Revolution im Bauwesen - Häuser aus dem Drucker erobern Deutschland
Die Digitalisierung erreicht in besonderer Form die Bauwirtschaft. Experten aus Deutschland mauern nicht mehr, sondern setzen auf neue 3D-Technik.
Schicht für Schicht fließt Beton aus der Spritzdüse. Immer deutlicher zeichnet sich so die nächste Wand ab. Kurz wird die Zufuhr unterbrochen. So entstehen Lücken für eine Versorgungsleitung, ein Fenster oder eine Tür. Mit einem Meter pro Sekunde kommt die Anlage voran. Innerhalb von wenigen Tagen wächst so ein ganzes Wohnhaus wie das im bayerischen Wallenhausen etwa 25 Kilometer südlich von Ulm nach oben. 3D-Druck im Hausbau. Heute leben auf 380 Quadratmetern fünf Familien in dem Gebäude, dem von außen nicht anzusehen ist, dass es in nur 90 Stunden „gedruckt“ und nicht klassisch gemauert wurde.
Der Schalungs- und Gerüstspezialist Peri im benachbarten Weißenhorn hat das Projekt erst koordiniert und dann den Druck begleitet. Das Familienunternehmen gehört zu den Treibern der neuen Technologie. Aus gutem Grund: 3D-Druck könnte einen Teil des Peri-Geschäfts gefährden. „Darum beschäftigt sich das Unternehmen bereits seit 2015 mit dem Thema“, sagt Lukas Bischofberger. Er gehört zu dem Team, das den Aufbau der 2022 gegründeten Tochterfirma Peri 3D Construction verantwortet, in der die Druck-Aktivitäten des Unternehmens gebündelt werden. Etwa 30 Mitarbeiter treiben den Ausbau des Geschäftsfelds in Weißenhorn und in den USA voran. Bischofberger verspricht sich einen Wettbewerbsvorteil, weil die Firma inzwischen Erfahrungen gesammelt hat. „Wer jetzt einsteigt, hat einen langen Weg vor sich, bevor er 3D am Bau erfolgreich betreiben kann.“
Großdrucker aus Dänemark
Peri wurde 1969 gegründet und beschäftigt weltweit in 65 Tochtergesellschaften mehr als 9200 Mitarbeiter. Im vergangenen Jahr wurden 1,85 Milliarden Euro erwirtschaftet. Bei Peri kennt man sich mit Baustoffen und dem Service rund um komplexe Bauprojekte aus. Doch ein Maschinen- und Anlagenbauer ist das Unternehmen nicht. Darum haben sich die Weißenhorner am dänischen Druckerbauer Cobod beteiligt. Deren Anlagen be- und vertreibt Peri vor allem in Mitteleuropa und den USA. Das Unternehmen verbessert die Technologie mit selbst entwickelter Sensorik, die beispielsweise die Baustoffmischung nach den vor Ort tatsächlich herrschenden Bedingungen abstimmt. Beim Baumaterialien arbeitet man mit Heidelberger Materials zusammen. Der Konzern hat etwa einen neuen Beton entwickelt, der bei der Herstellung 70 Prozent weniger CO2-Emissionen verursacht als der traditionelle Baustoff.
„Wir stehen am Anfang einer sehr spannenden Entwicklung in der Baubranche“, erklärt Bischofberger. Noch liegen die Baukosten etwas über dem konventionellen Ansatz. Wann genau der Break-even erreicht ist, will er nicht spekulieren. Der Moment sei aber in Sichtweite. „Da spielen externe Faktoren wie Planung, Baustoffe, Gutachten oder Genehmigungen eine Rolle.“ Der starke Anstieg der Materialkosten in jüngster Zeit habe den Abstand aber bereits vermindert. Das liegt unter anderem daran, dass für ein gedrucktes Gebäude nur das wirklich benötigte Material verbaut wird. Zudem ist für die Bauherren die schnelle Umsetzung vor Ort ein weiterer Vorteil.
Gleichzeitig schaffen es die Spezialisten von Peri ihrerseits, die Kosten zu drücken. „Wir arbeiten seit Jahren aktiv daran, Prozesse zu verbessern, schneller und effizienter zu drucken und Bauabläufe zu optimieren“, sagt Bischofberger. „Zudem gibt es auch technische Weiterentwicklungen wie höhere Lagen, die sich auf die Bauzeiten auswirken.“ Die Lerneffekte seien gerade am Anfang enorm gewesen. Das erste Projekt war vor etwa vier Jahren ein Wohnhaus mit 160 Quadratmetern, für das der Drucker 100 Stunden lief. „Für das erste Stockwerk haben wir nur noch die Hälfte der Zeit gebraucht wie für das Erdgeschoss“, beschreibt Bischofberger.
Peri hat eine Anlage ins wenige Kilometer entfernte Laupheim verkauft. Dort ist der Fertigteilehersteller Röser in das Geschäft mit dem 3D-Druck eingestiegen. Auf dem Werksgelände sind Sitzelemente, geschwungene Pflanzkübel, eine Ladesäule und sogar ein kleines Gebäude zu sehen. Alle augenscheinlich auch aus Beton, doch meist mit einer geriffelten Struktur. „Wir zeigen hier, was man bereits mit 3D-Betondruck für den Alltag herstellen kann“, sagt Marcel Förderer, der gemeinsam mit drei weiteren Kollegen Produkte für Röser entwickelt und so einen völlig neuen Markt erschließen soll. Der riesige Drucker steht in einer eigens errichteten Halle. „Damit sind wir von Witterungseinflüssen unabhängig und können drucken, auch wenn es draußen sehr kalt oder heiß ist“, sagt Förderer – Bedingungen, wie sie bei Standardbetonfertigteilen auch üblich sind. Produziert werden Elemente für Gebäude, zur Landschaftsgestaltung oder für Außenanlagen.
Röser-Gruppe
Eigentlich ist die Röser-Gruppe für die Massenproduktion von Rohren, Schächten sowie für viele Tiefbauprojekte bekannt. „Die Geschäftsführung sieht im 3D-Druck eine spannende Technologie, mit der man sich frühzeitig beschäftigen muss“, sagt Dennis Bräunche, verantwortlich für den Vertrieb der noch jungen Röser-Sparte. In einem ersten Schritt wollte man prüfen, ob 3D-Druck eine Alternative für die herkömmliche Produktion von Fertigteilen ist. Noch ist das Verfahren dafür zu teuer. „Allerdings eröffnet diese Technologie völlig neue Gestaltungsmöglichkeiten“, sagt Förderer. So können die Röser-Spezialisten beispielsweise ganze Wände mit Reliefs oder Firmenlogos gestalten. Solche Sonderanfertigungen sind mit herkömmlichen Methoden, wenn überhaupt, nur sehr aufwendig möglich.
Der Druck dauert nur wenige Stunden
Der wahre Aufwand sind Planung und Programmierung – bei einzelnen Betonteilen wie bei ganzen Häusern. Der Druck dauert dann nur wenige Stunden. „Hier wird deutlich, wie die Digitalisierung jetzt auch in der Bauwirtschaft eine wichtige Rolle bekommt“, betont Bräunche. Das mache die Arbeit gerade für junge Leute erst attraktiv.
Für die Branche ist der Personalaufwand zudem geringer, die körperliche Belastung für jene, die auf einer Baustelle arbeiten, niedriger. Auch sind die beteiligten Gewerke wie beispielsweise Elektriker schneller fertig. Denn sie finden bereits alle Schächte und Aussparungen für Leitungen und Anschlüsse vor.
Für Architekten ergeben sich neue Gestaltungsmöglichkeiten, die mit klassischem Bau nicht realisierbar wären. Beispielsweise wellenförmige Wände, wie beim Vorzeigeobjekt in Heidelberg. Das 53 Meter lange 3D-Gebäude mit 600 Quadratmeter Nutzfläche ist in nur 140 Stunden errichtet worden. Die Schichten aus dem Druck sind bewusst als besondere Fassadenstruktur erkennbar. Das futuristisch anmutende Gebäude wurde ebenfalls im vergangenen Jahr mit der Peri-Technologie errichtet und gilt als die bisher größte in Europa jemals gedruckte Immobilie.
„Die Kunden müssen von den neuen Möglichkeiten erst noch überzeugt werden. Aber das Interesse wird immer größer“, sagt Röser-Manager Bräunche. Vor allem Landschaftsgestalter und experimentierfreudige Architekten seien von den planerischen Möglichkeiten begeistert, die die neue Technologie bietet. Durch den 3D-Druck entstünden geschwungene Formen, die bisher nur kostspielig oder gar nicht umsetzbar sind. Zudem stellt sich ein weiterer Vorteil heraus: „Wir benötigen weniger Zeit und Material. Das macht sich auf der Kostenseite immer deutlicher bemerkbar“, erklärt Förderer. Denn der Baustoff werde durch die steigenden Produktionsmengen günstiger. „Am Anfang haben wir mit Gebinden zu je 25 Kilogramm gearbeitet. Inzwischen liefern die Zementwerke Silofüllungen von bis zu 30 Tonnen an.“
Gedruckt, nicht gerührt: Dennis Bräunche (rechts) und Marcel Förderer von Röser aus Baden-Württemberg stehen am Eingang eines Betonpavillons.
Die Tücken der Bausoftware
Neben der Kostenseite muss die neue Technologie auch noch die verschiedenen Softwarelösungen vereinen. Die passen oft nicht zueinander. Weil bisher am Bau in Etappen und nicht an einem Stück geplant und gearbeitet wird, ist das auch nicht notwendig. „Jeder Softwareanbieter hat Stärken in bestimmten Bereichen. Bisher wurde in Bauprojekten mit verschiedenen Lösungen gearbeitet“, sagt Bauingenieur Förderer von der Firma Röser. Doch nun müssen die einzelnen Bereiche und Gewerke an einem gemeinsamen Entwurf arbeiten und ihn fortschreiben. Auch hier wird der Wandel deutlich, der auf die Bauwirtschaft mit großen Schritten zukommt.
Die deutsche Baubürokratie umschließt natürlich auch den 3D-Druck fest mit ihren engen Vorschriften. Mit allen skurrilen Auswüchsen: Erhält beispielsweise ein Architekt in Baden-Württemberg endlich die Baugenehmigung, gilt das damit längst nicht als allgemeingültiger Standard. „So kann es passieren, dass in Nordrhein-Westfalen alles nochmals überprüft werden muss, weil dort die Bauvorschriften anders definiert sind“, gibt Förderer einen Einblick in den täglichen Wahnsinn deutscher Baubürokratie. Bischofberger von Peri bescheinigt den Behörden eine große Offenheit gegenüber der neuen Technologie. So hätten die Projekte die Genehmigungshürden insgesamt auch problemlos genommen.
Zwar sind die deutschen Mittelständler in der Bundesrepublik gut im Rennen, doch die Chancen sehen sie im Ausland. „Die Bauherren in den USA haben mehr Freiheitsgrade“, sagt der Peri-Experte. In Nordamerika gelten gedruckte Häuser als eine stabilere Alternative im Gegensatz zur konventionellen Holzbauweise. Bei der steigenden Zahl der Hurrikans ist dies ein wichtiger Punkt. Gleichwohl sind die gedruckten Häuser schnell errichtet. Dort wird auch intensiv an einer Serienfertigung gearbeitet, was die noch teure Vorplanung verbilligt, sodass der Gebäude-Druck seine Kostenvorteile bei der Erstellung besser ausspielen kann.
Auch bei Röser kann niemand voraussagen, wann der 3D-Druck zum ertragreichen Massengeschäft heranwächst. Für Bräunche steht jedoch fest: „Der Betondruck wird Bestandteil der Bauindustrie. Was heute noch eine Nische ist, kann morgen schon Standard sein“. Schon Fachkräftemangel und die großen Möglichkeiten der Digitalisierung seien für das Unternehmen Grund genug, sich schon früh mit der neuen Technik zu beschäftigen. Das gehört zur Grundphilosophie bei Röser. Dort geht man auch bei der klassischen Produktion von Fertigelementen neue Wege. So wird zunehmend zementfreier Beton eingesetzt, der 70 Prozent weniger CO2-Emissionen verursacht. Der neue Baustoff hat inzwischen das Siegel des Deutschen Bauinstituts erlangt – der höchsten Qualitätsauszeichnung, die auch im Ausland so eingeschätzt wird.