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Studien & Forschung > Aufbruch in Selbstständigkeit

KfW-Studie: Deutschlands Gründergeist erwacht – jung, mutig, unkonventionell

Trotz Krise wagen mehr Deutsche den Schritt in die Selbstständigkeit – jung, ideenreich und mit erstaunlich wenig Kapital.

Mehr Gründungen, jüngere Gründer, weniger Startkapital: Eine neue Studie zeigt, wie die Krise Unternehmergeist entfesselt. (Foto: ki-generiert chatgpt)

Trotz düsterer Konjunkturaussichten und anhaltender Unsicherheiten auf dem Weltmarkt regt sich in Deutschland eine stille, aber eindrucksvolle Gegenbewegung. Während große Unternehmen Personal abbauen und Investoren sich zurückhalten, schlägt das Herz der Wirtschaft plötzlich an anderer Stelle schneller: im Kleinen, Unabhängigen, Selbstgewählten.

Die Zahl der Existenzgründungen ist 2024 unerwartet gestiegen – um satte 17.000 Fälle auf insgesamt 585.000, ein Plus von drei Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das geht aus dem aktuellen Gründungsmonitor der staatlichen Förderbank KfW hervor, jener Institution, die normalerweise als nüchterne Beobachterin wirtschaftlicher Fundamentaldaten gilt.

Was auf den ersten Blick wie eine Randnotiz im Statistikteil wirkt, könnte sich bei genauerem Hinsehen als Symptom eines tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandels entpuppen. Die Deutschen, so scheint es, entdecken inmitten der Krise ihre unternehmerische Ader wieder – und das, obwohl (oder gerade weil) die traditionellen Sicherheiten ins Wanken geraten. Alte Berufsbilder erodieren, klassische Karrierepfade verlieren an Strahlkraft. Statt auf den Aufstieg innerhalb von Konzernhierarchien zu setzen, nehmen immer mehr Menschen das Risiko selbst in die Hand.

Dabei ist bemerkenswert: Der Trend widerspricht nicht nur den Erwartungen vieler Wirtschaftsforschender, sondern auch der eigenen Geschichte. Deutschland galt lange als Land der Angestellten, nicht der Gründerinnen und Gründer. Doch in diesem Jahr zeigt sich eine neue Gründermentalität – trotzig, kreativ, selbstbewusst. Und vielleicht ist gerade diese Unruhe, dieses Mutigwerden im Moment der Ungewissheit, das, was dem Begriff „Wirtschaftswunder“ heute neues Leben einhauchen könnte.

Gründungszahlen im Detail: Ein differenziertes Bild

Die Zunahme der Gründungsaktivitäten verteilt sich ungleichmäßig auf verschiedene Bereiche. Während die Zahl der Nebenerwerbsgründungen um beachtliche fünf Prozent auf 382.000 anstieg, verzeichneten Vollerwerbsgründungen einen leichten Rückgang um ein Prozent auf 203.000. Diese Verschiebung deutet darauf hin, dass viele Deutsche die Selbstständigkeit zunächst als zusätzliche Einkommensquelle neben ihrer Hauptbeschäftigung nutzen.

Bemerkenswert ist auch die Altersstruktur der Gründer. Mit einem Durchschnittsalter von 34,4 Jahren waren sie 2024 so jung wie nie zuvor seit Beginn der Erhebungen. Besonders auffällig: 39 Prozent aller Gründerinnen und Gründer waren zwischen 18 und 29 Jahre alt – ein Rekordwert für diese Alterskohorte. KfW-Chefsvolkswirt Dirk Schumacher sieht in dieser Entwicklung einen "Lichtblick" für die deutsche Wirtschaft.

Ursachen des Gründungsbooms: Krise als Katalysator?

Die Gründe für den unerwarteten Anstieg der Gründungszahlen sind vielschichtig. Ein wesentlicher Faktor scheint die Abkühlung des Arbeitsmarktes zu sein. Die KfW-Studie konstatiert: "Die Abkühlung des Arbeitsmarkts hat sicherlich zum Plus bei den Gründungen beigetragen. Zum einen, weil aufgrund der höheren Erwerbslosigkeit mehr Menschen die Selbstständigkeit als Ausweg aus der Arbeitslosigkeit genommen haben. Zum anderen, weil die Konditionen abhängiger Beschäftigung generell unattraktiver wurden."

Interessanterweise scheint die Wirtschaftskrise also als Katalysator für unternehmerische Aktivitäten zu wirken. Dies steht im Einklang mit historischen Beobachtungen, wonach wirtschaftliche Umbrüche oft zu einer verstärkten Gründungstätigkeit führen.

Finanzierung und Kapitalbedarfe: Lean Startups im Trend

Ein weiterer bemerkenswerter Aspekt ist der relativ geringe Kapitalbedarf vieler Neugründungen. Laut KfW-Gründungsmonitor finanzierten im Jahr 2024 drei Viertel der Gründer ihre Existenzgründung allein aus eigenen Mitteln – der höchste Anteil seit 2008. Mehr als die Hälfte der Gründer (56 Prozent) kamen mit weniger als 5.000 Euro Startkapital aus. Nur zwölf Prozent benötigten mehr als 50.000 Euro.

Diese Zahlen deuten auf einen Trend zu "Lean Startups" hin, bei denen Gründer mit minimalem Kapitaleinsatz starten und ihre Geschäftsmodelle schrittweise entwickeln. Dies könnte eine Reaktion auf die unsichere Wirtschaftslage sein, birgt aber auch Chancen für innovative und agile Geschäftskonzepte.

Was der Mittelstand jetzt verstehen muss

Für etablierte mittelständische Unternehmen steckt in dieser Entwicklung eine doppelte Botschaft: Sie sehen sich einem wachsenden Pool agiler, technikaffiner Einzelunternehmen gegenüber – und einem immer größer werdenden Vakuum in den eigenen Reihen. Denn während die Zahl der Neugründungen steigt, bleiben Übernahmen und Beteiligungen auf zu niedrigem Niveau. Die Nachfolgelücke im Mittelstand – lange prognostiziert, jetzt real.

Dabei wäre die Lösung greifbar: Mehr Kooperation mit Gründerinnen und Gründern, offene Übergabemodelle, hybride Beteiligungsformen. Wer heute auf junge Selbstständige zugeht, sich als Möglichmacher statt Konkurrent positioniert, sichert nicht nur sein Geschäftsmodell, sondern stärkt auch das wirtschaftliche Ökosystem seiner Region.

Und noch etwas: Viele dieser neuen Unternehmer arbeiten als Solo-Selbstständige – flexibel, projektorientiert, oft hochspezialisiert. Gerade für mittelständische Betriebe, die unter Fachkräftemangel leiden, können sie zur entscheidenden Unterstützung werden. Ob in der IT, im Marketing, bei der Prozessdigitalisierung oder im Produktdesign – Gründer können Lücken schließen, die intern kaum mehr zu besetzen sind.

Zum KfW-Gründungsmonitor

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