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Recht und Steuern > Interview

Wie zeitgemäß ist das deutsche Insolvenzrecht?

Aufgrund der Nachwirkungen der Pandemie, Störungen in den Lieferketten und steigenden Energiekosten zeichnet sich ab, dass mehr Unternehmen in eine Krise geraten werden. Uwe Goetker, Rechtsanwalt und Partner bei McDermott Will & Emery in Düsseldorf, schildert im Interview, wie es aktuell um das Insolvenzrecht in Deutschland bestellt ist und was der Gesetzgeber daran ändern will.

Wegen der hohen Energiepreise drohen zahlreiche UnternehmensinsolvenzenBild: Shutterstock

Wegen der hohen Energiepreise drohen zahlreiche Unternehmensinsolvenzen. Ist das deutsche Rechtssystem darauf vorbereitet?

 

„Trotz der Folgen der Corona-Pandemie und des Ukraine-Krieges liegt die Zahl der Unternehmensinsolvenzen seit Jahren auf einem historisch extrem niedrigen Niveau. Daher wird unser Rechtssystem auch mit höheren Insolvenzzahlen umgehen können. Doch sind angesichts niedriger Zahlen auch Kapazitäten abgebaut worden. Daher befürchte ich, dass es bei einer plötzlichen Insolvenzwelle Engpässe geben kann, da erfahrene Sanierungs- und Insolvenzexperten fehlen. Unternehmensleiter sollten auch vor diesem Hintergrund ihren Pflichten zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement nachkommen und sich lieber früher als später fachkundigen Rat einholen.“

 

Wie zeitgemäß ist das Insolvenzrecht?

 

„Das deutsche Insolvenzrecht wurde in den letzten Jahren laufend verbessert. Es bietet zahlreiche Sanierungsmöglichkeiten und ermöglicht im selben Verfahren sowohl die Sanierung des Unternehmens als auch dessen Liquidation und Abwicklung. Seit Anfang 2021 wird es durch den präventiven Restrukturierungsrahmen des StaRUG ergänzt. Dieser ermöglicht, bereits bei drohender Zahlungsunfähigkeit ­– und damit schon vor dem Eintritt einer Insolvenzantragspflicht – vertraulich mit sachgerecht ausgewählten Gläubigergruppen und den Gesellschaftern einen Restrukturierungsplan umzusetzen. Dieser kann mit 75 Prozent der Stimmen jeweils in der Mehrheit der Gruppen auch gegen den Willen widersprechender Gläubiger umgesetzt werden.“

 

Sehen Sie auch Änderungsbedarf?

 

„Der Geschäftsleiter einer haftungsbeschränkten Gesellschaft, etwa einer GmbH, GmbH & Co. KG oder AG, muss einen Insolvenzantrag stellen, wenn er für die nächsten zwölf Monate keine positive Fortführungsprognose stellen kann und die Gesellschaft bilanziell überschuldet ist. Verletzt er diese Pflicht, setzt er sich erheblichen persönlichen Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken aus. Bei Prognosen besteht aber schon in normalen Zeiten immer die Gefahr, dass die getroffenen Annahmen im Nachhinein als nicht vertretbar angesehen werden.

 

Fachkreise fordern daher schon lange, die Überschuldung als zwingenden Insolvenzgrund abzuschaffen, was der Gesetzgeber bislang abgelehnt hat. Die unsichere politische und wirtschaftliche Lage führt derzeit zu einer beispiellosen Prognoseunsicherheit, die das Problem weiter verschärft. Geschäftsleiter müssen sich fragen, ob sie „auf Sicht fahren" und persönliche Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken in Kauf nehmen - oder aber vorsorglich einen Insolvenzantrag stellen.“

 

Ist hier Besserung in Sicht?

 

„Die Bundesregierung hat das Problem erkannt und reagiert unter anderem mit einer zeitlich begrenzten Erleichterung bei der Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung. Geplant ist, die Fortführungsprognose von zwölf auf vier Monate zu verkürzen. So soll die Planungsunsicherheit verringert und den Unternehmen Zeit gegeben werden, ihre Geschäftsmodelle anzupassen. Darüber hinaus beabsichtigt die Bundesregierung, die Höchstfrist für die Stellung eines Insolvenzantrags wegen Überschuldung vorübergehend von derzeit sechs auf acht Wochen zu erhöhen. Damit trägt sie dem Umstand Rechnung, dass sich Verhandlungen mit potenziellen Investoren, Kreditgebern und anderen Stakeholdern über Maßnahmen zur Sanierung des Unternehmens im aktuellen Umfeld schwierig gestalten und mehr Zeit in Anspruch nehmen können.

 

Es gilt aber zu bedenken, dass diese Erleichterungen die strukturellen Ursachen für die Krise vieler Unternehmen nicht beheben. Insofern kommt den übrigen angekündigten Entlastungen wie dem Gaspreisdeckel, deren konkrete Ausgestaltung abzuwarten bleibt, sicherlich eine größere Bedeutung zu. Unternehmen, die wegen gestiegener Energiekosten, dem Fachkräftemängel oder aus anderen Gründen nicht rentabel wirtschaften können, laufen weiterhin Gefahr, zahlungsunfähig zu werden.

 

Vor diesem Hintergrund ist Geschäftsleitern trotz der insolvenzrechtlichen Erleichterungen dringend zu raten, die Liquidität ihres Unternehmens laufend und vorausschauend zu überwachen, um rechtzeitig Sanierungsmaßnahmen, ggf. auch unter Inanspruchnahme der Instrumente der Insolvenzordnung oder des StaRUG einleiten zu können.“

 

Wie lange dauert es, bis die Reform greift?

 

„Die Anpassung soll Teil des dritten Entlastungspakets der Regierung sein. Das Bundeskabinett hat dazu einen von Bundesjustizminister Buschmann vorgelegten Entwurf einer Formulierungshilfe für ein „Sanierungs- und insolvenzrechtliches Krisenfolgenab-milderungsgesetz“ (SanInsKG) beschlossen, welches das bisherige „COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz“ (COVInsAG) ablösen soll. Bundestag und Bundesrat müssen den Vorschlag noch verabschieden.“

Dr. Uwe Goetker berät Unternehmen und Geschäftsleitungen bei außergerichtlichen und gerichtlichen Sanierungen (einschließlich Eigenverwaltungen und Insolvenzplanverfahren). Gläubiger und Gesellschafter unterstützt er bei der Wahrung ihrer Interessen in Krisensituationen sowie „Distressed Debt/Asset“-Investoren/-Verkäufer bei Transaktionen. Er ist Autor eines Buches über die Verpflichtungen der Geschäftsleitung in Insolvenzsituationen und Mitherausgeber eines Buches zu grenzüberschreitenden Insolvenzen. Daneben verfasste er zahlreiche Buchbeiträge und Artikel zu aktuellen Restrukturierungs-/Insolvenz- und M&A-Themen.

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