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Recht und Steuern > Corona-Krise

Aussetzung der Insolvenzantragspflicht: „Zahlungsunfähigkeit ist wie eine Bombe“

Die Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht ist richtig, denn sie ist streng. Es profitieren nur rechtstreue Unternehmen, die Aussichten auf Sanierung haben. Ein Kommentar von Claudius Siebert, Fachanwalt für Insolvenzrecht und Of Counsel bei Fieldfisher.

Der von der Bundesregierung beschlossene Entwurf einer Gesetzesänderung des Covid-19 Insolvenzaussetzungsgesetzes (COVInsAG), sieht eine Verlängerung der wegen Corona suspendierten Insolvenzantragspflicht bis Ende des Jahres vor. Das klingt erst einmal großzügig und führt zu hitzigen Diskussionen, ob dadurch vom Staat sehenden Auges Zombie-Unternehmen gezüchtet werden. Denn der Vorwurf steht im Raum, dass längst insolvenzreife Unternehmen legal immer weitermachen dürfen und in steigendem Maße – noch für Außenstehende unerkannt – Gelder verbrennen und im Ergebnis Kunden und Lieferanten schädigen. Bisher war mit einer Insolvenzwelle zum Zeitpunkt des Auslaufens der Aussetzung am 30. September gerechnet worden. 

Die geplante Gesetzesänderung ist jedoch viel strenger und differenzierter, als zu erwarten war. Als das Insolvenzaussetzungsgesetz inmitten steigender Infektionszahlen, heftiger Einschränkungen des öffentlichen Lebens und brutaler Einbrüche für die Wirtschaft am 27. März 2020 in Rekordzeit beschlossen wurde, sah der Gesetzestext die Möglichkeit einer unkomplizierten Verlängerung bis zum 31. März 2021 vor. Einzige Voraussetzung waren windelweiche Kriterien wie „andauernde Finanzierungsschwierigkeiten“ der Unternehmen oder eine „fortbestehende Nachfrage nach verfügbaren öffentlichen Hilfen“. Doch die jetzt absehbare Verlängerung soll nur noch für Unternehmen gelten, die den Tatbestand der insolvenzrechtlichen Überschuldung nach § 19 Abs. 1 InsO erfüllen und zugleich eine Aussicht auf Gesundung haben. Keinen weiteren Schutz bekommen dagegen zahlungsunfähige Unternehmen, egal wie sehr Corona daran schuld ist oder ob noch Sanierungschancen bestehen. Das ist eine ganz erhebliche Zäsur und wird viele Unternehmen treffen.

 

Ist das zu streng? Nein, denn der Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit ist wie eine Bombe. Ein zahlungsunfähiges Unternehmen ist zerstörerisch für andere Marktteilnehmer. Vereinfacht kann man sagen, ein Unternehmen auf dem Weg in die Insolvenz erreicht erst Schritt für Schritt die Stufe der insolvenzrechtlichen Überschuldung, um dann immer steiler abzurutschen und hinabzustürzen bis in die endgültige Zahlungsunfähigkeit. Die Überschuldung sagt aus, dass alle Vermögenswerte des Unternehmens zusammen die Schulden nicht mehr decken. Aber beim Schritt in die Überschuldung sind zumindest noch Vermögenswerte vorhanden, Schulden sind wenigstens noch anteilig mit Werten gedeckt. Hat das überschuldete Unternehmen gleichwohl noch Zukunftspotential, ist eine Sanierung hoch erfolgversprechend. Das ist auch der Grund, warum es nur für überschuldete, aber nicht für zahlungsunfähige Unternehmen das Schutzschirmverfahren gibt.  

 

Ganz anders bei der Zahlungsunfähigkeit. In der Realität werden oft zunächst alle Vermögenswerte zu Cash gemacht, um fällige Schulden zu bedienen. Zugleich werden Stundungen und Ratenzahlungen verhandelt, um an sich längst fällige Schulden in die Zukunft zu verschieben. Das geht so lange, bis gar nichts mehr da ist und die Zahlungsunfähigkeit eintritt. Bei zahlungsunfähigen Unternehmen sind in der Praxis meist alle Bankkonten leer, die Maschinen verkauft und alle Vermögenswerte für Kredite verpfändet oder abgetreten. Totalausfälle sind häufig. Folgeinsolvenzen von Gläubigern sind möglich. Das ist der Grund, warum sich zahlungsunfähige Unternehmen kaum noch sanieren lassen. Der Ofen ist nun mal aus, wenn das Brennholz verheizt ist.

insolvenzrechtliche Absicherung gestört

Normalerweise (vor Corona) ist daher bei haftungsbeschränkten Unternehmen die Zahlungsunfähigkeit nur ein ergänzender Insolvenzgrund neben der Überschuldung. Wenn die Überschuldung ignoriert wird, um widerrechtlich bis zur Zahlungsunfähigkeit zu warten, liegt bereits mit Eintritt der meist viel früheren Überschuldung eine Insolvenzverschleppung vor, und die Geschäftsführung macht sich strafbar und haftet persönlich. Das COVInsAG hat diesen Ausgleich, die doppelte insolvenzrechtliche Absicherung der Gläubiger, durcheinandergebracht. Die insolvenzrechtliche Überschuldung kann im Rahmen des COVInsAG aktuell suspendiert sein. Dann darf – bildlich – das Brennholz gesetzeskonform weiter verheizt werden, bis zur Zahlungsunfähigkeit. Und selbst die Zahlungsunfähigkeit konnte bisher noch immer keinen Insolvenzantrag erzwingen, falls sie erneut auf Ursachen von Covid-19 beruhte und Aussichten auf Sanierung bestanden, selbst wenn diese sich im Nachhinein als illusorisch herausstellen könnten. Daher war die Aussetzung des Insolvenzgrundes der Zahlungsunfähigkeit riskant und nur für den kurzen Zeitraum gerechtfertigt.

Mit der voraussichtlichen Änderung ist nun ab der Zahlungsunfähigkeit Schluss. Die Überschuldung als Insolvenzgrund bleibt zwar ausgesetzt, aber hier greift als ausgleichender Faktor das zwingende Erfordernis der positiven Sanierungsaussicht, die das Risiko für Gläubiger in Geschäftsbeziehungen akzeptabel hält. Zumal werden bei jeder erfolgreichen Sanierung auch Marktstrukturen und Arbeitsplätze erhalten bleiben. 

Doch was passiert, wenn die Sanierung bei einem Unternehmen doch aussichtslos wird? Dann ist auch die Aussetzung des Insolvenzgrundes der Überschuldung sofort beendet. Es darf nicht bis zum Auslaufen der Frist des COVInsAG gewartet werden. Und nicht für jedes Unternehmen, das von der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht Gebrauch macht und sich noch in Sicherheit wiegt, bedeutet das auch, dass es vom Schutz des COVInsAG tatsächlich erfasst ist. Spätestens wenn im Worst Case später ein Insolvenzverwalter sich an die Analyse des Unternehmens macht, wird er auch prüfen, ob die Voraussetzungen zur Inanspruchnahme des COVInsAG vorlagen. Einige Geschäftsführer werden sich in der unbequemen Situation der Erklärungsnot wiederfinden. Zwar obliegt es dem Insolvenzverwalter die Beweise anzuführen, dass Covid-19 gar nicht ursächlich war und keine positive Sanierungsprognose bestand. Allerdings dürfte dieser Beweis durchaus gelingen, wenn die Unternehmen den Sachverhalt nicht detailliert aufgezeichnet haben. Um auf der sicheren Seite zu sein und einer solchen Situation vorzubeugen, ist es ratsam, bereits jetzt eine detaillierte Dokumentation mit einer Daten-, Fakten- und Dokumentensammlung aufzustellen. Durch die Dokumentation können im Falle eines Vorwurfes durch den Insolvenzverwalter zurückliegende Vorgänge zugänglich und die Nachweise auch Jahre später erbracht werden. 

Der Autor Claudius Siebert ist Fachanwalt für Insolvenzrecht und war über zehn Jahre als Insolvenzverwalter am Amtsgericht München bestellt. Dabei hat er mehr als 100 Unternehmensinsolvenzen, auch mit internationalen Verflechtungen, betreut. Schwerpunkt seiner Arbeit sind die Beratung aller Verfahrensbeteiligten in Unternehmensinsolvenzen sowie die Begleitung von Restrukturierungen und Sanierungen von Unternehmen. 

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