den Gang ruppig reingehauen hat. Lauda sagte: Wenn der mit der Maschine so kacke umgeht, drückt er in meinem Airbus die Knöpfe auch völlig respektlos. Also: Handwerk ist Handwerk. Dann gibt es die Ausstrahlung und etwas, was man eben nicht erklären kann. Bei The Voice sehen wir zum Beispiel das Publikum, und da ist ja der ganze Zauber drin.
Würdest du heute gern noch einmal Jugendlicher sein und in diese Welt hineinwachsen, mit KI-Agenten, mit den neuen Smartphones, die wir in den nächsten Jahren erleben werden?
Ich wäre gern noch einmal 30. Aber ich sehe auch, was meine Tochter für große Herausforderungen hat. Diese große Offenheit und diesen großen Optimismus, die Welt anzunehmen, in sie hineinzugehen und sie als Abenteuer zu verstehen – das Gefühl hätte ich gern noch einmal. Ich bin aber auch froh, all die vielen Fragezeichen, die ich damals hatte, beantwortet zu haben. Ich bin mit meiner Gegenwart sehr versöhnt.