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Recht und Steuern > Urteil der Woche

Keine Behauptung von Diskriminierung „ins Blaue hinein“

Bei der Besetzung von freien Stellen müssen Betriebe streng darauf achten, keine Bewerber zu diskriminieren. Entscheiden sie sich am Ende nicht für einen Bewerber mit einer Behinderung, sondern für einen anderen Kandidaten, stellt sie das aber nicht automatisch unter den Generalverdacht der Diskriminierung.

Der Fall

Geklagt hatte ein Diplomtheologe, der sich als Leiter der Telefonseelsorge beworben hatte. In seiner Bewerbung wies er darauf hin, dass er als schwerbehinderter Mensch anerkannt sei. Als die spätere Beklagte ihn zu einem Online-Vorstellungsgespräch einlud, sagte der Mann den Termin zwar zu, wählte sich aber dann nicht ein. Auf Nachfrage nannte er technische Probleme, entschuldigte sich allerdings nicht für den Ausfall. Am darauffolgenden Tag wurde das Gespräch nachgeholt; auch die Schwerbehindertenvertretung nahm daran teil.

 

Die Stelle bekam schließlich ein anderer – und der Theologe klagte auf 8.000 Euro Entschädigung. Seine Begründung: „Er sei nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden, dessen Verlauf auf eine Einstellung habe schließen lassen.“ Solange die Beklagte nicht nachgewiesen habe, dass sie sich an die Vorgaben des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes (AGG) gehalten habe, sei von einer Diskriminierung auszugehen. So eine Beweislastumkehr meinte der Kläger, entspreche der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.

Das sagt das Landesarbeitsgericht München

So stimmt das nicht, urteilten die Richter und versagten dem Kläger einen Anspruch auf Entschädigung. Um einen effektiven Rechtschutz bei Diskriminierungen zu erreichen, sehe das AGG zwar tatsächlich eine Umkehr der Beweislast vor, wenn es darum gehe, nachzuweisen, dass ein Diskriminierungsmerkmal nach dem AGG – u.a. Geschlecht, Alter, Religion oder eben eine Behinderung – Grund für eine Benachteiligung ist. Das gelte aber nur dann, wenn die vermeintlich benachteiligte Person tatsächlich Indizien vorträgt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf eine Diskriminierung schließen lassen. Die bloße Behauptung „ins Blaue hinein“ ohne tatsächliche Anhaltspunkte, so das LAG in seinem Urteil, genügt hingegen nicht.

Das sagt die Expertin

Bei dem Fall drängt sich schnell der Verdacht „AGG-Hoppings“ auf; nach dem Sachverhalt hatte der Kläger kein ernsthaftes Interesse an der Stelle – dafür aber umso mehr Interesse an einer Entschädigung. Nach Ansicht von Sandra Urban-Crell, Partnerin im Arbeitsrecht bei McDermott Will & Emery, können Arbeitgeber insofern beruhigt sein, als die Ablehnung schwerbehinderter Bewerber allein keine Entschädigungspflicht auslöst. Gleichwohl lautet ihr Rat: „Die diskriminierungsfreien Gründe für die Ablehnung, also zum Beispiel eine fehlende fachliche Qualifikation oder mangelnde Eignung für die konkret ausgeschrieben Stelle, sollten Arbeitgeber allerdings genau dokumentieren. Nur so können sie im ungünstigsten Fall einer Klage selbst den geringsten Anschein einer Diskriminierung widerlegen.“
 
Urteil des LAG München vom 10.10.2022 - 4 Sa 290/22

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