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Technologie > Additive Fertigung

3-D-Druck in der Industrie: Revolution in der Produktion?

Die additive Fertigung gibt es eigentlich schon seit Jahrzehnten, doch lange konnten sich 3-D-Drucker nicht durchsetzen. Das ändert sich gerade. Aber alle Erwartungen können die Wundermaschinen nicht erfüllen.

Falsche Erwartungen: Wenn Stephan Kegelmann Besuch bekommt von Einkäufern, die ihre Konstruktionszeichnungen dabei haben und fragen, was das Bauteil in additiver Fertigung kosten würde, muss er erst mal ausholen. „Wer ein über Jahre durchoptimiertes und durch den Einkauf nah an die Grenzkosten der Fertigung geprügeltes Produkt alleine durch den Wechsel des Fertigungsverfahrens noch günstiger herstellen will, der ist auf dem Holzweg“, urteilt der Experte für additive Fertigung. In seinem Unternehmen, der Kegelmann Technik, macht der Inhaber und Geschäftsführer seit einem Viertel­jahrhundert nichts anderes, als Prototypen und Kleinserien aus Metall und Kunststoff herzustellen. Dabei nutzt er ein Verfahren, das aus Kunststoff- oder Metallpulver per Laserstrahl geschmolzene Schichten aufeinander aufträgt, bis die nach Vorgabe eines Konstruktionsprogramms gewünschte dreidimensionale Form entstanden ist. Dieser 3-D-Druck wird auch generative oder additive Fertigung sowie Rapid Prototyping genannt.

Kegelmanns Rat ist gesucht. Doch wenn potentielle Geschäftspartner mit irrigen Vorstellungen zu ihm kommen, ist Ernüchterung programmiert. Denn die additive Fertigung ist nicht günstiger als herkömmliche Verfahren. Kegelmann schlägt daher eine grundsätzlich andere Betrachtung des zu lösenden Problems vor: „Für den 3-D-Druck muss man als Konstrukteur völlig neu, eben additiv, denken. Im Prinzip kann man alles in additiver Fertigung machen, aber oft ist eine Mischung aus unterschiedlichen Verfahren sinnvoll, wir nennen dies Connected Production.“

Im Zusammenspiel mit konventionel­len Verfahren wie Spritzgussmaschinen oder Fräsmaschinen kann die additive Fertigung durchaus punkten – in kleinen Stückzahlen. „Von der Großserienfertigung ist der 3-D-Druck noch weit weg“, betont Konstantin Graf, Senior Consultant bei Altran. Immerhin ist das seit mehr als 30 Jahren bekannte Ver­fahren mittlerweile so ausgereift, dass es mit einer hohen Qualität der hergestell­ten Produkte punkten kann. Es ergänzt traditionelle Verarbeitungstechniken. Zudem können komplette Produkte additiv hergestellt werden.

Digitale Zeit

Doch es geht noch besser. Erst wenn die vernetzte Produktion à la Industrie 4.0 in deutsche Werkshallen Einzug hält, kann die additive Fertigung ihre wahre Stärke ausspielen – etwa bei Losgröße 1 oder in der Kleinserienherstellung. Doch schon heute findet der 3-D-Druck zahlreiche Anwender. Das zeigt der „Global 3D Printing Report 2016“, den die Wirtschaftsberater von E&Y herausgegeben haben: Danach befinden sich bei mehr als einem Drittel der befragten deutschen Unternehmen 3-D-Drucker im Einsatz. Am weitesten verbreitet ist die Methode bei Firmen der Kunststoffindustrie, im Maschinen- und Anlagenbau sowie in der Automobil- und Luftfahrtindustrie. Finanziell scheinen sich die Investitionen in die Technologie zu rentieren: Nach Schätzung der Marktbeobachter von EY machen die Anwender mit industriellen Produkten aus dem 3-D-Drucker bereits heute allein in Deutschland eine Milliarde Euro Umsatz.

Noch ist diese Technologie eher bei größeren Unternehmen zu finden. Kleinere Firmen mit bis zu 100 Millionen Euro Jahresumsatz halten sich bei der Anschaffung der für die additive Fertigung nötigen Maschinen deutlich zurück. Grund: Zwei von fünf befragten Unternehmen sind die Anschaffungskosten schlichtweg zu hoch. Ein Drittel verzichtet auf die Anschaffung der Technologie, weil das nötige Expertenwissen nicht im Hause vorhanden sei. Und ein Fünftel der Unternehmen verweigert sich der Technik, weil zu hohe Kosten für Material und Service zu erwarten seien.

Doch wer die Anschaffung wagt, kann neben der Verwendung für eigene Zwecke auch ein Zusatzgeschäft daraus entwickeln – etwa als 3-D-Druck-Service für andere Unternehmen, die sich die Fertigungstechnologie selbst nicht leisten können, aber kostengünstig Pro­totypen benötigen. Zudem ist absehbar, dass die Preise von in 3-D-Druck hergestellten Produkten fallen werden, wie die Studie „3D-Druck – Erfolgsgeschichte für den Digitalstandort“ des Bitkom zeigt. Die wirtschaftlichen Stär­ken der additiven Fertigung liegen nicht in der Massenproduktion. Sie unterstützt bei der Herstellung von individuellen Teilen oder Kleinserien, trägt zu einer Verringerung der Gesamtkosten bei und macht Bauteile mit so komplexen Geometrien möglich, die bei einer konventionellen Fertigung schlicht nicht machbar sind.

Zehn-Punkte-Plan für die additive Fertigung 

  1. Welche Effekte hätte ein leichteres Bauteil (geringere Schwungmassen, geringerer Energieverbrauch, geringerer CO²-Ausstoß)?
  2. Welchen Nutzen hätte eine mögliche Individualisierung des Bauteils für den Kunden?
  3. Können Baugruppen zu einem einzigen Teil zusammengefasst werden? Können Funktionen integriert werden?
  4. Ist das Bauteil in Bezug auf die Größe überhaupt additiv herstellbar?
  5. Welche Genauigkeit ist gefordert (Durchbiegung, Oberflächenbeschaffenheit und ähnliche Bedingungen)?
  6. Welches Material, welche Materialeigenschaften sind gefordert (Kunststoff, Metall, Zugfestigkeit, Biegefestigkeit)?
  7. Was sind die vor- und nachgelagerten Prozesse in der Produktion und im Einsatz? (Werkzeugwechsel, Montagen, Hygiene, Reinigung etc.)
  8. Welche Losgrößen sind geplant? Welche Vorteile bringen kleinere Losgrößen?
  9. Wäre bei additiver Fertigung ein noch nie dagewesenes innovatives Produktdesign möglich?
  10. Könnte eine Produktion auf Basis additiver Fertigung ein neues innovatives Geschäftsmodell in der Branche begründen?

Wachsende Verbreitung

Die 3-D-Technik eignet sich aber nicht nur für die Herstellung von Prototypen. Mehr und mehr Unternehmen nutzen die additive Fertigung auch für die Herstellung von Endprodukten. Andreas Müller, Partner bei EY, ist überzeugt: „Sollte es gelingen, die Produktionskosten deutlich nach unten zu drücken, wird die Bereitschaft zur Herstellung mit 3-D-Druck in Deutschland deutlich steigen.“

In der Kunststoff-, Luft- und Raumfahrtbranche, im Automobilbau sowie in der Medizintechnik verwendet bereits ein Drittel der Unternehmen 3-D-Druck für Endprodukte oder einzelne Komponenten. Im Kunststoffbereich wird das Verfahren schon heute als Alternative zu herkömmlichen Fertigungsmethoden wie Spritzguss oder Extrusion verwendet. „Aber das ist eher eine Ergänzung als ein Ersatz für die Großserie, das wird wohl eher mittel- bis langfristig möglich sein“, sagt Konstantin Graf.

Schon jetzt könnte sich das Fertigungsverfahren freilich für Nischenprodukte bewähren, etwa das On-Demand-Herstellen nach Originalplänen von Ersatzteilen für ältere Baureihen, bei denen sich wegen der geringen Nachfrage eine Lagerhaltung nicht lohnt. Auch bionisch geformte Bauteile, die sich mit herkömmlichen Fertigungsmethoden nur aufwendig gestalten lassen, sind für die additive Fertigung gut geeignet.

An solche Konzepte schließt der Logistikdienstleister DHL mit seiner Studie „3D Printing and the Future of Supply Chain“ an. Deren Tenor: Unternehmen zeigten Interesse an der 3-D-Technik, weil sie eine kundenspezifische Individualisierung der Produkte, weniger Abfall bei der Herstellung sowie einen vereinfachten Vertrieb erwarten. So könnten die erst auf expliziten Kundenwunsch auf Abruf hergestellten Ersatzteile die Lagerkosten von Unternehmen deutlich senken. Zudem ließen sich Herstellung und Montage in unterschiedlichen Phasen auf lokal aufgestellte Drucker aufteilen. Ein möglicher Nachteil, der einiges Nachdenken und auch Geld erfordert: Die Unternehmen müssen ihre Lieferkette komplett neu denken und aufstellen.

Auch Reparaturen und Rücksendeleistungen könnten mit dem 3-D-Druck verbessert werden. Das Verfahren ermöglicht eine schnelle Herstellung und den raschen Versand der Teile, was etwa für Maschinenbau oder Energiedienstleister interessant wäre. Und auch im Consumer-Bereich, so die DHL-Studie, ließen sich die Garantie-Reparaturprozesse deutlich verbessern. Je nach Aufwand des angeforderten Teils könnten selbst Logistikunternehmen beispielsweise Ersatzteile sozusagen „last minute“ auf dem Transportweg zum Kunden drucken und ausliefern.

Digitale Produktion

Den Anwendungsszenarien der additiven Fertigung sind kaum Grenzen gesetzt. „3-D-Druck ermöglicht eine völlig neue Aufstellung. Man muss in Funktionen denken, nicht in der herkömmlichen Produktion“, sagt Geschäftsführer Kegelmann. Dann erschließen sich neue Potentiale. Wie solche Verfahren eingesetzt werden, zeigt die Bitkom-Studie „3D-Druck – Erfolgsgeschichte für den Digitalstandort“.

In der Luftfahrt stellt beispielsweise Airbus zahlreiche Kunststoffteile mit Hilfe additiver Fertigung her und baut sie in den Flugzeugen ein. Noch interessanter ist eine kombinierte Fräs-Druckmaschine, die spanende und additive Fertigung in der Leichtbauproduktion verbindet. So kann eine 5-Achs-Fräsmaschine Strukturen für den Flugzeugbau fertigen, und die Sintermaschine bear­beitet die gefrästen Teile mit dem Pulverauftrag weiter.

 

Mehr zum Thema Digitalisierung finden Sie auf unserer Themenseite.

 

Solche Methoden können teure Verfahren überflüssig machen: So werden für die Fertigung von Titanrohren in der herkömmlichen Herstellung spezielle Werkzeuge benötigt. Wenn diese entfallen, ließen sich die Produktionskosten auf einen Bruchteil senken. Hinzu kommen die Zeitvorteile, wenn etwa Verschleißkomponenten für Flugzeuge aus Kunststoff- und Mixmaterial rasch zur Verfügung stünden. Airbus will außerdem mit der neuen Technik deutlich Materialgewicht einsparen. Dank Bau­teilen, die im additiven Verfahren hergestellt wurden, soll ein Airbus A350 um bis zu eine Tonne leichter werden.

Ein weiteres Anwendungsfeld ist die Medizintechnik. Mit 3-D-Druck könnten künftig medizinische Hilfsmittel wie Prothesen, künstliche Kniegelenke oder Hüften hergestellt werden.

Nur ein Solitär

Seine wirklich Stärke kann der 3-D-Druck dann ausspielen, wenn es nicht um die Herstellung von großen Serien gleichartiger Produkte geht. In solchen Anwendungsfällen sind die herkömmlichen Produktionsmethoden klar überlegen. Nur bei individuellen Teilen wie Prototypen oder Kleinserien trumpft der 3-D-Druck auf.

Und eine weitere Hürde muss bei der industriell eingesetzten additiven Fer­tigung überwunden werden: „Das Verfahren muss noch an Tempo zulegen. Es ist unpraktisch, wenn der Drucker zwei Tage an einem Bauteil arbeitet. Das ist nicht gerade Rapid Prototyping“, sagt Konstatin Graf.

So funktioniert die Herstellung

  • Was sie macht: Dreidimensionale Objekte entstehen durch den Aufbau von Material in dünnen Schichten. Von diesem Auftragen hat die additive Fertigung ihre Bezeichnung. Subtraktive Verfahren, bei denen Material abgetragen wird, sind beispielsweise Fräsen oder Bohren.
  • Das braucht sie: Der Herstellungsprozess beginnt bei den Datensätzen, die durch Softwareunterstützung wie CAD-Programme erstellt werden. Die Optimierung der Bauteile und der eigentliche Druck schließen sich an. Eine Nachbearbeitung der hergestellten Teile rundet das Verfahren ab.
  • Das sind die Vorteile: Die Digitalisierung der Produktion kommt mit geringeren Rüstkosten aus, weil keine Werkzeuge oder Formen bereitgestellt werden müssen. Aus dem digitalen Modell lassen sich mehr und neuartigere dreidimensionale Bauteile herstellen, als dies mit subtraktiven Verfahren möglich wäre.

Der Text gehört zu einem Thema aus der Markt-und-Mittelstand-Ausgabe 9/2017. Hier können Sie „Markt und Mittelstand“ abonnieren.

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