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Ratgeber > Talentverlust durch Bürokratie

Verliert mein Unternehmen die besten Talente wegen zu starrer Regeln?

Bürokratie statt Brillanz: Wie starre Prozesse den Talentgewinn sabotieren und viele Unternehmen Top-Talente durch übertriebene Vorgaben verlieren.

(Foto: picture alliance, Wolfgang Filser)

Zwei Anekdoten haben mich in den vergangenen Wochen sehr beschäftigt. Bei beiden ging es um große Unternehmen, die sich schon für einen Kandidaten, jeweils Alumni unseres Lehrstuhls, inhaltlich entschieden hatten.

Dann widersprach einmal die Personal-, einmal die Rechtsabteilung, obwohl in beiden Fällen hohe Führungskräfte, in einem Fall sogar der Geschäftsführer, die Einstellungen befürwortetet hatte.

Von außen würde ich jeweils klar sagen, dass die Unternehmen sehr froh hätten sein müssen, die Talente überhaupt zu bekommen. Die Rechtsabteilung im einen Fall hatte Bedenken in Bezug auf den Arbeitsort. Im anderen Fall zweifelte die Personalabteilung, ob der Kandidat wegen anderer privater Verpflichtungen die volle Stundenzahl würde leisten können. Beides Einwände, die außerhalb der wahren Kompetenzen der Kandidaten lagen.

Beide wurden nicht eingestellt. 

Wie kann so etwas sein? In beiden Fällen hatten die Unternehmen Prozesse und Vorgaben, von denen sie nicht abweichen wollten. Grundsätzlich ist dagegen nichts einzuwenden. Jedes Unternehmen bewegt sich im Spannungsfeld zwischen standardisierten Anforderungen und Prozessen und individualisierten Lösungen.

Aus meiner Sicht wurde hier aber jeweils zu viel Wert darauf gelegt, die festgelegten Regeln konsequent einzuhalten.

Prüfen Sie, ob Ihr Unternehmen gefährdet ist

 

Identifizieren Sie die Symptome:

  • Einwände außerhalb der Kernkompetenzen: Kommt es häufig zu Einwänden von Personal- oder Rechtsabteilungen, die nicht die eigentlichen Fähigkeiten der Kandidaten betreffen?

Erkennen Sie die Ursachen:

  • Sind Ihre Personalprozesse so starr, dass sie individuelle Lösungen ausschließen?
  • Setzt Ihr Unternehmen übertriebene Compliance-Regeln durch, die Talente abschrecken könnten?

Maßnahmen zur Verbesserung:

  • Fördern Sie Flexibilität: Erlauben Sie flexible Arbeitszeiten und -orte, um attraktiv für Talente zu bleiben.

Es kann sehr teuer werden, wenn man Personalprozesse zu strikt einhält

Fachkräftemangel ist allgegenwärtig – auf allen Kompetenzebenen. Aus diesem Grund ist es fatal, wenn Unternehmen Anforderungen und Vorstellungen unreflektiert bei Personalprozessen anlegen, besonders, wenn es um Talente geht. Das Unternehmen muss fachlich entscheiden, wer eingestellt werden soll und dann rechtlich prüfen, ob etwas wirklich Fatales gegen eine Person spricht oder rechtliche Rahmenbedingungen. Aber die waren in keinem der beiden Fälle relevant. 

Die Kosten für die Firmen sind enorm. Wir wissen aus Studien, dass sich Kandidaten mit ähnlichen Profilen bei der Effektivität von Faktor zwei bis teilweise sechs unterscheiden. Hat man einen Kandidaten, bei dem man sehr hohe Faktoren erwarten kann, wird es sehr teuer, wenn man Personalprozesse zu strikt einhält und ihn deshalb ablehnt. 

In beiden Fällen handelte es sich um Konzerne. Das ist vielleicht eine gute Nachricht für den Mittelstand. Der Mittelstand kann durch flexible Personalprozesse Talente anziehen und mit flexiblen Lösungen Kandidaten gewinnen, die erschreckenderweise anderswo aus übertriebenen Compliance-Regeln nicht unterkommen. 

Was der Experte rät

  • Bauen Sie Modelle, die nicht so strikt sind, was Arbeitszeiten, Arbeitsorte und weitere Rahmenparameter im Personal angeht.
  • Überdenken Sie die Rolle von Personal- und Rechtsabteilungen. Es sollte nicht das zentrale Kriterium sein, möglichst viele Menschen nach einem Schema einzustellen. Dafür ist der Faktor „Talent“ zu knapp.
  • Kriterium sollte vielmehr sein: Wie viele Einstellungen haben wir möglich gemacht? Idealerweise alle, die fachlich bereits angenommen wurden.
  • Gehen Sie jeder durch Vorgaben gescheiterten Einstellung nach. Was waren die Gründe? Müssen Prozesse angepasst oder abgeschafft werden? Haben wir hier einen Kandidaten verloren, der uns gutgetan hätte? 

Der ehemalige Chef eines bekannten dänischen Spielzeugherstellers sagte einmal in einem Vortrag: „In Führungs- und Personalthemen alle gleichzubehandeln, ist eine ganz dumme Idee.“ Er könnte solche Prozesse gemeint haben. 

Der Innovator

Die Forschung schafft Wissen, die Praxis nutzt es – wenn dazwischen nur nicht ­immer so viel Interessantes verloren ginge. Unser Kolumnist Professor Andreas Engelen setzt sich für den gezielten Wissenstransfer von den Hochschulen in die Unternehmen zu betriebswirtschaftlichen Themen ein.

Der Inhaber des Lehrstuhls für Management an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf forscht mit seinem Team erfolgreich über Fragen des strategischen Managements, der Innovation und des digitalen Managements. Aktuell schlägt er in Projekten mit mehr als 20 Unternehmen die Brücke ­zwischen Theorie und Praxis – für seine Studierenden wie für Firmen. 

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