Beitrag teilen

Link in die Zwischenablage kopieren

Link kopieren
Suchfunktion schließen
Recht und Steuern > CO2-Zertifikate

Freikaufen für ein grünes Image

Für das gute Gewissen beim Klimaschutz hat sich eine Art moderner Ablasshandel entwickelt. Mit Zertifikaten und anderen Konzepten lässt sich viel Geld verdienen.

Im Mittelalter konnten reuige Sünder in der Kirche eine Begnadigung erkaufen und sich einen Platz im Himmelreich sichern. In unseren Tagen sorgen irdische Abgaben auf den CO2-Ausstoß für ein ruhiges Öko-Gewissen und ein grünes Image. Der Unterschied: Während im Mittelalter die katholische Kirche ein Monopol auf den Ablasshandel hatte, machen heute mehrere Akteure Kasse. So hält der Staat seit Anfang des Jahres ganz direkt die Hand auf. Jede Tonne CO2, die über fossile Brennstoffe in die Luft gelangt, wird mit 25 Euro besteuert. Diesel ist dadurch acht Cent pro Liter teurer geworden, Benzin sieben Cent. Das Bundesfinanzministerium erwartet für 2021 Erlöse von gut 7,4 Milliarden Euro. Und es wird immer teurer: Im Jahr 2025 kostet der CO2-Obolus dann 55 Euro je Tonne.

Abgaben auf Kohlendioxid sind nicht neu. In der EU werden bereits seit 2005 Emissionsrechte verteilt und gehandelt. Wer mehr Treibhausgase ausstößt als er Verschmutzungsrechte zugeteilt bekommt, muss zusätzliche Zertifikate ersteigern. Aktuell sind etwa 12.000 Anlagen aus 28 EU-Mitgliedsstaaten sowie aus Island, Liechtenstein und Norwegen am Emissionshandel beteiligt. Seit 2013 müssen alle Kraftwerksbetreiber für das Verbrennen von Kohle oder Gas CO2-Zertifikate kaufen. Industriebetriebe anderer Branchen sowie Fluggesellschaften im innereuropäischen Verkehr benötigen ebenfalls staatlichen Dispens, wenn sie Kohlendioxid in die Luft pusten. Selbst die EU-Staaten sind verpflichtet, sich mit Zertifikaten einzudecken, wenn ihre Klimapolitik nicht greift.

Der Preis steigt

Die EU unterstellte anfangs jedoch eine zu hohe Menge der Gesamtemissionen. Zudem wurde übersehen, dass Unternehmen Verschmutzungsrechte gutgeschrieben bekommen, wenn sie andere Umweltmaßnahmen ergreifen. Dies wurde aber lange nicht von der Gesamtmenge abgezogen. Somit waren mehr Zertifikate im Handel, als tatsächlich benötigt wurden. Dieser Überschuss ließ die Preise purzeln: Von 30 Euro fiel der Preis zeitweise auf unter drei Euro. Doch die EU hat nachgebessert und die Zeiten der billigen Zertifikate sind inzwischen passé. Im Durchschnitt kostete 2020 ein Zertifikat knapp 25 Euro. Im Januar stieg der Preis auf über 33 Euro und kletterte im Juni sogar auf mehr als 52 Euro. Und es wird weiter an der Preisschraube gedreht. Im Jahr 2026 sollen die Zertifikate aus der deutschen CO2-Abgabe nicht mehr nach Festpreis erhoben, sondern versteigert werden: für 55 bis 65 Euro die Tonne. Der Preis richtet sich dann nach Angebot und Nachfrage.

"Eigentlich müsste der CO2-Preis mindestens 80 Euro betragen, damit er eine klare Lenkungswirkung entfaltet und die Emissionen sinken. Da sind sich die Wissenschaftler einig", meint Benjamin Stephan, Verkehrsexperte bei Greenpeace. Die Zahlen der Denkfabrik Agora bestätigen diesen Eindruck. Die Experten erwarten, dass die deutschen Treibhausgasemissionen in diesem Jahr voraussichtlich um rund 47 Millionen Tonnen CO2 höher liegen als 2020. Das sei der größte Anstieg seit 1990. Demnach würde Deutschland wieder deutlich hinter das eigene Klimaziel von 40 Prozent Emissionsminderung zurückfallen. Die Zertifikate haben zwar klimatechnisch noch nicht den gewünschten Effekt gebracht, doch das Geschäft damit ist weit mehr als nur heiße Luft. Unternehmen, die durch Emissionsreduzierung einen Überschuss an Zertifikaten erzielen, können damit direkt oder über eine Börse wie die European Energy Exchange (EEX) in Leipzig handeln. Dort wird der Preis einmal täglich per Auktion ermittelt.

Es gibt auch weitere Emissionsmärkte, aber der Markt der EU dominiert mit 80 Prozent des globalen Handelsvolumens. Die jüngsten Kursentwicklungen locken inzwischen auch private Interessenten an. Natürlich dürfen Kleinanleger nicht um die CO2-Zertifikate mitbieten und sie erhalten auch keine Emissionsberechtigungen zugeteilt. Dennoch können sie etwa über Indexzertifikate mitverdienen. So hätten Anleger beispielsweise zwischen Juni 2018 und April 2021 ihre Investition mehr als verdreifacht.

Tesla profitiert

Einige Unternehmen haben rund um die CO2- Regeln sogar ein Geschäftsmodell entwickelt. Herausragendes Beispiel ist Tesla. Der amerikanische Konzern lässt sich die produzierten Elektroautos anderen Herstellern zurechnen. Durch dieses sogenannte Pooling sparen sich diese Autobauer wiederum hohe CO2-Abgaben. Tesla lässt sich diese Integration vergolden und ist so überhaupt erst aus den roten Zahlen gekommen. Ohne den teuflisch lukrativen Ablasshandel in der Autoindustrie könnte Tesla den eigenen Aktionären keine Profite vorlegen. Allein im vergangenen Jahr haben die Kalifornier stolze 1,6 Milliarden Dollar durch den Emissionspakt mit den Wettbewerbern verdient. Fiat-Chrysler Automobiles (FCA) bezahlte beispielsweise zwischen 2019 und 2021 rund 2,4 Milliarden Dollar an Tesla. Allein im ersten Quartal 2021 hat das Unternehmen von Elon Musk bereits 518 Millionen Dollar mit solchen Geschäften verdient. Jetzt muss sich Tesla allerdings nach einem neuen zahlungskräftigen Partner umsehen. FCA ist im Zuge der Fusion mit dem französischen Peugeot-Konzern PSA in dem neuen Autoriesen Stellantis aufgegangen. Und dessen CEO Carlos Tavares will es aus eigener Kraft schaffen, die Emissionsvorgaben der EU zu erfüllen. Tesla ist aber auch noch mit anderen Konkurrenten wie GM oder Honda im Pooling-Geschäft. Und es könnten bald neue Interessenten anklopfen, denn die Vorgaben der EU sollen noch strenger werden. Aktuell liegt der Flottenschnitt, an den alle Autohersteller gebunden sind, bei 95 Gramm CO2 je Kilometer. Von 2030 an soll der Wert nach den EU-Plänen auf 43 Gramm je Kilometer sinken.

Die Tesla-Konkurrenten haben also die Wahl: Entweder sie begeistern die Kundschaft für ihre Elektroautos oder es steht ein Bittgang bei Elektropapst Elon Musk an. Immer mehr Unternehmen gleichen ihre Emissionen mit Kompensationsleistungen an anderer Stelle aus und preisen sich werbewirksam als "klimaneutral". So hat sich beispielsweise der Bosch-Konzern bereits im vergangenen Jahr von den fossilen Brennstoffen verabschiedet – zumindest auf dem Papier. Zum Ausgleich investieren die Stuttgarter bis 2030 mehr als eine Milliarde Euro in den weltweiten Ausbau von regenerativen Energien. Zudem seien die eigenen Emissionen innerhalb eines Jahres auf 1,94 Millionen Tonnen CO2 nahezu halbiert worden, frohlockt der Konzern. Allerdings konnte diese Menge nur zu 75 Prozent mit dem Kauf von Grünstrom ausgeglichen werden, wie man Anfang des Jahres einräumen musste. Außerdem will man sich nicht in die Karten blicken lassen, wie im Detail die eigenen Emissionen tatsächlich kompensiert werden. Das wirft einen Schatten auf das grüne Handeln in Stuttgart.

Dubiose Projekte

Die Verbraucher selbst können ebenfalls ihr schlechtes Umweltgewissen beruhigen, indem sie sich an der CO2-Kompensation mit Spenden oder Zusatzbeiträgen beteiligen. Bei Flugreisen stehen zur Öko-Abbitte verschiedene Organisationen wie Atmosfair, Klimakollekte oder Myclimate bereit. Sie versprechen, dass die Gelder in Projekte wie energieeffiziente Kocher in Ruanda, Solarlampen in Indien oder Biogasanlagen investiert werden. Oder die Verbraucher fördern die Baumpflanzung in Brasilien durch den Verzehr einer Pizza. Mehr als 100.000 Setzlinge seien schon gepflanzt worden, meldet „Gustavo Gusto“ aus dem bayerischen Geretsried. Bei dieser Form der CO2-Buße steckt jedoch der Teufel im Detail. Oft ist die Kompensation nicht nachvollziehbar. "Wir sehen das kritisch, denn da sind auch viele dubiose Projekte dabei", erklärt Greenpeace-Verkehrsexperte Stephan. Er nennt das Beispiel Volkswagen. Der Konzern preiste den Elektro-SUV ID.4 als klimaneutral an und kompensierte den CO2-Fußabdruck mit der Beteiligung an einem Waldprojekt in Indonesien. Bei näherem Hinsehen sei dieses Projekt aber gar nicht für eine Kompensation tauglich gewesen, rügt Stephan. Inzwischen ist VW wieder ausgestiegen.

Aus Sicht der Umweltaktivisten wäre es ohnehin sinnvoller, wenn Industrie und Verbraucher mit ihrem Verhalten für weniger Emissionen sorgen, statt nachträglich nach Kompensationsmöglichkeiten zu suchen. "Solche Luftbuchungen bringen uns nicht weiter", sagt Stephan. Mit den Einnahmen aus der CO2-Abgabe will die Bundesregierung unter anderem Umweltprojekte fördern, Pendler entlasten und die Strompreise senken. Allerdings gilt die Pendlerpauschale erst ab 30 Kilometern und nach Corona ist der Finanzminister über jede Einnahme froh, die er bekommen kann. Billiger Strom dürfte wohl ein frommer Wunsch bleiben. Tatsächlich kennen die Preise nur eine Richtung – zum Himmel. Nach Berechnungen des Vergleichsportals Verivox sind die Kosten für einen Haushalt zwischen 2004 und 2020 von 712 auf 1180 Euro gestiegen. Auch für die Industrielegten die Strompreise seit 2000 um rund zehn Cent auf inzwischen 18 Cent zu. Die Kosten der CO2-Bepreisung geben die Unternehmen an die Verbraucher weiter. Somit wirken sich die Abgaben für die Bürger wie eine Steuer aus.

Ein Entrinnen aus dieser teuflischen Kostenfalle ist nahezu unmöglich. Zwar kann man der Politik bescheinigen, dass sie mit den Emissionsrechten prinzipiell den Klimaschutz im Blick hat. Doch bisher ist es vor allem ein himmlisches Geschäft mit heißer Luft, für das am Ende der Verbraucher zahlt und das dem Klima wenig bringt. Selbst für Papst Franziskus, also den Nachfolger jener Ablasshändler aus dem Mittelalter, ist das System scheinheilig. Er rügte schon 2017: "Die Flugzeuge verschmutzen die Atmosphäre, aber mit einem Bruchteil der Summe des Ticketpreises werden dann Bäume gepflanzt, um den angerichteten Schaden zu kompensieren." Wenn man diese Logik auf die Spitze treibe, werde es eines Tages so weit kommen, dass Rüstungskonzerne Krankenhäuser für jene Kinder einrichteten, die ihren Bomben zum Opfer fielen. "Das ist Heuchelei", befand der Papst. Amen.

Ähnliche Artikel