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Familienunternehmen: EU verstößt gegen das Demokratieprinzip

Ein Gutachten kommt zu dem Schluss: Verfahren für Nachhaltigkeitsstandards sind unvereinbar mit EU-Recht.

Ein Richterhammer liegt vor einer EU-Flagge.

Die EU hat für den Erlass von Nachhaltigkeitsstandards ein Verfahren gewählt, das gegen die EU-Verträge verstößt. Das ist das Ergebnis eines Gutachtens der Stiftung Familienunternehmen, verfasst von Martin Nettesheim, Professor für Europarecht an der Universität Tübingen. Er verweist darauf, dass damit auch gegen Vorgaben des deutschen Grundgesetzes verstoßen würde. Es geht um die geplante Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), also die Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. Die dafür nötigen Standards müssten eigentlich zwischen Parlament und Rat diskutiert werden. Die Rechtssetzung ist aber an die EU-Kommission delegiert worden. Selbst diese legt nur wenige Kernpunkte fest und verweist die Details an eine externe Organisation. Diese „Efrag“ (European Financial Reporting Advisory Group) ist eine private Beratungsgesellschaft unter dem Einfluss von Interessengruppen.


Das Verfahren ist de facto eine Privatisierung von EU-Hoheitsgewalt, die nicht von den EU-Verträgen gedeckt ist. „Die Entscheidungen des EU-Gesetzgebers berühren das Recht auf Demokratie und die Verfassungsidentität“, sagt Nettesheim. „Sie können deshalb im Wege der Verfassungsbeschwerde von allen Deutschen angegriffen werden.“


Europäische Unternehmen ab einer gewissen Größe sollen künftig nicht nur über ihren Geschäftserfolg berichten, sondern auch über die Erfüllung bestimmter ökologischer und sozialer Kriterien. Das galt schon seit einigen Jahren für kapitalmarktorientierte Gesellschaften und soll nun ausgeweitet werden. Die künftigen Standards soll die Efrag vorbereiten. Die EU-Kommission will auf dieser Grundlage „delegierte Rechtsakte“ erlassen, die damit zu bindenden Vorgaben für die betroffenen Unternehmen werden.


„Es ist im Sinne der Familienunternehmen, dass die Politik eine zukunftsorientierte Unternehmensführung fördert“, sagt Professor Rainer Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen. „Dies muss aber mit demokratischer Legitimation und rechtssicher gelingen. Es dürfen nicht ständig neue Papiertiger geschaffen werden. Bleibt es bei den Plänen der EU, verkommt die Nachhaltigkeitsberichterstattung zum Beschäftigungsprogramm für Berater. Ziel muss es doch sein, mit technologischen Innovationen und leistungsfähigen Ingenieuren den Klimaschutz voranzubringen.“


Nettesheim prüft in seinem Gutachten zum einen die Delegation der europäischen Rechtssetzung an die EU-Kommission. Diese verstoße gegen das Wesentlichkeitsprinzip und das Bestimmtheitsprinzip (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, AEUV, Artikel 290). Denn die hier geregelten Aspekte seien für die Unternehmen so wesentlich, dass die Festlegung dieser Standards nicht im geplanten Umfang der EU-Kommission überlassen werden kann. Zudem seien Ziel und Inhalt der Standards nicht präzise genug festgelegt worden.


Zum anderen stellt Nettesheim die privilegierte Stellung der Efrag in Frage. Sie verstoße gegen EU-Verfassungsrecht und widerspreche dem Vertrag über die Europäische Union (EUV) in mehreren Punkten. Die CSRD laufe dem jahrelangen Bemühen der EU-Kommission zuwider, den Einfluss bestimmter Gruppen zurückzudrängen und den gleichen Zugang zu den Verfahren der Rechtssetzung zu sichern.
Mit seiner Studie „Nachhaltigkeitsberichterstattung: Zur Unionsrechtskonformität des CSRD-Standardsetzungsverfahrens“ rückt Nettesheim auch andere Gesetzgebungsverfahren in den Fokus, die sich ebenfalls des Verfahrens zur delegierten Rechtssetzung bedienen – so zum Beispiel das geplante EU-Lieferkettengesetz.  

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