Unternehmer im Einsatz: Wenn der Chef zur Feuerwehr rennt
Ehrenamtliches Engagement von Unternehmern bringt nicht nur gesellschaftlichen Nutzen, sondern auch Vorteile für die eigene Firma. Viele Unternehmer sind längst selbst aktiv.

Vom Bürostuhl zum Einsatzfahrzeug: Unternehmer im THW
Von Midia Nuri
Wie üblich erscheint die Einsatznachricht überraschend auf dem Funkmeldeempfänger. Mittwochabend, Mitte Juli 2021, 19 Uhr. Der Ortsverband Saarburg des Technischen Hilfswerks (THW) wird zu einem Unwettereinsatz nach Kordel bei Trier ausrücken. „Es war der Anfang einer langen Nacht", erinnert sich Robin Ramos-Hoffmann, einer von zwei geschäftsführenden Gesellschaftern der Filmproduktionsgesellschaft Project2Media, der als Ehrenamtlicher damals dabei ist. „Retten von Menschen und Tieren in der Nacht." Danach Straßen freiräumen, Schutt wegfahren. „Wir haben einen Hang gesichert, von dem ein Haus abzurutschen drohte – was so anfällt." Fünf Tage war der Unternehmer als Helfer vor Ort bei jenem Einsatz, der zum größten in der Geschichte des Technischen Hilfswerks werden sollte: Helfen nach dem Hochwasser im Ahrtal.
Später kehrte er noch für eine Woche mit der THW-Fachgruppe Räumen zurück, danach immer wieder im Media-Team, einer THW-Facheinheit für Einsatzdokumentation. „Ich komme aus dem Beruf, deshalb mache ich das", sagt der gelernte Kameramann, der vor knapp zehn Jahren als Jugendlicher ehrenamtlich eingestiegen ist. „Aber wir in Saarburg sind ein kleiner Ortsverband, bei uns machen grundsätzlich alle alles." Liefert sein Ortsverband bei einem Waldbrand Wasser an, ist Ramos-Hoffmann schon mal als Helfer dabei oder räumt nach einem Lkw-Brand die Autobahn mit frei. Auch in Slowenien half er 2023 nach dem Hochwasser eine Woche mit. Beim Hoteleinsturz in Kröv war der 24-Jährige erst als Helfer mit seinem Ortsverband im Einsatz, später im Media-Team, für das er Medienvertretern Interviews gibt, Fotos und Videos liefert. Regelmäßig bespielt er für seinen Ortsverband auch die Sozialen Medien.
Nutzen in Krisenzeiten: Warum sich Engagement lohnt
Ins Ahrtal kehrt Ramos-Hoffmann immer wieder beruflich zurück, um mit seinem Team für den SWR Berichte über die Folgen der Hochwasserkatastrophe zu drehen. „Beruflich stelle ich gezielter die richtigen Fragen, weil ich die Abläufe kenne und weiß, was passiert", sagt Ramos-Hoffmann. Das spart Zeit. „Im Media-Team des THW weiß ich umgekehrt, was Journalisten wissen wollen und welches Material sie brauchen und kann ihnen das schnell zur Verfügung stellen."
Wenn es um das Thema Ehrenamt geht, denken die meisten Unternehmer wohl als erstes an Posten in Aufsichtsräten, Wirtschaftsverbänden oder als Prüferinnen in ihrer Kammer. Als nächstes kommt die Frage, ob Freistellung Pflicht ist und wie das mit dem Entgeltersatz für die Mitarbeiter funktioniert. Nicht wenige Unternehmen spenden oder sponsern und stellen ihre Dienstleistungen für wohltätige Zwecke zur Verfügung. Doch auch über diese durchaus im Trend liegende Corporate Social Responsibility (CSR)-Aktivitäten hinaus, kann ein Ehrenamt Unternehmen Nutzen bringen, gerade in Krisenzeiten.
Das ehrenamtliche Engagement ist in den vergangenen 30 Jahren gestiegen. Waren 1990 rund 27 Prozent der über 17-Jährigen hierzulande ehrenamtlich tätig, lag der Anteil 2017 bei 32 Prozent, stellt der Wochenbericht 42/2019 des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) fest – hochgerechnet derzeit rund 22 Millionen Ehrenamtliche bundesweit. Aktuellere Zahlen liegen derzeit nicht vor.
Wie viele davon Unternehmer wie Ramos-Hoffmann sind, ist unklar. Verschiedene Studien zum Thema unterscheiden bestenfalls zwischen erwerbstätigen und nicht erwerbstätigen Ehrenamtlichen. Die Zahl letzterer stieg dem DIW zufolge von 32 Prozent 1990 auf 34,7 Prozent 2017 – am aktivsten sind dabei die 30- bis 59-Jährigen. Einwohner kleinerer Kommunen sind mit 37 Prozent engagierter als Großstädter mit 26 Prozent. „Unternehmen können mit ihrem Engagement einen relevanten Beitrag zur Entwicklung lebenswerter Dörfer, Städte und Regionen leisten", sagt Katarina Peranić, Gründungsvorständin der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt. Befragungen zufolge ist das auch ein wichtiges Motiv von Unternehmen und Privatpersonen. „Und eine Investition, die sich in Zeiten des Fachkräftemangels vielfach auszahlt", fügt Peranić an. Und: „Höhere Bildung geht mit stärkerem ehrenamtlichen Engagement einher", heißt es im DIW Wochenbericht weiter. Während ein Viertel der Ehrenamtlichen keinen oder den Hauptschulabschluss besitzt, liegt der Anteil von Personen mit Abitur bei 42 Prozent.
Von der Sporthalle zum Katastrophenschutz: Vielfalt des Engagements
Mehr weiß man über das bürgerschaftliche Engagement von Unternehmen. „63 Prozent der Unternehmen engagieren sich für gesellschaftliche Belange über gesetzliche Vorschriften hinaus", heißt es im „CC-Survey 2018: Unternehmensengagement und Corporate Citizenship in Deutschland" der Bertelsmann-Stiftung. „Primär durch Geld- und Sachspenden sowie Mitarbeiterfreistellungen und – in deutlich geringerem Maße – auch durch eigene Engagementprojekte." Dem Monitor Unternehmensengagement der Bertelsmann-Stiftung von 2022 zufolge engagieren sich die befragten Unternehmen vor allem in ihrer Region oder lokal – besonders für Sport (53 Prozent), Soziales (44), Bildung und Weiterbildung (39) sowie Klima und Umweltschutz (30). Auch bei Kultur, Wissenschaft oder der Entwicklungszusammenarbeit helfen Firmen, meist auf Anfrage.
Das Engagement im Bevölkerungs- sowie Katastrophenschutz ist mit 14 Prozent recht abgeschlagen. Doch manche Unternehmer treibt bereits die Ahnung um, dass ein stetiger Kontakt zu Einsatzkräften und das damit verbundene Wissen noch einmal nützlich sein könnte – mit Blick auf Hochwasser oder Dürren, die häufiger auftreten. Und jüngst forderte die Bundeswehr Unternehmer auf, mehr Lkw-Fahrer für einen möglichen Kriegsfall auszubilden.
Die Frage, ob der Chef das Ehrenamt verbieten darf, stellt sich vielen gar nicht – weil es in ihrem Landkreis beispielsweise keine Berufsfeuerwehr gibt. Davon zeugt die Seite 112ehrenamt.de der freiwilligen Feuerwehr für den 49.000-Einwohner-Kreis Lüchow-Dannenberg. Gleich vier ehrenamtlich als Feuerwehrleute tätige Unternehmer stellen sich auf der Internetseite vor. „15 Unternehmer sind bei uns dabei", sagt Kreisbrandmeister Claus Bauck. Der 64-Jährige selbst ist geschäftsführender Gesellschafter von Brandschutztechnik Claus Bauck in Lüchow und seit 1974 im Einsatz, schon als Jugendlicher ehrenamtlich. „Von jedem Unternehmen mit mehr als zehn Mitarbeitern hier im Kreis sind mindestens zwei bei der Feuerwehr", sagt Bauck. Hinzu kommen zwei Werksfeuerwehren des Spezialkegelrollenlagerherstellers SKF in Lüchow sowie des Zwischenlagers Gorleben mit insgesamt rund 50 Feuerwehrleuten. Insgesamt sind es 3000 ehrenamtliche Feuerwehrleute und 1000 Mitglieder der Kinder- und Jugendfeuerwehr sowie 1000 Förderer, die Geld spenden und beispielsweise bei Feiern helfen.
Die Anforderungen sind hoch. „Freiwillig ist bei der Feuerwehr nur der Ein- und Austritt", gibt Bauck zu. Geht ein Feueralarm ein, müssen auch freiwillige Feuerwehrleute parat stehen, um die von den Landesgesetzen vorgeschriebene Einsatzfrist von acht oder mehr Minuten einzuhalten. „Nachwuchs haben wir zum Glück noch genug", sagt Bauck. Die Auszeichnung mit dem niedersächsischen Ehrenamtspreis 2021 habe da nochmal einen Schub gegeben. „Die Sinnfrage stellt sich bei uns auch wirklich keiner." Und natürlich gibt es auch Dienstpläne.
Zwischen Pflicht und Kür: Rechtliche Aspekte des Ehrenamts
Wie bei der Feuerwehr kann auch beim THW grundsätzlich zu jeder Zeit ein Alarm eingehen. „Aber ich kann auch absagen, wenn die Projekte in der Firma das im Moment nicht möglich machen", sagt Unternehmer Ramos-Hoffmann. „Auch gegenüber Arbeitgebern ist es uns wichtig, uns über die Freistellungen von Mitarbeitern einig zu werden und Lösungen zu finden, die für beide Seiten gut funktionieren", sagt Sascha Brennig, Referent im Referat Ehrenamt der THW-Leitung. Was auch in der Regel gelingt. „Fast alle THW-Ehrenamtlichen stehen noch im Erwerbsleben." Den Anteil von Selbstständigen und Unternehmern schätzt Brennig auf zehn bis 20 Prozent der erwerbstätigen Ehrenamtlichen.
„Wir brauchen alle, Schreiner, Elektriker, Sanitär-Heizung-Klima-Installateure, bei uns ist jeder willkommen", sagt Ramos-Hoffmann. Auch wenn es beim THW nur wenige Bereiche gibt, in denen nur ausgebildete Fachleute eingesetzt werden dürfen. „Beispielsweise wo es um Starkstrom geht, müssen Elektriker mit beruflichem Hintergrund ran", sagt Brennig. „Aber Rohrleitungsbau, Wiederherstellung von Hausanschlüssen oder Straßenbeleuchtung – bis zu einem gewissen Grad kann das jeder Helfer mit der entsprechenden THW-Fachausbildung machen." Grundsätzlich gilt für die mehr als 25 THW-Fachgruppen: „Jeder kann mitmachen und wenn sich ein Ehrenamtlicher für einen speziellen Bereich interessiert, bekommt er vom THW die dafür nötige Aus- und Fortbildung", sagt Brennig. „Darunter berufsrelevante Qualifikationen", hebt Ramos-Hoffmann hervor. „Auch solche mit IHK-Zertifikat, die damit auch in Unternehmen der freien Wirtschaft nutzbar sind", ergänzt Brennig.
Vom Ehrenamt zum Karrierebooster: Qualifikation und Kompetenzerwerb
Die günstige und gute Qualifikationsmöglichkeit in manchen Ehrenämtern ist für Unternehmer der nützlichste Nebeneffekt für sich und ihre Mitarbeiter. „Auch die praktisch nebenbei erworbenen Skills sind höchst wertvoll", sagt Brennig. Klassische Karrieren stehen im THW allen Ehrenamtlichen offen. Neben 2200 festangestellten Mitarbeitern sind 88.000 Ehrenamtliche engagiert. „Und in den ausschließlich ehrenamtlich geführten Ortsverbänden gibt es eine Vielzahl von Funktionen und Möglichkeiten, sich zu engagieren", sagt der beim THW festangestellte Brennig, der in seinem Ortsverband zusätzlich ehrenamtlich stellvertretender Ortsbeauftragter ist. Auch der Leiter des Ortsverbandes ist ein Ehrenamtlicher. „Wir steuern mehr als 100 Leute, verwalten 18 Großfahrzeuge und Material im Wert von mehreren Millionen Euro", erklärt er. „Wer das kann, kann auch Projektmanagement", ist Brennig überzeugt.
Doch erst einmal durchlaufen alle die Grundausbildung. „Jedes zweite Wochenende samstags über mehrere Monate, das ist schon ein ordentliches Investment", weiß Brennig. Grundkenntnisse über Bevölkerungs- und Zivilschutz, Methoden im Einsatz – Absichern von Unfallstellen, Retten und Bergen, Verletztenversorgung und Umgang mit Technik. „Kleine Pumpen, Leitern, hydraulisches Rettungsgerät, der Einsatz von Notstromversorgung", zählt Brennig auf. Dann die fast zweijährige Fachausbildung mit Bezug zur spezifischen Fachgruppe und die zugehörige Technik im Ortsverband, die überwiegend abends und am Wochenende stattfindet. Weiterführende Lehrgänge für besondere Funktionen und Tätigkeiten laufen dann meist zwei bis fünf Tage an den THW-Ausbildungszentren. „Auch dafür gibt es Entschädigung und Freistellung", sagt Brennig.
Mit im Gepäck jedes Ehrenamtlichen gerade bei Organisationen wie THW oder Feuerwehr: ausgeprägte Stressresistenz und Belastbarkeit, Teamfähigkeit. Und Flexibilität. Schließlich kann jederzeit der Funkmeldeempfänger gehen.
Diese Pflichten haben Arbeitgeber beim Ehrenamt
- Schöffen: Am strengsten und eindeutigsten geregelt ist die Freistellung von Schöffen. Wer als ehrenamtlicher Richter berufen wird, kann das nicht ablehnen. Auch ohne Bewerbung für die Aufgabe ist es jederzeit möglich, auf der Berufungsliste zu landen, um Berufsrichter zu unterstützen. Unternehmen sind verpflichtet, Beschäftigte dafür freizustellen. Gleiches gilt für Tätigkeiten in den Gremien der Sozialversicherung. Das Unternehmen darf die entsprechenden Beschäftigten nicht nacharbeiten lassen und auch nicht auffordern, Dienste zu tauschen. Mit Blick auf Prämien gelten Gerichtstage bei der Lohnabrechnung als Arbeitstage.
- THW: Für das Technische Hilfswerk gilt ein eigenes Bundesgesetz. Danach müssen Arbeitgeber Ehrenamtliche freistellen. Die Beschäftigten dürfen keine Nachteile beim Lohn, der Sozial- und Arbeitslosenversicherung oder der Altersvorsorge entstehen. Wird ein Ehrenamtlicher während seines Urlaubs zu einem Einsatz beordert, muss das Unternehmen den entgangenen Urlaub nachträglich gewähren, urteilte das Bundesarbeitsgericht (Az.: 9 AZR 251/04). Fällt jemand mehr als zwei Stunden am Tag oder sieben Stunden binnen zwei Wochen aus, kann der Arbeitgeber eine Erstattung beim THW beantragen. Erkranken Mitarbeiter wegen eines THW-Einsatzes, kann der Betrieb einen Ausgleich für die Lohnfortzahlung bekommen.
- Feuerwehr, Rotes Kreuz, Vereine: Den Arbeitsausfall für ehrenamtliche Tätigkeiten bei Feuerwehr oder dem Deutschen Roten Kreuz regeln Landesgesetze, ebenso die Freistellung für das Ehrenamt in Vereinen oder anderen privaten Bereichen – in der Regel unbezahlt. Sind Gemeinderatsmitglieder im Betrieb beschäftigt, regelt die Gemeindeordnung die Freistellung. Fast immer sind für solche Freistellungen recht spezielle Einzelheiten bei Vergütung und Abrechnung zu berücksichtigen, die Arbeitgeber im Einzelfall klären sollten. mnu
Experten helfen kleinen Firmen
Unternehmer können auch selbst von ehrenamtlicher Hilfe profitieren: durch Ehrenamtliche des Senior Experten Service. Der unterstützt seit 1983 über das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) vor allem Entwicklung im Ausland mit Rat und Einsatz, getragen vom Industrieverband BDI, dem Arbeitgeberverband BDA, DIHK und dem Zentralverband des Deutschen Handwerks. In Deutschland sind auf Anfrage auch Einsätze in kleinen und mittleren Unternehmen meist jeweils stunden- oder tageweise über längere Zeiträume möglich. Mehr