Vom Cockpit in die Chefetage: Was Manager von Kampfpiloten lernen können
Nicola Winter, ehemalige Kampfpilotin, erklärt, wie Führungskräfte Krisen meistern und ihr Unternehmen sicher durch Turbulenzen steuern können.

In der Wirtschaftswelt von heute gleicht die Führung eines Unternehmens oft dem Steuern eines Kampfjets durch feindliches Gebiet. Unerwartete Herausforderungen, blitzschnelle Entscheidungen und hoher Druck sind an der Tagesordnung. Wer könnte Führungskräften in solchen Situationen bessere Ratschläge geben als jemand, der tatsächlich Kampfjets geflogen ist?
Nicola Winter, ehemalige Bundeswehr-Pilotin teilt ihre Erkenntnisse darüber, wie man in Extremsituationen einen kühlen Kopf bewahrt und sein Team sicher durch die Krise führt. Heute lehrt sie Krisenmanagement und berät Managerinnen und Manager, wie sie in schwierigen Momenten am besten reagieren können. Denn selbst auf Unvorhergesehenes lässt sich systematisch reagieren.
Das Gespräch führte Thorsten Giersch.
Hatten Sie auch einen Rufnamen wie Maverick im Film „Top Gun"?
Nicola Winter: Natürlich: BamBam! Klingt auf Englisch noch ein bisschen cooler. Normalerweise verraten Jetpilotinnen und -piloten nicht, wo die Namen herkommen. Denn die Geschichten dahinter sind oft ein wenig peinlich. Die Rufnamen sollen uns bescheiden machen. In diesem Beruf hat man ein riesiges Ego. Alle finden sich ziemlich geil, außer das Flugzeug, das interessiert sich dafür nicht.
Wieso bekommt man ein großes Ego?
Nicola Winter: Wer ein Kampfflugzeug im Wert von 100 Millionen Euro ein paar Mal erfolgreich geflogen ist, kommt schon der Gedanke: Ich habe es echt voll drauf. Egal, wie schwierig die Situation ist, man darf ja nicht zweifeln. Man muss allen das Gefühl geben, die Lage im Griff zu haben. Auf der anderen Seite belehrt uns die Physik immer wieder eines Besseren. Wir sind Menschen, jeder macht Wahrnehmungsfehler. Es gibt eine sehr lange Liste an Dingen, warum auch sehr gute Pilotinnen und Piloten ums Leben kommen. Und daran versuchen wir uns jeden Tag zu erinnern.
Denn jeder Irrtum kann Sie und andere das Leben kosten.
Nicola Winter: Das ist eben anders als bei einem Vorstandsvorsitzenden. Deshalb ist bei uns Teamarbeit so entscheidend. Man kann ein großes Ego haben und dennoch verstehen, dass es nur im Team geht. Wir bekommen sehr direkt und sehr ehrliches Feedback. Deshalb gefällt mir der zweite Top-Gun-Film sehr viel besser als der erste.
Risikomanagement statt Mut: Die Kunst der Kontrolle
Sie müssen als Pilotin, inzwischen auch als Astronautin in Reserve der Europäischen Raumfahrtagentur ESA, ihr Leben Maschinen anvertrauen. Wie verändert das?
Nicola Winter: Ich bin ein komplett unmutiger Mensch. Bungee Jumping, Fallschirmspringen – im Leben nicht. Ich komme schon bei einer Fünf-Meter-Rutsche mit meiner Tochter auf dem Spielplatz an eine Grenze. Für mich ist das, was viele unter Mut verstehen, nichts anderes als Risikomanagement. Man darf im Notfall keinen 120er-Puls haben, sondern einen von 80. Es hat alles mit Kontrolle zu tun. Und dass wir diese Kontroll-Skills schon anerzogen und angelernt bekommen.

Verantwortung und Ethik: Mehr als nur Befehle befolgen
Über Jahrzehnte waren deutsche Soldaten nicht im Krieg. War Ihnen klar, dass Sie in maximal gefährliche Einsätze müssen?
Nicola Winter: Ja. Ich finde es heutzutage manchmal sehr anstrengend, weil viele Menschen mich seit dem Ukraine-Krieg mit der Frage konfrontieren: Bist du aber froh, dass du jetzt raus bist, wo es richtig losgeht bei der Bundeswehr? Die Bundeswehr war lange in Afghanistan im Einsatz, in Mali. Ich war in Estland an der europäischen Ostflanke präsent.
Anders als in anderen Armeen waren Sie als Bundeswehrsoldatin moralisch und rechtlich nicht auf der sicheren Seite, wenn Sie einen Befehl befolgten.
Nicola Winter: Wir dürfen einen Befehl, wenn wir der Meinung sind, dass er nicht rechtmäßig ist oder gegen unser Gewissen verstößt, nicht ausführen. Da haben wir als Deutsche sehr viel Verantwortung. Ich glaube, dass wir in Deutschland unglaublich privilegiert sind mit sehr viel Zugang zu kostenloser Bildung, mit einem sehr guten Sozialsystem, mit sehr vielen Rechten und Freiheiten. Die sind nicht überall auf der Welt selbstverständlich und für die haben Menschen vor uns sehr lange gekämpft. Und ich bin auch bereit für all diese Privilegien zu kämpfen oder dafür zu sorgen, dass andere Menschen sie genießen dürfen.
Wägen Sie Risiko anders ab, seit Ihre Tochter auf der Welt ist?
Nicola Winter: Die Frage hat mich sechs Monate lang beschäftigt, um dann festzustellen: Nein, es ändert sich nichts. Ich hatte auch vorher schon einen Überlebenswillen und keinerlei Heldinnen-Gen in mir. Aber man kann sich auch nicht wie die Gallier aus Angst, dass einem der Himmel auf den Kopf fällt, ins Schneckenhaus zurückziehen.
Vom Militär in die Wirtschaft: Ein mutiger Schritt
Sie sind jetzt 39. Mit 34 haben Sie bei der Bundeswehr aufgehört, sind zu einer großen Unternehmensberatung gewechselt und nun Dozentin für Krisenmanagement.
Nicola Winter: Es gab vieles, was dagegensprach. Ich war Berufssoldatin und hätte bis ans Ende meines Lebens richtig viel Geld vom Staat bekommen, außer ich hätte silberne Löffel geklaut. Dieses sanfte Becken habe ich verlassen, aber man hat nur ein Leben. Ich mache das mit dem Krisen- und Risikomanagement, weil Pilotinnen und Piloten ja genau das sind: Krisenmanager. Wir werden kaum gebraucht, wenn es glattläuft. Und eine Krise muss nicht unbedingt etwas dramatisch Schlechtes sein.
Wenn was gegeben ist?
Nicola Winter: Das Wichtigste, was man verstehen muss, ist, dass ein Krisenmanagement nur so gut sein kann wie die Vorbereitung. Wenn ich völlig unvorbereitet in eine Krise stolpere, habe ich mir selbst eine Herausforderung gebaut. Übrigens auch im Privaten: Wenn ich im Auto unterwegs war mit meinem Baby hinten drin, bin ich proaktiv den Ablauf durchgegangen. Was machst du, wenn jemand anders einen Unfall hat? Im Beruflichen sind es andere Fragen, aber viele spielen die Szenarien nicht vorher durch.
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