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Studien & Forschung > Debatte um die Rückkehr der syrischen Flüchtlinge

Studie des IW: Syrer füllen wichtige Lücken aus

Nach dem Sturz von Diktator Bashar Assad ist eine Debatte um die Rückkehr der syrischen Flüchtlinge in Deutschtand entbrannt. Tatsächlich würde das große Lücken in der Wirtschaft reißen.

Allein im Gesundheitssektor sind etwa 5.300 syrische Ärzte beschäftigt. Inzwischen können nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) rund 5.000 Hausarztsitze nicht mehr besetzt werden (Foto: shutterstock)

Ob Krankenpflege, Kraftfahrzeugtechnik oder Bauelektrik: Rund 80.000 syrische Fachkräfte arbeiten in sogenannten Engpassberufen, also in Bereichen, in denen Stellen besonders schwer zu besetzen sind, weil es nicht genügend qualifizierte Beschäftigte gibt. Sie tragen wesentlich dazu bei, die Lücke auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu verringern

Zu diesem Schluss kommt eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). „Mit einem Durchschnittsalter von nur rund 26 Jahren tragen die in Deutschland lebenden Syrer dazu bei, den auch demografisch bedingten Fachkräftemangel in Deutschland künftig abzufedern“, betonen die Autoren.

Gesundheits- und Krankenpflege: sieben von zehn Stellen offen, weil qualifiziertes Personal fehlt

Die Verjüngung des deutschen Arbeitsmarkts durch die syrische Bevölkerung sei besonders wertvoll. Bereits 2019 stellten sie die größte Gruppe unter den nicht-deutschen Auszubildenden. 

„Erwerbstätige Syrer sind eine Stütze für den deutschen Arbeitsmarkt“, betont IW-Experte Fabian Semsarha. „Umso wichtiger ist es, dass sie eine langfristige verlässliche Bleibeperspektive bekommen.“ Klare politische Rahmenbedingungen seien notwendig, um sowohl Unternehmen als auch den Beschäftigten langfristige Planungssicherheit zu gewährleisten. 

Allein in der Gesundheits- und Krankenpflege sind etwa 2.200 syrische Fachkräfte beschäftigt. In diesem Bereich sind derzeit mehr als sieben von zehn Stellen offen, weil qualifiziertes Personal fehlt. Dieser Zustand hat schon heute erhebliche Auswirkungen tief in die Betriebe hinein. Nach einer Erhebung des Statistischen Bundesamtes arbeiten 24 Prozent der Erwerbstätigen in Teilzeit, um sich unter anderem um pflegbedürftige Angehörige zu kümmern. „Diese Fachkräfte fehlen den Wirtschaftsunternehmen. Wir müssen alles daransetzen, um die Pflegesituation zu verbessern und dieses Potenzial wieder für den Arbeitsmarkt zu gewinnen“, mahnt Susanne Herre, Hauptgeschäftsführerin der IHK in Stuttgart.

Mehr als 5000 syrische Ärzte in Deutschland

Als Ärzte sind 5.300 Syrer angestellt. „Eine Rückkehr in ihr Herkunftsland würde den Fachkräftemangel in der medizinischen Versorgung in Krankenhäusern und Arztpraxen deutlich verschärfen“, heißt es in der Studie des IW. 

Auch als Kfz-Mechatroniker abeiten deutschlandweit über 4.000 syrische Frauen und Männer. In diesem Bereich fehlten gleichzeitig mehr als 16.000 Fachkräfte, so der IW.  Auch in Berufen, die dringend gebraucht werden, um den Klimawandel zu gestalten, arbeiten viele Syrer: Dazu zählen laut IW beispielsweise die Bauelektrik, die Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik oder der Metallbau. Auch hier sei der Bedarf groß: So blieben in der Bauelektrik zuletzt acht von zehn offenen Stellen unbesetzt, bundesweit fehlten mehr als 18.000 Fachkräfte. 

1,3 Millionen syrische Flüchtlinge in Deutschland

Laut Mikrozensus lebten 2023 in Deutschland knapp 1,3 Millionen Menschen, die selbst (82 Prozent) oder deren beide Elternteile (18 Prozent) aus Syrien eingewandert sind. Rund 17 Prozent von ihnen besitzen die deutsche Staatsbürgerschaft. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums haben knapp eine Million Menschen mit syrischer Nationalität. Die meisten von ihnen – knapp 330.000 Personen – genießen einen „subsidiären Schutz". Der beruht auf die Annahme, dass diesen Menschen im Heimatland ein ernsthafter Schaden droht. Weitere gut 320.000 stehen unter dem Flüchtlingsschutz nach der Genfer Konvention, weil sie aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, politischen Überzeugung oder Religion in Syrien verfolgt werden könnten.

Die übrigen Syrer haben den Angaben zufolge andere Aufenthaltstitel, etwa durch Familiennachzug bei Kindern. Beide Hauptgruppen haben eine Aufenthaltserlaubnis für maximal drei Jahre und unbeschränkten Arbeitsmarktzugang. Menschen aus Syrien stellten 2024 die meisten Asylanträge in Deutschland und bilden hier die zweitgrößte Gruppe unter den Schutzsuchenden. Die rund 1,2 Millionen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine müssen kein Asylverfahren durchlaufen und haben sofort ähnliche Rechte wie anerkannte Asylbewerber.

Langwierige Integration: Zeit zum Spracherwerb und zur (Nach-)Qualifizierung

Ende 2023 waren nach Angaben des Statistischen Bundesamtes knapp 600.000 Syrer zwischen 20 und 65 Jahre alt und damit im erwerbsfähigen Alter.  „Die Integration von Geflüchteten in Gesellschaft und Arbeitsmarkt braucht meist Zeit zum Spracherwerb und zur Qualifizierung, etwa zur Nachqualifizierung für eine Approbation bei Ärzten“, heißt es in der Studie.

Gut 155.000 Syrer sind aktuell nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und stünden den Unternehmen unmittelbar zur Verfügung. Zwischen Juni 2023 und Mai 2024 seien insgesamt 213.589 Syrer sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Zwar arbeiten gut 86.000 von ihnen in Helfertätigkeiten, etwa in der Lagerwirtschaft, der Reinigung oder im Verkauf, aber etwa 127.000 also die Mehrheit in qualifizierten Jobs für Fachkräfte mit Berufsausbildung oder Studium.

Insgesamt sind 42 Prozent der Personen mit syrischer Einwanderungsgeschichte im erwerbsfähigen Alter erwerbstätig. Das ist vergleichsweise wenig, wie die Statistiker in Wiesbaden erklären. Ein Grund sei, dass sich ein hoher Anteil der Bevölkerung mit syrischer Einwanderungsgeschichte aufgrund des niedrigen Durchschnittsalters noch in der Schule oder der Ausbildung befinde.

Zum Wahlkampfthema geworden

Nach dem Sturz Assads sind die in Deutschland lebenden Syrer in den Mittelpunkt des Wahlkampfs gerückt. So spricht sich der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz für einen Aufnahmestopp aus. Außerdem müssten Geflüchtete, die bereits im Land seien und arbeiten könnten, dies aber nicht tun, nach Syrien zurückkehren. Dabei betonte Merz, dass die Syrer, die in Deutschland arbeiten und integriert seien, „selbstverständlich" bleiben könnten.

Viele Bundesländer wären nach eigenen Aussagen in der Lage, viele syrische Flüchtlinge innerhalb weniger Wochen in die Heimat abzuschieben. „Wenn die Bundesregierung die Weichen gestellt hat, dann könnten wir schnellstmöglich Rückführungen möglich machen. Wer ausreisepflichtig ist, muss dieses Land auch wieder verlassen", so Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU). Sein Thüringer Kollege Georg Maier (SPD) sieht es ähnlich: „Für die Umsetzung bräuchten wir ein paar Wochen. Das ist zügig machbar“..

Voraussetzung sei aber eine sichere Lage in Syrien. „Wenn es in Syrien weiter Mord und Totschlag gibt, geht das nicht", räumt Maier ein.

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