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Management > Interview

Wenn Führung Leben rettet: Was Manager vom Schockraum lernen können

| Thorsten Giersch | Lesezeit: 3 Min.

Notfallmediziner Sebastian Casu erklärt im Interview, wie Manager in Extremsituationen handlungsfähig bleiben und Teams sicher führen.

Operationsssaal
Sebastian Casu, Notfallmediziner und Gründer: „Führung braucht Struktur, Vertrauen – und Mut zur Entscheidung.“ (Foto: shutterstock)

Sebastian Casu hat als Notfallmediziner einen Leitfaden für Manager geschrieben. Er erklärt, wie Führungskräfte Druck aushalten und Krisen meistern.  

Markt und Mittelstand - Das Gespräch führte Thorsten Giersch

 

Wieso schreibt ein Chefarzt ein Buch über Management? 

  • Sebastian Casu: Ich habe früh festgestellt, dass es bei der Arbeit als Chefarzt immer weniger um medizinische und immer mehr um klassische Führungs- und Kommunikationsthemen geht. Man kann ein hervorragender Arzt sein, aber wer nicht in der Lage ist, seine Abteilung zu führen und die Leute mitzunehmen, schafft nicht viel. Und ich habe im Januar 2024 selbst gegründet, eine Firma, die Software für das Gesundheitswesen entwickelt. Eine neue Welt für mich. 

Wie sah Ihr Alltag in der Notfallmedizin aus? Wie stressig ist das? 

  • Sebastian Casu: Das ist schon Stress, und man muss es mögen. Es ist ein Gefühl, das man umarmen können muss. Wenn man das nicht kann, ist man am falschen Ort. Es ist unvorhersehbar, es ist jeden Tag etwas anders. Man kann sich selten zurückziehen und das tun, was man geplant hat. Und es ist natürlich ein großes Spannungsfeld aus Glück und Freude und erfüllter Tätigkeit, aber auch aus Niederlagen. 

Nun hat jede Branche besondere Themen. Gibt es Gemeinsamkeiten in der Führung von Teams? Welche sind das? 

  • Sebastian Casu: Natürlich brauchen alle Branchen einerseits eine gewisse Struktur, um funktionieren zu können. Die muss so aufgebaut sein, dass sie uns nicht hemmt im Alltag. Das fordert, dass man gut miteinander spricht und noch viel mehr, dass man gut zuhört. Und es fordert mittlerweile im schnellen Alltag, der überall gleich ist, dass man sich auf die einzelnen Kompetenzen verlassen kann und sie auch wirklich vollends ausschöpft, um konkurrenzfähig zu sein und auch das Beste in den Alltag zu bringen. Das wird im Schockraum der Notfallmedizin besonders deutlich, ist aber ehrlicherweise in einer anderen Abteilung genau das Gleiche, eben nur nicht so schnell. 

Wie lässt sich in extremen Situationen der Stress fürs Team verringern? 

  • Sebastian Casu: Das Wichtigste aus meiner Sicht ist psychologische Sicherheit. Etwa die Aussage der Führungskraft: Ich stehe hinter Euch. Psychologische Sicherheit bedeutet auch, dass man sich als Mitglied eines Teams trauen kann, seine Meinung zu sagen, zu fragen, Fehler zuzugeben oder Bedenken zu äußern – und das, ohne Angst haben zu müssen vor negativen Konsequenzen. Das ist die Grundlage dafür, dass sich jeder mit seinen Kompetenzen voll einbringt und in der Arbeit positiven Stress empfindet. Es ist die Grundlage für sogenannte High-Performing-Teams. 

In Ihrem Buch steht der Satz: Besser eine falsche Entscheidung als gar keine. 

  • Sebastian Casu: Ich liebe diesen provokativen Satz. Wenn wir den Leuten die Angst nehmen, auch mal falsch zu entscheiden, machen wir sie entscheidungsfreudiger und fördern Proaktivität. Allemal besser, als wenn das Schlimmste passiert: Die Zeit verstreicht und die Situation entscheidet. Das ist etwas, was insbesondere in Krisen keinem Unternehmen und auch nicht in der Notfallmedizin passieren darf. 

Viele Führungskräfte tun sich schwer damit, zu erkennen, wann sie schnell entscheiden sollten und wann es besser ist, zu bremsen und Dinge zu Ende zu denken. 

  • Sebastian Casu: Das zu entscheiden, ist die größte Kunst. Man lernt sie nur durch wiederholtes Handeln und durch das Aufarbeiten von Entscheidungen. Dafür ist wichtig, sich selbst einzugestehen, dass man eben auch falsch entschieden hat. 

In der Medizin spielen Checklisten eine große Rolle, um ein Teil der Entscheidungen zu ­standardisieren. 

  • Sebastian Casu: Wie in einigen anderen Arbeitsfeldern auch sind Checklisten in Hochrisikobereichen wie der Chirurgie, der Anästhesiologie, aber eben auch in meinem Fachgebiet der Notfallmedizin, der Standard schlechthin. Das bedeutet: Wir müssen uns einfach gut vorbereiten. Es ist zwar immer eine Restunsicherheit da, aber wenn wir es schaffen, in Checklisten die wichtigsten Themen zu platzieren und schrittweise abzuarbeiten, können wir im Rahmen des Ungewissen freier handeln. Das Gehirn funktioniert unter Druck auch nicht mehr optimal. 

Außerdem schreiben Sie in Ihrem Buch: Wer führen will, muss frei sein von Arbeit. 

  • Sebastian Casu: Man neigt als Führungskraft dazu, Dinge selbst machen zu wollen, wenn es heiß hergeht. Viele Führungskräfte sind in ihren Positionen nicht, weil sie großartige Führungskräfte sind, sondern weil sie das Handwerkszeug besonders gut beherrschen. Das ist in Krisenzeiten nicht das Wichtigste. Sie müssen vor allem drei Hauptaufgaben erfüllen. Nur so kann die Koordination des gesamten Teams mit allen Aspekten gelingen. 

Und die wären? 

  • Sebastian Casu: Es ist die Kommunikation nach innen und nach außen, damit der Tanker in die richtige Richtung fährt. Und die Entscheidungsfindung. Wenn ich als Führungskraft in der Notaufnahme versuche, sowohl den Beatmungsschlauch beim Patienten einzuführen als auch die Nadel in den Arm zu legen und Medikamente zu geben – wie soll ich dann gleichzeitig in der Lage sein, das komplette Team aus Narkoseabteilung, Chirurgie, Notfallmedizin ärztlich und pflegerisch so in Einklang zu bringen, dass alle mit ihren Synergien das Beste für Patientinnen und Patienten rausholen können? 

Viele Manager tun sich auch schwer zuzugeben, dass sie Hilfe benötigen. 

  • Sebastian Casu: Man muss frühzeitig erkennen, dass man auf einmal auch als Führungskraft nicht mehr so genau weiß, was man tun soll. Das Bauchgefühl sagt schon, wann der richtige Moment ist. Gute Führungskräfte sind solche, die sich grundsätzlich nicht scheuen, auf die Expertise ihres Teams oder von Externen zuzugreifen. Oft fehlt auch der Wille, miteinander zu entscheiden. 

Ist Bauchgefühl hilfreich, wenn entschieden werden muss?

  • Sebastian Casu: Mit dem Bauchgefühl müssen wir zwei Dinge tun. Wir müssen es objektivieren und wir müssen es kommunizieren. Es ist wichtig zu sagen, ich habe hier ein Bauchgefühl. Das begründet sich für mich jetzt wie folgt und ich möchte mit euch darüber reden. Denn wenn wir in eine Richtung gucken und das Ausmaß des Problems in dieselbe Stufe einstufen, dann wird es zwischen uns keine Reibereien geben und wir kommen gut voran. 

Thema Kommunikation. Miteinander reden statt übereinander, ist eine Binse, aber in Wirklichkeit nicht so leicht. Oder? 

  • Sebastian Casu: Es ist einfach sehr, sehr schwierig. Hier kommt der Führungskraft die wichtigste Funktion überhaupt zu, die Vorbildfunktion. Sie muss offen und direkt kommunizieren und das Gespräch suchen, auch wenn es manchmal unangenehm ist. Aber wer will schon über Dinge reden, die einen ärgern, wo Streit sicher ist? Und dann redet man vielleicht mit den Falschen über das Problem. Einfach mal anrufen, sagt sich leicht. Ist aber oft die Lösung. 

Was unterscheidet Lob und Wertschätzung voneinander? 

  • Sebastian Casu: Ein Lob ist immer mit der Gefahr verbunden, dass man sich über jemanden setzt und ihn von oben herab behandelt, selbst wenn man es gut meint. Aber es fühlt sich anders an. Zudem ist Lob häufig auf ein Ergebnis bezogen. Aber es geht nicht immer nur darum, etwas gut gemacht zu haben. Es geht auch darum, wie der Weg dorthin beschritten worden ist. Die Mühen zu sehen und anzuerkennen, ist wahre Wertschätzung und viel mehr wert als Lob. 

Vielen Menschen sind Besprechungen ein Graus. Wie lassen sie sich verbessern? 

  • Sebastian Casu: Eine Führungskraft muss lernen, sich zurückzuhalten. Ich habe das lange falsch gemacht und dann gesehen, dass eine Besprechung anders läuft, wenn ich in den ersten Minuten nichts sage und die anderen sich einbringen. Wichtig ist eine klare Struktur, die richtige Besprechung zur richtigen Zeit und als gestandene Führungskraft zum Schluss reden, damit sich die anderen nicht zu sehr beeinflusst fühlen und in der Lage sind, die Besprechung als solche zu nutzen

Der Stressumarmer

Bis Mai 2025 hat Sebastian Casu als Chefarzt die Zentrale Notaufnahme der Asklepios Klinik in Hamburg Wandsbek geleitet. Inzwischen ist er Chief Medical Officer des KI-Start-ups Elea, das das Gesundheitssystem revolu­tionieren soll. Er ist Spezialist für Führung in extremen Stresssituationen. 

 

Der Beitrag erschien in der November-Ausgabe von Markt und Mittelstand 2025

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